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Interview mit Bremer Katastrophenschützer "Die Sirene kann man nicht weglegen"

Mit der Hochwassergefahr immer im Hinterkopf macht Katastrophenschutzbeauftragter Karl-Heinz Knorr Pläne für Krisenszenarien in Bremen. Schon jetzt trifft er Vorkehrungen für einen massiven Stromausfall.
19.07.2021, 21:47 Uhr
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Von Katia Backhaus

Gibt es konkrete Evakuierungspläne für Bremen, etwa bei Hochwasser?

Karl-Heinz Knorr: Nein. Es wird lageabhängig entschieden, ob eine Evakuierung überhaupt erforderlich ist. Auch, wenn wir nur einen Teil Bremens evakuieren würden, wäre ein Vielfaches der Menschen, die zum Beispiel im Landkreis Ahrweiler leben, betroffen. Evakuierungen machen immer dann Sinn, wenn Menschen an ihrem Aufenthaltsort akut gefährdet sind. Wenn es an ihrem Aufenthaltsort einfach nur unangenehmer wird, als es sonst im Alltag ist, dann ist eine Evakuierung nicht unbedingt nötig, weil sie auch wieder mit Risiken behaftet ist.

Was ist, wenn sehr viel Wasser von oben kommt, bei Starkregen zum Beispiel?

Ich denke an Münster 2014, als 292 Liter Regen pro Quadratmeter in nur sieben Stunden herunterkamen. Da stand die Stadt großflächig unter Wasser. Die Schäden waren eher infrastruktureller Natur, als dass Menschen zu Tode gekommen wären. Da kann natürlich auch etwas passieren, aber nicht in dem Ausmaß dessen, was Sturzfluten anrichten.

Und dieser Fall auf Bremen übertragen...

Wenn hier in Bremen 50 Zentimeter Regen pro Quadratmeter fallen würden, dann stünde das Wasser in Straßen und Häusern. Klar, die Unterführungen und Brücken wären dicht. Und wenn dann jemand meinte, mit dem Auto dahineinfahren zu müssen, dann würde er sich in Gefahr bringen. Ansonsten aber würde das Wasser hier flächig in der Badewanne Bremen stehen und in einigen Stunden über die Kanalisation wieder ablaufen oder über die Schöpfwerke abgepumpt werden. Das Wasser würde riesige Schäden in den Häusern verursachen, die Keller würden volllaufen, die Souterrainwohnungen wären nass, die Möbel aufgequollen und ähnliches. Aber es bestünde nicht die Lebensgefahr, als wenn ein komplettes Haus binnen wenigen Minuten durch einen Sturzbach einstürzen würde. Damit Starkregen wirklich Lebensgefahr verursacht, müsste er ja ganze Stockwerke schlagartig überfluten.

Das ist der entscheidende Unterschied.

Genau. Für das Szenario, wie Bremen vollläuft, gelten ganz andere Zeitspannen. Selbst, wenn in wenigen Stunden 50 Zentimeter Regen fallen würden, fallen die über Stunden verteilt. Aber es würde keine zwei Meter hohe Welle durch die Straßen donnern, das Wasser würde einfach stetig ansteigen. Ich schließe nicht aus, dass auch uns Schäden in Millionenhöhe erwarten könnten, dass Autos zerstört sind, dass Öltanks aufschwimmen, dass Benzin ins Wasser gelangt, aber wir hätten keine Wasserwelle, die mehrere Meter hoch mit 50 bis 80 Kilometern pro Stunde ins Tal schießt. Die ist es ja gewesen, die diese unfassbaren Schäden in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen erzeugt hat. Auch das hat das Unwetter in Münster gezeigt: Die Stadt hatte nicht hunderte von Toten, obwohl auch in Münster mehr als 300.000 Menschen leben

Man hat bei Starkregen auch mehr Möglichkeiten, die Bevölkerung zu warnen.

Ja. Bei Starkregen fällt in der Regel das Internet nicht aus, und bei steigendem Wasser gehen die Leute eben in höhere Geschosse.

Ist das, was man nun im Westen sieht, Anlass für Sie, um über Schutz- und Warnsysteme in Bremen nachzudenken?

Wir sind seit einiger Zeit dabei, den Sirenenaufbau zu prüfen. Die Bundesregierung stellt Bremen dafür 820.000 Euro zur Verfügung, damit wird sich ein guter, wirksamer Anfang machen lassen. Das, was nach 1990 abgebaut wurde, soll nun modern, zweckmäßig und sachgerecht wiederaufgebaut werden - um wieder ein Weck- und Warnsystem zu haben. Die Sirene hat den Vorteil: Die kann man nicht weglegen oder abschalten. Wenn die heult, dann wissen die Menschen sofort: Da ist was Schlimmes los. Aber für den Wiederaufbau werden wir sicher ein paar Jahre brauchen.

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Als Sie im September als neuer Katastrophenschutzbeauftragter vorgestellt wurden, hieß es, das Thema Stromausfall würden Sie als Erstes anpacken.

Das Hochwasser und den Schutz durch die Deiche müssen wir natürlich immer an erster Stelle denken, dort sind wir aber sehr gut aufgestellt. Das nächsthöhere Szenario, von den Folgen her, ist der Stromausfall. Denn bei der Komplexität der Stromnetze und dem hohen Verbrauch ist ein Blackout das, womit man rechnen muss, dafür muss man Vorsorge treffen. Einige Dinge haben wir schon angeschoben: Notstromaggregate für die Feuerwehr werden beschafft, Kraftstoff für Hilfseinheiten ist das Nächste. Wir gehen da Stufe um Stufe vor - was jetzt machbar ist, soll direkt umgesetzt werden.

Was können Sie schon jetzt sagen?

Man muss sich davon freimachen, davon auszugehen, dass man dann so weiterlebt, als wäre der Strom nicht ausgefallen. Denn dann müssten wir riesige Kraftwerke irgendwo in Bremen aufbauen, die dann die Stromerzeugung übernehmen würden, das ist völlig illusorisch. Wir können nur versuchen, die kritischen Bereiche, wie Krankenhäuser, Altersheime, und natürlich auch Polizei und Feuerwehr, aufrechtzuerhalten, damit sie den Menschen helfen und das Überleben sichern können. Aber wir werden nicht den Strom in die Haushalte bringen können. Wie das konkret aussieht, hängt auch stark davon ab, ob es im Winter oder Sommer passiert, tagsüber oder nachts, ob der Strom für einen, zwei oder drei Tage weg ist... Da kann es unterschiedliche Szenarien geben. Wir werden im nächsten Jahr aber sicher schon etwas Konkreteres dazu haben.

Das Gespräch führte Katia Backhaus.

Zur Person

Karl-Heinz Knorr hat in diesem Jahr das neu geschaffene Referat „Katastrophen- und Zivilschutz“ beim Senator für Inneres übernommen. Zuvor leitete er die Bremer Feuerwehr.

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