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Trotz Kriegs Ukrainer und Russen im Gesang vereint

Im Bremer Chor Rodina singen Russen, Ukrainer, Kasachen und Letten gemeinsam russische Lieder. Sie lassen sich vom Krieg, den die Sänger als gemeinsame Tragödie empfinden, nicht entzweien.
03.03.2022, 18:45 Uhr
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Ukrainer und Russen im Gesang vereint
Von Jürgen Hinrichs

Die ganze Zeit über mussten sie pausieren, Corona, es ging nicht anders. Doch nun ist es wieder losgegangen mit der Sangeskunst, freilich unter Umständen, die sich niemand hatte vorstellen können: Krieg in der Ukraine – was bedeutet das für einen Chor, in dem Russen, Kasachen, Letten und Ukrainer miteinander vereint sind? „Es ist für uns alle eine große Tragödie“, sagt Vyacheslav Kravets, kurz Slava genannt.  

Der 75-Jährige leitet den Chor in der Vahr, er hat der Gruppe bei ihrer Gründung vor 18 Jahren den Namen „Rodina“ gegeben, was im Russischen so viel wie Heimat bedeutet. Geprobt wird zweimal in der Woche im Bürgerzentrum Neue Vahr, diesen Freitag wieder, und ist das ein Problem? Können Russen und Ukrainer mit Freude und Inbrunst gemeinsam singen, wenn das eine Volk das andere mit einem Angriffskrieg überzieht und ungeheures Leid anrichtet?

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Slava, selbst gebürtiger Ukrainer, antwortet mit Ja: „Wir sind eine Familie. Wer von Herkunft Russe, Ukrainer oder sonst etwas ist, hat bei uns nie eine Rolle gespielt." Das sei so wie damals in der Sowjetunion, wo ebenfalls nicht großartig zwischen Nationalitäten unterschieden worden sei. Natürlich habe es bei den ersten beiden Proben nach der Corona-Unterbrechung Gespräche über den Krieg gegeben, der zu der Zeit gerade begonnen hatte. „Es war aber kein Streit, und es gab auch keine Schuldzuweisungen, weil allen klar ist, dass beide Seiten Schaden nehmen werden – Russland und die Ukraine."

Vor Beginn der Pandemie hatte der Chor Rodina bis zu 35 Mitglieder, berichtet Slava. Neben den Proben habe es unzählige Auftritte gegeben, bei Stadtteilfesten wie in Tenever mit 1000 Besuchern oder bei Konzerten im Bürgerzentrum Neue Vahr, zum Beispiel aus Anlass des russisch-orthodoxen Weihnachtsfestes. Der Gesang, russische Lieder schwungvoll begleitet vom Akkordeon, und die Trachten, in denen der Chor auftrat – das schuf eine besondere Stimmung. Nun muss langsam wieder aufgebaut werden, was nach der langen Pause verschüttgegangen ist: "Bei der ersten Probe waren wir zu neunt, bei der zweiten immerhin schon zu zwölft", sagt Slava.

Der Chorleiter ist vor 22 Jahren nach Bremen gekommen. Ein Teil seiner Familie – Sohn, Tochter, Enkelkinder – lebt in seiner alten Heimat in Odessa am Schwarzen Meer. "Wir telefonieren ein paar Mal am Tag, manchmal auch nachts", erzählt Slava. Bisher sei in Odessa noch nichts passiert, "aber wer weiß, ob der Krieg nicht auch dorthin kommt".

An diesem Freitag wieder Chorprobe, klar, ein bisschen Ablenkung. Slava: "Mein Körper ist in Bremen, meine Seele und meine Gedanken sind in Odessa."

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