Bezahlbarer Wohnraum ist ein knappes Gut, auch in Bremen. Nicht von ungefähr stimmten am Wahlwochenende rund 50 Prozent der Berlinerinnen und Berliner für die Enteignung großer Wohnungskonzerne. Wie groß der Unmut hinsichtlich lange leer stehender Immobilien auch in Bremen ist, vor allem, wenn sie im Besitz der öffentlichen Hand sind, war in der jüngsten Sitzung des Fachausschusses Bau, Wohnen und öffentlicher Raum des Beirates Östliche Vorstadt zu spüren. Eines dieser Gebäude ist das Haus an der Humboldtstraße 94. In die Sache scheint nun nach jahrelangem Leer- und Stillstand Bewegung zu kommen, denn das Altbremer Haus soll nun in Konzeptvergabe und Erbbaurecht verkauft werden.
Der lange Leerstand wurde immer wieder von Aktivisten, unter anderem des Aktionsbündnisses Menschenrecht auf Wohnen, als "politischer Skandal" angeprangert. Einer von ihnen ist Hartwig Gerecke, der als Mitglied der Stadtteilgenossenschaft Hulsberg für die Vergabe des Bettenhauses im Neuen Hulsberg Viertel in Erbbaurecht gestritten hatte. Er sagte auf der Sitzung, dass der Leerstand eines öffentlichen Gebäudes gesetzeswidrig sei. Schon vor eineinhalb Jahren hatte er davor gewarnt, dass die "irre Wohnungsfrage der soziale Sprengstoff unserer Zeit" sei. Gerecke hat auch einiges an Engagement in das jahrelang leer stehende Gebäude in der Humboldtstraße hineingesteckt, darauf wies er im Vorfeld der Sitzung hin. Und das führte im Endeffekt dazu, dass in der Sitzung Emotionen und Frustration hochkochten.
Bauausschuss-Sprecher Harald Klussmeier (Grüne) betonte, dass der Beirat für eine reingenossenschaftliche Wohnnutzung votiert, Immobilien Bremen aber betont habe, dass das nicht ginge. "Wir wollten Luxuswohnen auf alle Fälle verhindern", sagte er. Allerdings ist in einem Nebensatz in der öffentlichen Ausschreibung durch Immobilien Bremen zu lesen: "Die Erbbaurechtsvergabe erfolgt vorbehaltlich der Genehmigung der jeweiligen Aufsichtsgremien. Eine Verpflichtung der Stadtgemeinde Bremen zum Abschluss eines notariellen Erbbaurechtsvertrages wird ausdrücklich ausgeschlossen". Das mag der springende Punkt sein, an dem sich nun die Kritik entzündete. "Der Beirat hätte politisch agieren können, diesen Schritt hat er nicht gemacht, sondern nach seinem im Februar 2020 gefassten Beschluss abgewartet. Außerdem ist es bemerkenswert, dass sich jetzt die anderen, im Beirat vertretenen Fraktionen nicht geäußert haben", so Gerecke und seine Mit-Aktivistin Margot Müller ergänzte: "Mir scheint es so, dass manche Beiratsmitglieder schlechter informiert sind als ich". Noch eins drauf setzte Ute Treptow, seit sechs Jahren für Die Partei als sachkundige Bürgerin im Beirat: "Die Bürger haben recht. Ich finde, dass Beirat und Ortsamt sehr unpolitisch geworden sind."
Den von Gerecke erhobenen Vorwurf der Intransparenz des Vergabeverfahrens und des mangelnden Engagements des Beirates, wies Manuela Jagemann, stellvertretende Leiterin des Ortsamtes Mitte/Östliche Vorstadt, im Nachhinein noch einmal entschieden zurück. Der Vorwurf der Intransparenz ist allerdings nicht alleine auf die Humboldtstraße 94 gemünzt, er wird auch für das Sparkassengebäude im Steintor erhoben, das letztendlich von der Sparkasse an den meistbietenden Investor verkauft wurde, ohne dass sich die Stadt ein Vorkaufsrecht gesichert habe, wie Stefan Schafheitlin von der Bürgerinitiative Leben im Viertel unterstrich. So sei die Bewohnerschaft der Östlichen Vorstadt einmal mehr vor vollendete Tatsachen gestellt worden. Spannend werde es nun bei der anstehenden Neugestaltung des benachbarten Geländes rund um die Fehrfeld Studios. Hier solle der Beirat nicht nur einen Beschluss fassen, sondern das Bauressort hartnäckig löchern, um der Stadt ein Vorkaufsrecht zu sichern, wünscht sich Schafheitlin.
Manuela Jagemann betont hingegen, dass, wenn die Stadt Bremen eine Immobilie oder ein Grundstück veräußere, der jeweilige Beirat zwar ein Mitbestimmungsrecht habe. Oft laufe es allerdings auf eine Stellungnahme hinaus, der nicht notwendigerweise gefolgt werden müsse. Das sei im Fall Humboldtstraße 94 anders. "Als 2018 die Immobilie von Immobilien Bremen verkauft werden sollte, hat sich der Beirat gegen eine Veräußerung ausgesprochen. Das ist sehr selten. Man wollte verhindern, dass der Zuschlag wie so oft an den meistbietenden Käufer gehen würde und dann erneut in der Folge hochpreisiger Wohnraum entstünde", erläutert Jagemann. Und sie fügt mit Nachdruck hinzu: "Der Beirat war also sehr wohl weiter an dem Thema dran und wesentliche Forderungen des Beirats aus dem Beschluss wurden umgesetzt, wie Vergabe des Erbbaurechtes, Wohnnutzung für besondere Wohnformen, Nutzungskonzepte, die eine positive öffentliche Wirkung für das Quartier beinhalten. Der Erhalt beziehungsweise die Aufwertung des historisch geprägten Erscheinungsbildes." Zudem sei ein Beiratsmitglied bei der Formulierung des Ausschreibungstextes einbezogen worden.
Woran Gerecke und seine Mitstreiter unter anderem Anstoß nehmen, findet sich unter dem Punkt Nutzungskonzept: Dort heißt es: "Die Stadtgemeinde erwartet ein Konzept, dass insbesondere den Erhalt des historischen Charakters im Sinne des 4. Ortsgesetzes erfüllt und auf eine komplette oder überwiegende Wohnnutzung abzielt. Dabei ist eine (untergeordnete) Mischnutzung mit gewerblichen Anteilen gestattet. Besondere Wohnformen sowie soziale beziehungsweise gemeinnützige Nutzungen werden besonders begrüßt". Die Punktevergabe innerhalb der einzelnen Wertungskriterien der Konzeptvergabe erfolgt dabei folgendermaßen: Höhe des angebotenen Entschädigungswertes für das Gebäude: 55 Prozent, Nutzungskonzept 45 Prozent.