Gut die Hälfte der Grundschüler in Bremen kann derzeit nicht sicher schwimmen. Besonders hoch sind die Zahlen im Einzugsgebiet des Bremer Westbades: 81 Prozent der Drittklässler haben dort keine Schwimmerfahrung, geht aus einer Vorlage für die Bildungsdeputation hervor. Auch in anderen Bremer Bädern sieht es nicht viel besser aus. Die Zahlen sind erschreckend, da sind sich Experten, Politiker und Behördenvertreter einig.
Hinzu kommen sechs Badetote in diesem Jahr in Bremen. Weil diese Situation besser werden soll, wird die rot-grüne Regierungskoalition ein Maßnahmenpaket für mehr sichere Schwimmer im Land Bremen in der Deputationssitzung an diesem Mittwoch beschließen. Darin ist unter anderem vorgesehen, das Schulschwimmen von der dritten in die zweite Klasse zu verlegen.
Die Forderung, den Schwimmunterricht vorzuziehen, geht auf eine Initiative der Grünen-Fraktion zurück, die sich nun mit dem Koalitionspartner SPD auf entsprechende Maßnahmen geeinigt hat. So sollen gegen Ende des Schuljahres 2020/21 bereits die Zweitklässler mit dem Schwimmen anfangen. Damit verbunden ist, dass die Schwimmzeit der Grundschüler im Wasser von derzeit 30 Minuten auf 45 Minuten erweitert wird.
Ein weiterer Punkt: Mit dem Beginn des Schuljahres 2019/20 soll im Rahmen der Eingangsuntersuchung die Schwimmfähigkeit der Erstklässler systematisch erfragt und vermerkt werden. Dadurch sollen Eltern auf das Thema und ihre Verantwortung aufmerksam gemacht und zielgenaue, mehrsprachige Info-Materialien gegeben werden. Zudem erhalten Schulen damit einen Anhaltspunkt für die pädagogische Gestaltung der Schwimmkurse. Um Kinder zu erreichen, die bis zur Grundschule noch überhaupt nicht schwimmen können, soll ein Modellprojekt aus Bremerhaven für Schulen geprüft werden.
Die Seestadt geht beim Schulschwimmen einen anderen Weg: Schulamt und Bädergesellschaft haben vor dem eigentlichen Unterricht einen dreiwöchigen Intensivkompaktkurs vorgeschaltet, in dem dritte Klassen täglich eine Stunde Schwimmunterricht bekommen. Wenn das Projekt erfolgversprechend sei, könne es für besonders betroffene Schulen in Bremen übernommen werden, meint Mustafa Öztürk, sportpolitischer Sprecher der Grünen. Die vorgeschalteten Intensivkurse könnten ein gutes Mittel sein, um etwas gegen die „erschreckend hohe Nichtschwimmerquote von 80 Prozent“ im Einzugsgebiet des Westbades zu tun und die Sicherheit der Kinder im Wasser zu erhöhen“, so Öztürk.
"Kinder müssen früh schwimmen lernen"
Handlungsbedarf besteht auch in anderen Bremer Stadtteilen. Wie aus der Beschlussvorlage hervorgeht, gibt es unter den Drittklässlern in Huchting, Osterholz, Sebaldsbrück oder Vegesack ebenfalls viele Nichtschwimmer. Zu Beginn des Schuljahres 2017/18, also im Sommer 2017, registrierte die Bildungsbehörde, dass 64 Prozent der Schüler nach der zweiten Klasse im Freizeitbad Vegesack nicht schwimmen könnten. Ähnliche Zahlen gibt es im Hallenbad Huchting (55 Prozent), im OTe-Bad in Tenever (53 Prozent) oder im Schloßparkbad in Sebaldsbrück (50 Prozent). Abhilfe soll hier in Zukunft unter anderem der punktuelle Einsatz von vier statt drei Schwimmmeistern für zwei Klassen schaffen.
„Kinder müssen früh schwimmen lernen, um Badeunfälle möglichst zu vermeiden“, sagt Öztürk, der sich für das Verlegen des Unterrichts stark gemacht hatte. Er appelliert aber auch an die Verantwortung der Eltern, ihre Kinder früh ans Wasser zu gewöhnen. „Es ist gut, dass wir nun Nägel mit Köpfen machen. Aber es ist auch eine fette Herausforderung für die Bädergesellschaft und die Schulen“, sagt Öztürk. Denn klar sei, dass ein zeitlicher Vorlauf nötig sei, so müsse zum Beispiel das Kombibad Horn fertiggestellt werden. „Das ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung“, sagt Marco Lübke, sportpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion über die angestrebten Änderungen. Aber es sei „nur ein über Wasser halten“, denn insgesamt reiche das alles nicht, um das Missverhältnis von Schwimmern und Nichtschwimmern umzudrehen.
Zusammen mit der FDP hatte die CDU einen ähnlichen Schwimm-Vorschlag gemacht. Ihr von der Bürgerschaft beschlossener Antrag sieht eine feste Integration der Schwimmausbildung in Kitas, mehr Aus- und Weiterbildung von Schwimmlehrern und eine Ausweisung der Schwimmfähigkeit der Schüler in den Zeugnissen vor. Auch wenn einige der Punkte nun übernommen worden seien, sieht Lübke die Regierung in der Pflicht, den beschlossenen CDU-Antrag umzusetzen.
Fast das ganze Jahr über treibt das Thema Schwimmen die Landespolitiker um. Nicht nur durch die tödlichen Badeunfälle in diesem Jahr gab es zahlreiche hitzige Diskussionen über die Schwimmfähigkeit, den Unterricht oder das Konzept zur Sanierung der Bremer Schwimmbäder.
Auch die Gestaltung der Eintrittspreise war immer wieder Thema. Die SPD fordert, wie berichtet, Ein-Euro-Eintritt für Kinder und Jugendliche in Bremens Bädern. Die Brisanz des Themas macht auch eine Umfrage der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) deutlich. Das Ergebnis aus dem Sommer 2018 besagt, dass fast die Hälfte der Grundschüler in Deutschland derzeit nicht schwimmen kann.