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Gespräch mit Expertin für Antidiskriminierung "Rassismus hat viele Facetten"

Mit der Einstellung einer Referentin für Vielfalt und Antidiskriminierung nimmt die Bremer Polizei deutschlandweit eine Vorreiterrolle ein. Der WESER-KURIER hat Ikram Errahmouni-Rimi zu ihrer Arbeit befragt.
08.06.2021, 15:54 Uhr
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Von Ralf Michel

Kann es sein, dass Sie den undankbarsten Job in der gesamten Bremer Polizei haben?

Ikram Errahmouni-Rimi: Nein, das glaube ich nicht. Warum?

Na ja, es gibt doch den generellen Vorwurf, die Polizei habe ein Rassismusproblem. Die Polizei weist dies natürlich empört zurück. Und nun wurden Sie eingestellt – sozusagen die personifizierte Bestätigung dieses Vorwurfs.

Man kann auch sagen, dass die Polizei selbst aktiv geworden ist, weil sie die Bedeutung des Themas erkannt hat. Ich glaube, das ist eine Frage der Perspektive. Dass ich hier bin, muss nicht zwingender Weise als notwendige Reaktion auf ein vielleicht vorhandenes Problem verstanden werden. Man kann es vielleicht auch als Versuch oder Wunsch sehen, sich strategisch aufzustellen und das Thema sachlich-analytisch zu bearbeiten, insbesondere präventiv. Diesem Themenfeld eine höhere Bedeutung zukommen zu lassen, weil der Bedarf dafür erkannt worden ist.

Ist es nicht auch eine Bringschuld der Polizei, dieses Thema aktiv anzugehen, statt nur auf Vorwürfe zu reagieren?

Sich proaktiv mit diesem Thema auseinanderzusetzen, halte ich für einen notwendigen und hilfreichen Schritt. Übrigens nicht nur bei der Polizei, sondern bei allen Organisationen oder Arbeitgebenden. Die Institution Polizei trägt aber eine besondere Verantwortung dies zu tun, weil sie Grundrechtseingriffe vornehmen darf.

Warum sind Rassismusvorwürfe gerade bei der Polizei ein Thema?

Das kann viele unterschiedliche Gründe haben. Die erste Frage ist, wo man genauer hinguckt, wo es berechtigterweise im Interesse der Öffentlichkeit liegt. Es gibt sicher auch in anderen Berufsfeldern problematische menschenfeindliche Einstellungen. Wenn es um die Polizei geht, gibt es sicherlich viele Faktoren, die Gelegenheitsstrukturen schaffen. Risikofaktoren, die unter Umständen vorhandenes Potenzial verstärken.

Sind Polizisten in dieser Hinsicht vielleicht einseitig durch ihren Berufsalltag geprägt?

Ja, das kann ein Faktor sein. Der Bedarf, sich damit auseinanderzusetzen ergibt sich für mich aber unabhängig von der Frage, ob sie bestimmte Erfahrungen machen oder nicht. Das Thema muss einfach losgelöst von solchen Überlegungen behandelt werden. Wenn Sie fragen, ob Polizisten durch ihren Job dafür prädestiniert sind oder eine höhere Wahrscheinlichkeit besteht, dass sich diese unerwünschten Tendenzen entwickeln, dann kann ein Faktor tatsächlich der erhöhte negativ geprägte Minderheitenkontakt sein. Es gibt aber sicher noch weitere Faktoren, über die man sich Gedanken machen müsste.

Welche?

Beispielsweise die Frage der Homogenität. Polizeiorganisationen sind relativ homogen zusammengesetzt: relativ gut bürgerlich, relativ männlich geprägt, relativ ohne Einwanderungsgeschichte. Damit ist auch der Blick auf die Gesellschaft relativ homogen. Was den notwendigen Perspektivwechsel erschwert.

Hat denn die Polizei ein strukturelles Problem mit Rassismus, wie es ihr unlängst die SPD-Vorsitzende Saskia Esken attestierte?

Bei dieser Frage ist es genauso wie mit dem Rassismus-Begriff. Da muss man erst mal herausarbeiten, worum es eigentlich geht. Man liest überall von diesem Strukturbegriff, dem dann der sogenannte Einzelfall diametral gegenübergestellt wird. Ich halte das für keine sinnvoll geführt Diskussion. Sondern möchte eher die konstruktive Frage stellen, wie man unerwünschtes Verhalten auf einer organisationalen Ebene sichtbar machen und es nachhaltig ändern kann.

Ist es denn angesichts der überhitzten Rassismus-Debatte derzeit überhaupt möglich, lösungsorientiert zu arbeiten? Ich habe oft den Eindruck, dass es wichtiger ist, sich zu positionieren und auf der richtigen Seite zu stehen, als die Probleme tatsächlich anzugehen.

