Der Mann ist ein Bär von Mann. Groß und stark, ein Kraftsportler. Er kann diese Konstitution gut gebrauchen, sie ist teilweise sogar notwendig in seinem Beruf. Andreas Schneider arbeitet als Krankenpfleger auf der Intensivstation. Ein knochenharter Job, der körperlich und mental an Grenzen führt. Schneider ist einer von den Helden, die in Corona-Zeiten beklatscht werden. Doch das reicht ihm nicht mehr.
Der 37-Jährige nimmt die Politiker in die Pflicht: „Sie haben Bonuszahlungen versprochen, uns systemrelevant genannt und wollten mehr qualifizierte Leute anstellen“, zählt Schneider auf, „aber was ist bisher passiert? So gut wie nichts.“
Der Pfleger, seit 16 Jahren bei Gesundheit Nord beschäftigt, ist deshalb jetzt aktiv geworden. Er hat mithilfe von Profimusikern einen Song aufgenommen und ein Video dazu produziert, das auf Youtube veröffentlicht wurde. Der Titel: „Keine Pause“. Besungen und gezeigt wird der Stress, teilweise auch die Überforderung und die Ängste eines Mannes, der jeden Tag Patienten versorgt, die um ihr Leben kämpfen, weil sie zum Beispiel an Corona erkrankt sind.
Als die ersten Infizierten ins Krankenhaus kommen, ist die Unsicherheit groß. Wie umgehen mit einem Virus, das keiner kennt? Klar ist, dass Ärzte und Pfleger sich besonders wappnen müssen. „Schutzkleidung aus Plastik, zwei Masken übereinander, keine Pause, keine Möglichkeit, etwas zu essen und zu trinken, das war hart“, beschreibt Schneider die Situation. Er habe während der Schichten stark an Gewicht verloren, und dazu noch die Sorge, selbst krank zu werden: „Wenn wir nach Hause gingen, wussten wir ja oft nicht, ob wir uns infiziert haben und vielleicht unsere Angehörigen anstecken.“
Kontaktmöglichkeiten trotz Isolation
Schneider wirkt nicht wie ein Mensch, der sich schnell beklagt. Er liebt seinen Beruf, sagt der Pfleger, will den Patienten helfen. Zusammen mit den Kollegen hat der Pfleger sich überlegt, wie es trotz der Isolation Kontaktmöglichkeiten geben könnte. Angehörige wurden am Telefon nach Laptops und Tablets gefragt, die sie an der Pforte des Krankenhauses abgeben konnten. „Wir haben Schaltkonferenzen organisiert, damit die Patienten endlich mal wieder jemanden von der Familie sehen und hören.“
Das sind Erfolgserlebnisse, das macht ihm Freude. Gleichzeitig ist da aber auch dieser Zorn: „Das sind nicht nur Pannen – die können passieren, davor ist niemand gefeit. Es läuft grundsätzlich etwas schief, auch unabhängig von Corona.“ Das Personal auf den Intensivstationen wolle die Patienten menschenwürdig, mitfühlend und medizinisch perfekt betreuen, nur müssten eben auch die Bedingungen geschaffen werden.
„Wer weiß denn schon, was wir wirklich machen?“, sagt Schneider, „wir sind Schwerarbeiter, die nicht selten Menschen mit 100 Kilo und mehr hin- und herbewegen. Wir sind Seelsorger, Techniker und Pharmakologen.“ Dafür fordere er gemeinsam mit seinen Kollegen Respekt, nicht nur mit warmen Worten, sondern mit Taten: Deutlich mehr Gehalt, eine Bonuszahlung, Altersteilzeit, bessere Ausbildung, optimale Schutzausrüstung, regelmäßige und kostenlose Tests und eine Personaluntergrenze, sodass auf einen Pfleger maximal zwei Patienten kommen.
Für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst und damit auch das Personal der vier kommunalen Krankenhäuser von Gesundheit Nord laufen gerade Tarifverhandlungen, die von Warnstreiks begleitet werden. Schneider ist das nicht genug, er befürchtet, dass der Protest verpufft. Also hat er sich mit den beiden Hamburger Musikern Eva Keretic und Fontaine Burnett zusammengetan, die mit ihrem Projekt „Jamplan“ Menschen die Möglichkeit geben, ihre Gefühle in Gesang auszudrücken und das im Tonstudio aufnehmen zu lassen. „Natürlich bin ich kein perfekter Sänger“, räumt Schneider ein, „aber was ich sagen will, kommt ziemlich klar rüber, und nur darum geht‘s.“
Coronabonus ist noch in der Schwebe
„Wie ein Schlag ins Gesicht“, hat der Bremer Intensivpfleger Andreas Schneider den Plan empfunden, die Bonuszahlungen im Zusammenhang mit den besonderen Belastungen wegen der Corona-Pandemie nur für solche Pflegekräfte vorzusehen, die unmittelbar mit Covid-19-Patienten zu tun haben. „Das ist eine Frechheit, schließlich müssen die anderen Kollegen die Mehrarbeit auffangen“, schimpft Schneider.
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft und die Krankenversicherer hatten Anfang September ein Konzept für den sogenannten Coronabonus vorgelegt. Demnach kommen 100 Millionen Euro in den Topf. Vorgesehen ist laut „Ärzteblatt“ eine Prämie in Höhe von bis zu 1000 Euro. Sie soll noch in diesem Jahr ausgezahlt werden und frei von Steuern und Abgaben sein. Wer Anspruch darauf hat und wie hoch der ausgezahlte Betrag jeweils ist, sollen die Krankenhausträger entscheiden. In Frage kommen Kliniken, die bis zum 30. September 2020 eine bestimmte Mindestzahl von Covid-19-Fällen behandelt haben.
„Es besteht noch keine Klarheit über das Prozedere“, erklärt Karen Matiszick, Sprecherin des Bremer Klinikverbundes Gesundheit Nord (Geno). Solange die Geno nicht wisse, wie viel Geld dem einzelnen Krankenhaus für die Bonuszahlungen zur Verfügung gestellt werde, gebe es keine Grundlage für die Verhandlungen mit den Betriebsräten der einzelnen Kliniken. Die Arbeitnehmervertreter entscheiden mit, wie das Programm ausgestaltet wird. Für die Geno sei das Ziel, ein möglichst gerechtes Ergebnis zu erzielen. Matiszick: „Wir wollen in den Belegschaften keinen Frust erzeugen.“