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Bremer Neonazis Nazi-Wanderung zur Kultstätte in Ganderkesee

Statt auf martialische Aufmärsche setzt die rechtsextremistische Szene in Bremen und bundesweit jetzt eher auf diskrete Vernetzung bei scheinbar familiären Veranstaltungen.
25.07.2023, 18:41 Uhr
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Nazi-Wanderung zur Kultstätte in Ganderkesee
Von Joerg Helge Wagner

Nur auf den ersten Blick war es eine harmlose Wandergruppe, die sich am 15. Juli von Bremen aus über Altenesch zum Ortsteil Bookholzberg in Ganderkesee bewegte: Unter den insgesamt 33 Teilnehmern waren bekannte Mitglieder der hiesigen Neonazi-Szene, aber auch bundesweit agierende Rechtsextremisten. Ziel des vermeintlichen Familienausflugs: die NS-Kultstätte Stedingsehre, einst eine der größten Freilichtbühnen Deutschlands.

"Die Wanderung war den Sicherheitskreisen bekannt", versichert Rose Gerdts-Schiffler. Die Sprecherin von Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) tritt damit Vorwürfen entgegen, die Behörde wolle über die Nazi-Aktion "den Mantel des Schweigens breiten". Ähnliche Verdächtigungen wurden in Sozialen Medien geäußert, nachdem das Investigativ-Team Recherche Nord den Ausflug der Rechtsextremisten mit mehr als 90 Fotos auf seiner Homepage dokumentiert hatte.

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Auch diese Bilder würden nun genauestens ausgewertet und analysiert, betont Gerdts-Schiffler. Als besonders "beklemmend und schäbig" bewerte die Innenbehörde den Umstand, dass auch sechs Kinder an der Wanderung teilnahmen. Laut Recherche Nord wurden sie dabei indoktriniert und an den Rastplätzen dazu angehalten, Aufkleber mit rechtsextremer Propaganda zu verteilen. Das erinnert an die Zeltlager der 2009 verbotenen Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ) – laut Gerdts-Schiffler wird auch geprüft, ob es personelle Überschneidungen mit der braunen Wandergruppe gibt.

Auf seiner Homepage wirft Recherche Nord die Frage auf, ob hier juristisch eine Kindeswohlgefährdung vorliege. Nach Paragraf 1666 des Bürgerlichen Gesetzbuches ist der Staat dann zum Eingreifen berechtigt. Allerdings sei dies im Falle der Wanderung kaum nachzuweisen, gibt die Behördensprecherin zu bedenken: "Niemand möchte Kinder in Nazifamilien aufwachsen sehen. Aber die werden sagen, sie hätten nur Wanderlieder gesungen."

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Was die Verfassungsschützer mehr umtreibt, ist die Vernetzung der rechtsextremen Szene bei solchen informellen, unspektakulären Veranstaltungen. Neben der Bremer Neonazi-Größe Henrik Ostendorf fotografierte Recherche Nord auch den früheren Chef der Jungen Nationaldemokraten, Sebastian Richter, aus Mecklenburg-Vorpommern. Drittens wurde Mario Müller abgelichtet, ein wegen Körperverletzung vorbestrafter Neonazi aus Delmenhorst, der nach einem Zwischenspiel bei der Identitären Bewegung in Sachsen-Anhalt schließlich zum wissenschaftlichen Mitarbeiter der AfD-Bundestagsfraktion avancierte. Auf den Fotos ist unter anderen auch ein Bremer Neonazi zu sehen, den Recherche Nord als "Martin B." bezeichnet und in Zusammenhang mit dem Brandanschlag auf das linke Jugendzentrum "Die Friese" 2020 in der Friesenstraße bringt.

Zu ihm wie auch zu anderen Einzelpersonen will sich das Innenressort nicht äußern. Allerdings habe es auch in der Vergangenheit schon solche „Wanderungen“ in der Szene gegeben. "Wir können feststellen, dass die rechtsextreme Szene in Bremen gut vernetzt ist und derartige Treffen zum Austausch und zur ideologischen Festigung nutzt", bilanziert Gerdts-Schiffler. Rechtliche Konsequenzen habe das braune Treffen an der Nazi-Kultstätte wohl nicht: "Dorthin zu wandern ist ja nicht strafbar." Das gilt auch für die einschlägigen Runen-Tattoos mancher Wanderer, die Recherche-Nord auf den Fotos dokumentiert und erläutert.

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