Herr Richter, wie gut oder schlecht ist derzeit die Luft in Europa?
Andreas Richter: Bei dem Luftschadstoff Stickstoffdioxid (NO2) sieht man ganz deutlich: In ganz Europa und besonders über Städten und Industriegebieten werden 2020 deutlich niedrigere Werte als 2019 gemessen. Das sind bislang allerdings nur Zwischenergebnisse.
Und wie ist die Luft in Bremen?Auf einer globalen Skala ist die Luft in Bremen sehr sauber, was schön ist. In den Satellitendaten sieht man daher Bremen oft nicht, weil die Skala zu groß ist. Wir haben aber mit unserer optischen Messstation auf dem Dach der Bremer Universität ermittelt, dass die Stickstoffdioxidkonzentration derzeit 30 Prozent geringer ist als letztes Jahr.
Liegt das an den Einschränkungen der Coronavirus-Pandemie?Das können wir so noch nicht sagen. Der Satellit misst die Menge des NO2, kann aber dessen Herkunft nicht ermitteln. Bislang ist das erst einmal eine Feststellung: Die Konzentration ist dieses Jahr niedriger als vergangenes Jahr. Sie wird aber nicht nur durch Emissionen, sondern auch durch andere Faktoren wie das Wetter beeinflusst.
Es gibt Modelle, die die Änderungen der Meteorologie berücksichtigen. Sie sagen eine Verringerung der NO2-Konzentration vorher, ohne jede Änderung in den Emissionen – von den Pandemiemaßnahmen wissen die Modelle nichts. Grundsätzlich gilt: Sind die Windgeschwindigkeiten höher, können sich Luftschadstoffe nicht ansammeln. Um den Einfluss des Wetters herauszurechnen, müssen allerdings Modellläufe gemacht werden, die Monate dauern. Für einzelne Städte wie Rom und Madrid wurde das schon teilweise gemacht. Das Modell sagt wegen des Wetters dort eine Abnahme der NO2-Konzentration vor – die Messung liegt aber noch 30 Prozent darunter. In China beträgt dieser Effekt in der Spitze bis zu 60 Prozent.
Wie funktioniert die Messung mittels Satelliten?Wir haben die Daten des Kopernikus Sentinel-5p Satelliten aus 2020 mit denen aus 2019 verglichen. Der Satellit misst das Licht, das den Weg von der Sonne durch die Atmosphäre nimmt und dann von der Erdoberfläche reflektiert wird. Teilchen in der Luft wie etwa das NO2 absorbieren bestimmte Wellenlängen des Lichts – jedes Molekül hat eine Art Fingerabdruck, wodurch sie sich unterscheiden lassen. Weil die Konzentrationen natürlichen Schwankungen unterliegen und Wolken das Licht reflektieren können, haben wir die Werte gemittelt. Die Daten haben wir dann mit den Messstationen am Boden abgeglichen, das Ergebnis ist stimmig.
Warum werten Sie Satellitendaten aus, wenn es auch Messstationen am Boden gibt?Die Bodenstationen messen nur ein kleines Luftvolumen ihrer unmittelbaren Nähe. Der Satellit misst die Luftschichten der bodennahen Kilometer und mittelt die Werte auf einer Fläche von dreieinhalb mal fünfeinhalb Kilometern. Verglichen mit dem Volumen einer Bodenmessstation ist das riesengroß. Die Satellitendaten sind weniger detailliert und weniger relevant für die Gesundheit. Auf der anderen Seite sind sie aber repräsentativer, weil sie die Gesamtmenge anzeigen.
Es gibt eine Reihe von Effekten. NO2 ist eine der Substanzen, die in der Atmosphäre Ozon bilden. Das ist auch einer der Gründe, warum man Stickoxide reduzieren möchte. Außerdem können Stickoxide in der Luft mit anderen Stoffen reagieren und so Feinstaub bilden. Zudem tragen sie zum sauren Regen bei.
Was ist das Ziel ihrer Forschung?Das ist vor allem Grundlagenforschung, mein persönlicher Schwerpunkt sind Fernerkundungsmethoden zur Messung von Luftschadstoffen. Der Vorteil dieser Methoden ist, dass man Daten auf der ganzen Welt und in allen Höhen bekommen kann, ohne mit einem Messgerät dorthin zu gehen. Seit den 1990er- Jahren wird daran geforscht, die Ideen und Methoden für GOME, das erste solche Satellitengerät, kamen federführend von Professor Burrows hier in Bremen. Damals war die Auflösung der Messung noch 320 mal 40 Kilometer. Der neue Satellit Kopernikus Sentinel-5P kann deutlich detaillierter messen.
Wann erwarten sie bestätigte Ergebnisse?Das ist ein Forschungsprojekt der ESA, wir sind vor einer Woche damit gestartet. Die ersten Berichte erwarte ich in ein paar Monaten.
Das Gespräch führte Jean-Pierre Fellmer.Andreas Richter ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Umweltphysik an der Universität Bremen. Dort erforscht er unter dem Einsatz von Satellitendaten die weltweite Luftqualität.
Messergebnisse des WK-Feinstaubsensors
Der WESER-KURIER hat vergangenes Jahr im Juli einen eigenen Feinstaubsensor gebaut und diesen an der Fassade des Pressehauses an der Martinistraße angebracht. Die Aktion ist Teil des Projekts Luftdaten.info, bei dem Bürger selbst Sensoren bauen und diese mit dem Internet verbinden. Die gemessenen Daten werden auf einer Karte in Echtzeit im Internet visualisiert. Alle Informationen zu dem Projekt gibt es unter www.weser-kurier.de/sensor im Internet
Für die Kalenderwoche 18, also vom 27. April bis zum 3. Mai, hat der Sensor mehr als 3000 Mal den Feinstaubgehalt (PM10) in der Luft gemessen. Es ergibt sich ein durchschnittlicher Wert von 26,6 Mikrogramm pro Kubikmeter (µg/m³). Zum Vergleich: Die offizielle Messstation am Dobben, die die verkehrsnahe Belastung misst, hat für den gleichen Zeitraum einen Wert von 17,4 ermittelt. Bei dem Vergleich der Daten muss jedoch beachtet werden, dass bei den Sensoren unterschiedliche Messverfahren eingesetzt werden und der selbst gebaute Sensor wegen fehlender Prüfung und Eichung ungenauer ist. Daten zur Bremer Luftqualität können unter luftmessnetz.bremen.de/lqi oder luftdaten.info eingesehen werden.