Als Roger Kossann vor 40 Jahren seine Restauratoren-Werkstatt eröffnete, war er 25 und hatte gerade fünf Jahre lang Erfahrung im Antiquitätenhandel gesammelt. „Ein Studium stand nicht an für mich, diese Fachrichtung wurde gerade erst in Köln aufgemacht", sagt er. "Die Möbelrestaurierung lief damals in der Regel über Tischlereien.“ Auch der Weg über die Kunsttischlerei habe nicht weitergeführt: „Das war überlaufen, da kam ich nicht rein.“ Also blieb Kossann Quereinsteiger im eigenen Metier. Aber so läuft das Geschäft schon lange nicht mehr: Heute bereiten sich Praktikantinnen in seiner Werkstatt auf ihre Hochschulbewerbung oder ihren Studienabschluss vor.
So ist auch Karen Melching Diplom-Restauratorin in der Fachrichtung „Möbel und Holzobjekte mit veredelten Holzoberflächen“ geworden. Vor ihrem Studium an der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst in Hildesheim hat sie eine Ausbildung zur Tischlerin absolviert – und in den 90er-Jahren ein Praktikum bei Kossann. Längst sind Kossann & Melching Geschäftspartner. Die spätere Übernahme, wenn der Inhaber in den Ruhestand geht, ist schon geplant.

Roger Kossann und Karen Melching mit dem Sockel eines Konsoltischs.
Studiengänge, die es heute unter anderem auch in Potsdam gibt, „sind damals von Restauratoren wie mir aufgebaut worden, denen eine naturwissenschaftliche Ausrichtung und der kunstgeschichtliche Hintergrund fehlten“, sagt Roger Kossann. Der heutige Bachelorabschluss oder das Masterstudium der Konservierungs- und Restaurierungswissenschaft befähigen Absolventen, sich selbstständig zu machen oder Leitungsaufgaben in Denkmalbehörden oder Museen zu übernehmen. Mittlerweile, meint Kossann, müsse bei einigen Neulingen wieder stärker auf handwerkliche Fähigkeiten geachtet werden. „Die Dauer der Praktika nimmt mittlerweile immer mehr ab."
Anders als in der Tischlerausbildung, wo das Rohprodukt Ausgangspunkt sei, haben Restauratoren es stets mit dem bearbeiteten Material zu tun. „Unsere Kreativität bezieht sich auf die Vorgehensweise am Objekt“ der Restaurierung, sagt Roger Kossann. "Da geht es um Methodik."

Die Praktikantinnen Pauline Natusch (links) und Tamara Asmellash arbeiten am Gestell eines Hockers, der etwa aus dem Jahr 1800 stammt.
Darin übt sich derzeit Pauline Natusch aus Bautzen, die in Hildesheim studiert und ihr Praxissemester in der Bremer Werkstatt absolviert. Eigentlich wäre die gelernte Tischlerin gern nach Dänemark oder Schweden gegangen. „Andere Kulturgüter und Materialien“ hätten sie gereizt, aber das sei wegen der Corona-Pandemie schwierig gewesen. Nach ihrem Abschluss möchte sie sich mit einer eigenen Werkstatt selbstständig machen. Tamara Asmellash aus Nürnberg ist als Vorpraktikantin dabei. Sie hat sich in Köln und in Potsdam um einen Studienplatz beworben und sich über die Buchbinderei und den Baudenkmalschutz an ihr Lieblingsmaterial Holz herangearbeitet, um "das Gestern und Heute für morgen zu bewahren“, wie es der Verband nennt, dem rund 3000 Restauratorinnen und Restauratoren angehören.
Ein Beispiel für wichtige Veränderungen hat Roger Kossann auch parat: „Früher war eine neue Schelllackpolitur das höchste der Gefühle. Da stand ein aufpoliertes Möbel neben dem anderen. Heute verkaufen die Museen die Geschichte der Möbel. Wir versuchen, Spuren des Werdegangs zu erhalten, und beheben Schäden.“ Nicht nur Spuren der Benutzung, sondern auch der Bearbeitung könnten erhaltenswert sein, sagt Karen Melching: „Das Möbelstück muss am Ende nicht unbedingt so aussehen, wie es ursprünglich mal gedacht war.“
Dass Schreibsekretäre oft in einer rechten Schublade Flecken hätten, liege daran, dass die meisten Menschen nun mal Rechtshänder seien und dort das Tintenfass gestanden habe, sagt Roger Kossann. „90 Prozent der Kunden überzeugen wir mittlerweile davon, Geschichtsspuren zu erhalten. Wenn es ein Familienstück ist, haben sich die Kunden schon mehr damit auseinandergesetzt. Früher haben wir mehr diskutieren müssen.“ Seine Kollegin bestätigt das: „Man muss weniger überzeugen." Das Bewusstsein habe sich verändert. "Vor 15 Jahren war mehr Werbung nötig.“
Roger Kossann hat auch schon einmal eine Designer-Stereoanlage aus den Fünfzigern, ein wegen seines Acrylglasdeckels „Schneewittchensarg“ genanntes Modell, wieder hergerichtet. Eine besondere Herausforderung. „Die Materialauswahl im 17. oder 18. Jahrhundert war natürlich einfacher. Heute bedienen sich Künstler durchaus auch aus dem Baumarkt“, weiß der Restaurator. „Je jünger die Objekte, desto schwieriger. Darauf müssen wir uns einrichten.“
Außer Privatleuten und Architekten zählen die Denkmalpflege, Museen und die Kirchen zu den Auftraggebern. 2021 hat Karen Melching beispielsweise die mehr als 130 Jahre alte Doppelflügeltür der Hemelinger Kirche samt Blumenranken-Eisenbeschlägen für die Zukunft präpariert. Aktuell seien Konservierungs- und Restaurierungsarbeiten an Stühlen und Wandbespannung des alten Radio-Bremen-Sendesaals im Gespräch. Und immer wieder hat die Restauratorin auch außerhalb Bremens zu tun. Im 1910 errichteten Verwaltungssitz der Hannoverschen Keksfabrik Bahlsen wird derzeit der große Sitzungssaal restauriert. Unter anderem das hölzerne Interieur. Das Bremer Konzept überzeugte.