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Mehrere Mittel zugelassen Bremer Pharmakologe über die Chancen von Corona-Medikamenten

Mehr und mehr werden Medikamente zugelassen, die gegen Corona helfen sollen. Bremens führender Pharmakologe sieht darin keine Alternative zum Impfen. Hoffnung machen ihm die neuen Mittel aber doch.
13.12.2021, 16:14 Uhr
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Bremer Pharmakologe über die Chancen von Corona-Medikamenten
Von Jürgen Hinrichs

Neben der präventiven Impfung treten im Kampf gegen das Corona-Virus mehr und mehr auch Medikamente zur Therapie auf den Plan. Die europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) hat ein weiteres Mittel zugelassen, das Patienten mit schwerem Verlauf helfen soll. Wirkstoffe gibt es auch für das frühe Stadium der Krankheit. Nach Einschätzung des Bremer Pharmakologen Bernd Mühlbauer können die neuen Medikamente unterstützend wirken: "Die klinischen Effekte sind aber bei Weitem nicht so, dass man vom Impfen absehen oder darüber auch nur nachdenken sollte."

Die EU-Zulassung bezieht sich auf das Arzneimittel Tocilizumab des Pharmaunternehmens Roche. Es ist das vierte Covid-Medikament, das in Europa bei der Behandlung von Patienten eingesetzt werden darf, die in einem so kritischen Stadium sind, dass sie Sauerstoff oder Beatmung benötigen. Zehn weitere Präparate befinden sich bei der EMA auf verschiedenen Stufen im Zulassungsverfahren.

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Bislang wird Tocilizumab gegen Rheuma verwendet. Mühlbauer spricht von "Repurposing": Ein bereits für andere Erkrankungen zugelassenes Mittel werde daraufhin getestet, ob es auch gegen Corona wirke – eine Methode, die zur schnelleren Genehmigung führe. Nach Angaben des US-amerikanischen Branchenverbands der Biotechnologie-Industrie werden weltweit zurzeit mehr als 600 verschiedene Medikamente darauf erprobt, ob sie auf die eine oder andere Weise hilfreich gegen Covid-19 sein können. Knapp die Hälfte davon ziele auf eine antivirale Effektivität, der Rest auf immunologische therapeutische Strategien.

Kein Ersatz für Impfung

"Wir unterscheiden zwischen einer frühen viralen und einer späteren immunologischen Phase, die ungefähr neun Tage nach der Erkrankung beginnt", erklärt Mühlbauer. Der Experte leitet die Pharmakologie im Klinikum Bremen-Mitte. Medikamente wie das Mittel Molnupiravir, das ursprünglich gegen Grippe entwickelt worden sei, könnten bei ersten Symptomen die Virusvermehrung im Körper hemmen, im besten Fall dringe das Virus gar nicht erst in die Zelle ein. "Man darf sich aber nichts vormachen", warnt Mühlbauer, "die Arznei ist nicht so effektiv, dass sie ein Game-Changer sein kann." An die Wirkung einer Impfung komme es nicht annähernd heran.

Das sei bei Viruserkrankungen in der Medizingeschichte bislang mit keinem Medikament gelungen. Molnupiravir öder ähnliche Mittel könnten eventuell aber als Vorsorge eingesetzt werden, sollte es den Kontakt zu jemanden gegeben haben, der mit Corona infiziert ist oder bei dem der Verdacht besteht. Der Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité hatte Ende September allerdings gesagt, dass der Einsatz von Antikörper-Medikamenten „fast immer schon zu spät“ sei. Denn bei einem durchschnittlichen Patienten habe sich das Virus bereits zu Beginn der Symptome im Körper stark vermehrt.

Fortschritt mit Cortison

Bei einem schweren Covid-19-Verlauf ist aus Sicht von Mühlbauer der größte medizinische Fortschritt die Cortison-Therapie gewesen: "Daran reicht bislang kein anderes Medikament heran." Auch von dem jetzt zugelassenen Tocilizumab sei das nicht zu erwarten. Das Medikament könne auf die Cortison-Behandlung allenfalls oben drauf gesetzt werden und einen zusätzlichen Effekt erzielen. Der Pharmakologe: "Das ist die Hoffnung, und sie ist nicht unberechtigt. Die Chancen für den Patienten verbessern sich damit wahrscheinlich, aber nicht entscheidend, sondern nur relativ."

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Auch wenn die Arzneien jetzt erst zugelassen wurden – es gibt sie schon seit Monaten in Deutschland. Bereits Anfang 2021 hatte der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) für 400 Millionen Euro 200.000 Dosen Antikörper-Medikamente gekauft. Sie wurden aber nur selten eingesetzt. Kurz bevor Spahn in diesem Monat aus dem Amt schied, schloss er noch einen  Liefervertrag mit dem US-Pharmakonzern Merck. Wie ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums dem »Handelsblatt« mitteilte, erhält Deutschland in den kommenden Monaten 80.000 Einheiten des von Mühlbauer erwähnten Covid-19-Medikaments Molnupiravir. Erste Lieferungen seien noch für Dezember geplant.

Weiteres Medikament im Sommer

Noch ist Molnupiravir nicht durch die EMA zugelassen. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte hat laut Spahn jedoch "aufgrund der vorgelegten Daten" zumindest eine nationale Erlaubnis ausgesprochen. "Unser Ziel ist es, neben Impfstoffen auch vielversprechende Medikamente gegen Covid-19 frühzeitig für Deutschland zu sichern", so Spahn.

Neben den internationalen Pharmariesen sind es auch Firmen wie Corat Therapeutics, die Corona-Medikamente entwickeln. Das Unternehmen aus Braunschweig forscht an einem Antikörper, der nach Angaben von Corat so verändert wurde, dass er auch im späten Stadium der Erkrankung und bei schwerem Verlauf eingesetzt werden könne. Das Mittel müsse per Infusion oder Spritze verabreicht werden. Im Tierversuch habe das gut funktioniert. Ursprünglich, so ein Bericht des NDR, sollte bereits zum anstehenden Jahreswechsel die Zulassung beantragt werden. Doch erst hätten Fördergelder vom Bund gefehlt, dann die Probanden, um das Medikament zu testen. Neue Zielmarke sei jetzt der kommende Sommer.

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