Ich glaube, da gibt es eine Reihenfolge. Und das Anerkennen der Problematik ist der erste Schritt. Insofern ist es nicht sehr produktiv, infrage zu stellen, ob das Problem so groß ist, wie es dargestellt wird. Aus meiner Sicht besteht die Problematik bei der Rassismusdebatte unter anderem darin, dass die meisten Menschen bei der Bewertung dessen, ob etwas Rassismus ist oder ob wir ein Rassismusproblem haben, dies nur vor dem Hintergrund ihrer eigenen Erfahrungswerte tun. Ob wir glauben, dass etwas wirklich passiert, ob wir etwas für möglich oder für problematisch halten, bewerten wir häufig nur vor dem Hintergrund unseres eigenen Erfahrungsschatzes.

Wenn ich nicht betroffen bin, kann ich es auch nicht wirklich beurteilen?

Nein, nicht unbedingt. Aber, wenn Menschen Rassismus bewerten, denen bestimmte Lebensrealitäten fehlen, die bestimmte Perspektiven und Erlebnisse in ihrem Leben nicht gehabt haben, dann ist es schwierig, wenn man die Problematik nicht als solche anerkennt. Wenn man nicht in Betracht zieht, dass es sich wirklich um ein Problem handeln könnte, dass einem bisher nur einfach nicht geläufig oder bewusst war. Ich glaube, dass dieses Bewusstsein der erste Schritt zu einer konstruktiven Lösung ist.

Und der zweite?

Dass man sich mit dem Begriff und dem Phänomen Rassismus ordentlich auseinandersetzt. Das bedeutet zum Beispiel, dass man Rassismus nicht einfach mit Rechtsextremismus gleichsetzt. Also mit einer ideologischen,  menschenfeindlichen, die Demokratie zerstörenden Gesinnung. Das ist nämlich nur die Spitze des Eisbergs.

Ich erkenne Rassismus nicht, weil ich Rechtsextremismus so vehement ablehne?

Es ist wichtig, zu verstehen, dass die Rassismusdebatte bei mir vielleicht immer für eine Ablehnungshaltung gesorgt hat, weil ich sie mit etwas in Verbindung gebracht habe, was ich zu recht nicht sein will – rechtsextrem.

Wo beginnt denn für Sie Rassismus?

Rassismus hat viele Facetten. Deshalb glaube ich, ein weiterer sehr hilfreicher Schritt neben dem Anerkennen von Lebensrealitäten anderer Menschen wäre eben, sich damit auseinanderzusetzen, dass man durchaus rassistisch handeln kann, ohne das zu beabsichtigen. Dass man sich im Rahmen des eigenen Jobs auch und gerade als Polizist unter Umständen rassistisch verhält, ohne das zu beabsichtigen. Was nicht heißt, dass es nicht auch Menschen geben kann, die rassistisch handeln, weil sie rassistisch handeln wollen.

Was folgt aus dieser Erkenntnis?

Vielleicht einzuräumen, dass die eigenen Denkstrukturen und Erwartungshaltungen einfach so sehr von Alltagserfahrungen und anderen Faktoren, wie der eigenen Sozialisation, geprägt sein können, dass sie im Ergebnis vielleicht zu einer Ungleichbehandlung führen. Aber wie gesagt: Das ist kein Polizeiproblem. Das täte allen Berufsgruppen gut.

Und wie bringen Sie Ihre Polizeikollegen jetzt konkret zu mehr Selbstreflexion? Gemeinhin herrscht hier doch eher so eine Art Wagenburgmentalität: Wir sind die Guten. Wir machen alles richtig. Eine Frechheit, das überhaupt infrage zu stellen!

Bei aller Homogenität, ich erlebe doch Unterschiede. In Qualifizierungsmaßnahmen und im direkten Kontakt begegne ich sehr reflektierten, sehr aufgeschlossenen Polizistinnen und Polizisten, die dahingehend auch noch besser werden wollen. Ich erlebe aber durchaus auch die gerade von Ihnen skizzierte Abwehrhaltung. Die Selbstreflektion zu stärken ist jedoch nur ein Teil meiner Aufgaben. Es geht auch darum, auf Fehler in der Formalstruktur zu schauen. Gibt es Risikofaktoren? Was sind die Spannungsfelder, was kann eventuell auch unbewusst unerwünschtes Verhalten befördern? Ein persönliches Ziel für mich wäre,  dahin zu kommen, dass die Kollegen dies überhaupt als Mehrwert anerkennen. Dass es ihnen selber nützt, sich mit dieser Thematik auseinanderzusetzen. Auf jeden Fall sehr viel mehr, als dies nicht zu tun.

Wie gehen Sie dieses Ziel an? Wie sieht ein typischer Arbeitsalltag einer Referentin für Vielfalt und Antidiskriminierung aus?

Die Idee war, dass ich viel strategisch arbeite. Bisher habe ich viel Zeit dafür aufgewendet, die Organisation zu verstehen, die Menschen kennenzulernen. Ich habe Gruppendiskussionen geführt, habe hospitiert, bin Streife mitgefahren. So habe ich versucht, mir einen Eindruck über den Status quo zu machen. Welches Rassismusverständnis gibt es eigentlich hier und was macht das mit den Kollegen? Aber auch ihre Perspektive zu verstehen und die Rahmenbedingungen, unter denen sie arbeiten. Die dürfen bei der Bewertung nicht außen vor bleiben. Wo liegen aus ihrer Sicht die Probleme und Konflikte? Wie glauben sie selbst, dieses Thema am besten bearbeiten zu können?

