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Beruhigende Erlebnisse Gartentherapie für Pflegebedürftige

Positive Erfahrungen macht das Bremer Caritas-Haus St. Elisabeth mit der Gartentherapie. Sie aktiviert pflegebedürftige Bewohnerinnen und Bewohner und ebnet neue Wege zur Kommunikation.
15.08.2022, 05:00 Uhr
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Gartentherapie für Pflegebedürftige
Von Ulrike Troue

"Na, ihr seid aber schon weit gekommen", stellt Elfriede Tolmin mit strahlenden Augen fest, als sie die Gießkanne im Wurzelbereich der inzwischen 35 Zentimeter hoch gewachsenen Lampionblumen leert und dabei das Wasser wohl dosiert rundum verteilt. Es sind ihre Lieblingspflanzen im Hochbeet vorm Caritas-Pflegeheim St. Elisabeth. "Ich spreche manchmal mit den Blumen, hier bin ich von allem weg", verrät die weit über 80-jährige Seniorin mit fast flüsternder Stimme, die auf den Rollator angewiesen ist, als sie kurz von ihrer Arbeit innehält. "Da werde ich ganz ruhig."

Elfriede Tolmin, die nie einen eigenen Garten hatte, tut es sichtlich gut, dass sie trotz gesundheitlicher Handicaps beim Wässern, Unkraut zupfen, Ausgeizen oder Pflanzarbeiten mithelfen kann. Fast von Anfang an nimmt sie an der in der Einrichtung vor etwa fünf Jahren eingeführten Gartentherapie teil.

Dass schon der bloße Anblick von Pflanzen heilsam ist, Stress reduziert und aktives Gärtnern sich positiv auf die Gesundheit auswirkt, belegen wissenschaftliche Studien. Und speziell die Gartentherapie stabilisiert und verbessert demnach das soziale, kognitive, psychische und physische Wohlbefinden, zum Beispiel indem die Pflegebedürftigen weniger Schmerzmittel benötigen, besser durchschlafen oder durch Achtsamkeit wieder Freude erleben. 

Was ist Gartentherapie?

Im Gegensatz zum individuellen Gärtnern sei Gartentherapie ein geplanter und zielgerichteter Prozess, den eine Expertin leite, erklärt Corinna Malnati. Ihre im Haus tätige, qualifizierte Gartentherapeutin nutze Gartenarbeit, um therapeutische Ziele zu erreichen. An der frischen Luft würden alle Sinne angeregt, Ängste gelöst, die Beweglichkeit gefördert und würde Stress abgebaut, erläutert die Leiterin der Betreuung der Schwachhauser Caritas-Einrichtung, in dem ältere Menschen mit Pflegegrad wohnen. Malnati sieht darin vor allem "ein Angebot für die Seele", das wegen der Pandemie in den vergangenen beiden Jahren leider nur sehr eingeschränkt gemacht werden konnte.

Welche therapeutschen Ziele werden verfolgt?

Ein Garten sei ein Ort der Geborgenheit, des Erinnerns und Erfreuens an der Schönheit der Pflanzen, aber gleichzeitig mit körperlicher Anstrengung verbunden, schildert die in der Einrichtung tätige Gartentherapeutin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Ihr gehe es in erster Linie darum, "gute Erfahrungen" zu ermöglichen, sagt sie. Früher hätten viele ihre Hände in die Erde gesteckt, um Kartoffeln oder anderes Gemüse zur Selbstversorgung zu ernten. Die Gartentherapie verschaffe den älteren und pflegebedürftigen Menschen Bewegung an der frischen Luft, verbessere ihre Koordination, Motorik sowie Ausdauer. Die gemeinsame Arbeit gebe ihnen Sicherheit, Anerkennung und mehr Lebensfreude. Blühende, duftende Pflanzen, Muster und Formen – all das wecke Erinnerungen. Und Erinnerungsarbeit sowie Gedächtnistraining seien essenzielle Bestandteile dieser Therapie, die vielfältige Möglichkeiten eröffne. Beispielsweise hat die Gartentherapeutin zehn Teilnehmenden eine Pflanze individuell zugeordnet, die sie hegen und pflegen sollten. Dadurch bekommen sie zweifach eine direkte Rückmeldung: Die Pflanzen zeigen sofort, ob es ihnen gut geht, ihre Mitmenschen äußern Lob oder Kritik. 

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Wie wird Gartentherapie konkret praktiziert?

Die Gartentherapeutin bewirtschaftet in offenen Kleingruppen ein etwa sechs Quadratmeter großes Beet hinterm Haus und zwei Hochbeete. In Absprache werden Blumen, Kräuter wie Waldmeister oder Pfefferminze, ebenso Tomaten und Erdbeeren angebaut und teilweise weiterverarbeitet, zum Beispiel Lavendelkissen gefüllt. Es gibt auch Kübel und neuerdings vertikale Palettenbeete auf dem Balkon, in denen Geranien, Basilikum und andere Pflanzen prächtig gedeihen.

Wie wird das Angebot angenommen?

Von den 66 Bewohnerinnen und Bewohnern, die größtenteils demenziell oder psychisch erkrankt sind, beteiligen sich etwa 15 regelmäßig an der Gartentherapie, die das ganze Jahr über angeboten wird – je nach Arbeitsanfall und Wetterlage – und erleben den Rhythmus der Jahreszeiten hautnah mit. Sie schließen sich nach Auskunft von Corinna Malnati aus eigenem Interesse an oder wurden aufgrund der Biografiearbeit in der Einrichtung von der Gartentherapeutin angeregt, dieses freiwillige Angebot auszuprobieren.

Welche Erfahrungen haben Sie mit dem Gartentherapieangebot gemacht?

"Sie aktiviert unsere Bewohnerinnen und Bewohner", stellen beide Caritas-Mitarbeiterinnen fest und steigere deren Zufriedenheit und Lebensqualität. Mit der Gartentherapie könnten sie auch schwer Demente erreichen, die von anderen Aktivitäten vielfach ausgeschlossen seien. Diese Therapieform sei ein Türöffner für die Kommunikation und fördere die Gemeinschaft. "Wer keine Kraft zur Mitarbeit hat, kann andere anleiten oder wird durch gezielte Nachfragen eingebunden. Alle fühlen sich zugehörig", sagt Corinna Malnati. Und alle haben offensichtlich Freude daran, die Mitarbeitenden eingeschlossen.

Zur Sache

Modellstudie

Der Aufenthalt in der freien Natur ist gesundheitsfördernd. In vielen Menschen wecken Duft und Ästhetik von Pflanzen alte Erinnerungen und neue Lebensgeister. Insbesondere bei Demenzkranken registrieren Pflegeeinrichtungen einer Studie der Krankenkasse IKK und des Instituts Leistung Arbeit Gesundheit zufolge positive Auswirkungen: Sie sind aufmerksamer und empfinden mehr Freude. Welche gesundheitsfördernden Potenziale und Wirkung Parks und Gärten haben, lässt die niedersächsische Landwirtschaftsministerin Barbara Otte-Kinast derzeit in einer Praxisstudie herausfinden. Sie hat dafür 179.000 Euro bewilligt. Der Landpark Lauenbrück ist Träger und Modellprojekt der Studie. Drei Planungsbüros haben dafür über zwei Jahre lang bis Juni 2022 Daten erhoben und werden daraus Handlungsempfehlungen in sieben Arbeitsfeldern ableiten.

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