Strategisch arbeiten klingt sehr nach Theorie. Nach Konzepten, Plänen und viel Papier. Gibt es auch einen Praxisteil? Wo kommen Sie mit Ihren Kollegen in Berührung?

Nichts ist so praktisch wie eine gute Theorie. Ins Blaue hineinzuarbeiten, widerstrebt mir.  Insofern war das für mich tatsächlich der strategische Teil: mich verstärkt theoretisch im Polizeikontext mit der Problematik auseinanderzusetzen. Der nächste Schritt ist nun, dieses Wissen auch in Tun umzusetzen.

Und wo bleibt jetzt der Kontakt zu den Kollegen?

Das alles geschieht durch Beteiligungsprozesse. Wenn ich mein Konzept schreibe, mache ich das ja nicht alleine in meinem Zimmer, sondern ich lade Polizisten zu Workshops ein, im Moment wegen Corona natürlich online. Ich führe auch Gespräche mit den Gewerkschaften. Da gehen wir die einzelnen Thesen praktisch durch. Also: Kann dies oder das wirklich so sein? Wie bewerten Sie das? Glauben Sie, das würde Ihnen helfen? Was würde Ihnen helfen? Ich bringe vielleicht Professionswissen mit, was hilfreich ist, aber ich bin ja nicht polizeilich sozialisiert. Und ich erkenne die Grenzen meiner Lebensrealitäten und Erfahrungen an. Deshalb brauche ich natürlich die Unterstützung der Menschen, die das täglich tun.

Sind Sie bei Streitigkeiten in vermittelnder Funktion tätig? Versuchen Sie, beide Parteien zusammenzusetzen und zu einer Einigung zu bewegen?

Nein. Das sehe ich als die klassische Aufgabe eines oder einer unabhängigen Polizeibeauftragten an. Aber ich nehme schon wahr, dass man in solchen Fällen meine Expertise gerne mit einbezieht. Wenn es thematische Anknüpfungspunkte gibt, wo ich beraten kann, dann tue ich das sehr gerne.

Um Sie unseren Lesern ein wenig vorzustellen: Verraten Sie uns etwas über Ihren privaten und beruflichen Werdegang?

Gerne. Ich bin in 1986 Bonn geboren und dort auch aufgewachsen, bin verheiratet und Mutter. Ich bin Juristin mit dem Schwerpunkt Antidiskriminierung. Vor meiner Anstellung bei der Bremer Polizei war ich war lange beratend tätig. Habe Menschen, die im Arbeitskontext von Diskriminierung betroffen waren, geholfen, ihre Situation zu verbessern. Aber auch Organisationen und Arbeitgeber dabei unterstützt, ihr Arbeitsumfeld diskriminierungssensibler zu machen. Nicht nur zum Thema Rassismus, auch bei Sexismus oder bei Homo- und Transfeindlichkeit und anderen Diskriminierungsmerkmalen.

Sie heißen Ikram Errahmouni-Rimi. Um Sie unseren Lesern vorzustellen, läge die Frage nach Ihren familiären Wurzeln zumindest nahe. Nun habe ich im Zuge der jüngsten Diskussionen aber begriffen, dass sich so eine Frage verbietet, obwohl ich sie aus beruflicher Sicht eigentlich stellen müsste. Und schon fange ich an, herumzueiern. Wird die Rassismus-Debatte an dieser Stelle nicht arg verkrampft?

Man kann auch eine andere Perspektive einnehmen. Wenn man ständig gefragt wird, woher man kommt, wo man doch aber Deutsche ist und auch noch nie woanders gelebt hat, dann kann das auf lange Sicht eine Nichtzugehörigkeit suggerieren. Ich habe Verständnis dafür, dass Leute das Bedürfnis haben, als selbstverständlicher deutscher Teil der Gesellschaft wahrgenommen zu werden. Also finde ich das nicht verkrampft, aber ich habe ja auch eine andere Perspektive. Und warum ist das wichtig? Ich selbst habe nun mal keine Einwanderungsgeschichte. Ich bin Bonnerin oder Rheinländerin und nun Bremerin. Nur mein Name ist eben anders.

Es ist nicht wichtig, stimmt. Nennen Sie es Interesse an Ihrer Person. Oder auch einfach nur Neugier.

Ich habe aber auch überhaupt kein Problem damit, Ihnen zu sagen, dass meine Eltern aus Marokko nach Deutschland eingewandert sind. Das sind meine Wurzeln. Aber mir geht es darum, ein wenig dafür zu sensibilisieren, dass dieser Punkt überhaupt keine Rolle spielt. Dass sich die Gesellschaft so langsam daran gewöhnen könnte, dass deutsche Menschen eben auch Ikram Errahmouni-Rimi heißen können.

Das Gespräch führte Ralf Michel.

Zur Person

Ikram Errahmouni-Rimi

ist 35 Jahre alt und gebürtige Bonnerin. Seit Oktober 2020 arbeitet die Juristin als Referentin für Vielfalt und Antidiskriminierung bei der Bremer Polizei.

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