Frau Riedel, Sie haben in den ersten zwei Jahren Ihrer Tätigkeit als Bremer Polizeibeauftragte 143 Anliegen bearbeitet. Wie ordnen Sie diese Zahl selbst ein?
Sermin Riedel: Wir sind total zufrieden mit dieser Zahl. Weil wir in diesem Zeitraum ja mit sehr vielen Dingen parallel beschäftigt waren – die Stelle aufbauen, Ziele definieren, uns bekannt machen, Netzwerke aufbauen, an vielen Stellen überhaupt erst mal die Aufgaben und Funktionen einer Polizeibeauftragten zu erklären. Dazu kommt dann ja auch noch das Fallaufkommen bei der Feuerwehrbeauftragten, das ebenfalls parallel bearbeitet wurde. Dass wir trotzdem diese Zahl erreicht haben, sagt uns, dass ein Bedarf besteht. Die ersten Eingaben und Beschwerden kamen übrigens schon, bevor mein Büro überhaupt eingerichtet war.
Gut zwei Drittel der Fälle konnte durch „Information und Beratung“ abgeschlossen werden. Was bedeutet das?
Das sind vor allem Fälle, wo wir erklären mussten, warum die Polizei so handelt, wofür die Polizei da ist, wofür sie zuständig ist, aber eben auch, was nicht mehr Polizeiarbeit ist. Beispielsweise Nachbarschaftsstreitigkeiten.
In weiteren neun Prozent der Beschwerden fanden „vermittelnde Gespräche“ statt. Heißt das, dass Sie die Bürger und Polizeibeamte an einen Tisch gebracht haben?
Ja, manchmal war das so. Manchmal war auch die Polizeiführung involviert. Das waren dann häufig Fälle, in denen die Polizei in einer Art und Weise vorgegangen ist, wo es zumindest auch Alternativen gegeben hätte.
Und was waren die verbleibenden 22 Prozent?
Dahinter verbergen sich unter anderem Fälle, bei denen wir gar nichts erreichen konnten. Etwa, weil sich die Sachverhalte nicht mehr aufklären ließen. Übrigens auch, weil sich Menschen, die sich an uns gewandt hatten, im Laufe des Verfahrens wohl das Interesse verloren und nicht mehr für uns erreichbar waren. Und dann sind das Fälle, wo wir gemerkt haben, dass es in den Strukturen gewisse Parameter gibt, die ein bestimmtes Verhalten fördern. Dann lösen wir uns von dem Einzelfall und geben Handlungsempfehlungen an die betroffene Organisation. Etwa, dass es sich lohnt, in diesem Bereich Nachschulungen oder Weiterbildungen anzubieten.
Geben sich denn Bürger, die mit ihren Problemen zu Ihnen kommen, damit zufrieden? Dass Sie auf einer allgemeinen Ebene Nachschulungen empfehlen? Wollen die nicht viel mehr, dass der Polizist, über den sie sich beschweren, dafür zur Verantwortung gezogen wird?
Tatsächlich sind die Bürger in den meisten Fällen damit zufrieden. Das liegt daran, dass wir damit sehr transparent umgehen. Wir erklären den Menschen sehr genau, wie wir bei ihrer Beschwerde vorgehen. Und wir fragen sie, was sie sich wünschen. Wenn dann gesagt wird: „Ich hätte gerne, dass da jetzt einer mal so richtig einen auf den Deckel kriegt“, dann klären wir auf, dass das nicht die Aufgabe einer Polizeibeauftragten ist. Wir haben natürlich Wege, ein Thema an die disziplinarischen Vorgesetzten oder sogar die Strafverfolgungsbehörden weiterzuleiten, wo die individuelle Vorwerfbarkeit geprüft wird. Aber das ist dann nicht mehr unsere Aufgabe, da sind wir raus.
Sie berichten von Beschwerden über Polizeigewalt. Sind das nicht von vornherein Fälle für die strafrechtliche Verfolgung?
Richtig, in solchen Fällen sieht das Gesetz sogar ausdrücklich vor, dass die Polizeibeauftragte nachgeordnet arbeitet. Entsprechend beraten wir darüber. Wir können das dann weiterleiten, aber häufig haben die Betroffenen ohnehin schon vorher Anzeige erstattet.
Haben Sie Vorschläge, wie der Polizeigewalt begegnet werden kann?
Ich muss vorweg betonen, dass wir keine Hinweise in Bremen und Bremerhaven zu einem Problem mit gewalttätigen Polizisten und Polizistinnen haben. Wenn es aber vereinzelt Beschwerden hierzu gibt, ist die Beweisführung schwer. Wegen der asymmetrischen Machtverhältnisse zwischen Polizei und Bürgern und der oft fehlenden unabhängigen Beweismittel. Eine flächendeckende Nutzung von Bodycams wäre hier vielleicht eine wichtige technische Unterstützung.
Sie erwähnen verschiedene Fallbeispiele für Diskriminierung und rassistische Zuschreibungen. Mit Verlaub: Immer noch? An diesem Thema arbeitet die Bremer Polizei doch schon seit Jahren.
Es bleibt ein Thema. Offensichtliche Fälle haben wir zwar nicht, da sind wir in Bremen tatsächlich sehr weit. Aber es gibt unbewusste Zuschreibungen, vermeintliches Erfahrungswissen und Stereotype, denen man nachhängt.
Haben Sie dafür ein Beispiel?
Bei einem Verkehrsunfall war die Polizei als erstes vor Ort. Verunfallt war eine schwarze Person. Der Mann berichtete anschließend, dass man von ihm, noch bevor man sich zu seinen Verletzungen und seinem Gesundheitszustand erkundigte, seinen Ausweis forderte und er gefragt wurde: „Kennen wir uns nicht vom Bahnhof?“ Das hat diesen Menschen zutiefst gekränkt und verletzt.
Im Zusammenhang mit dem Polizeistudium berichten Sie von Diskriminierungen und autoritärem Führungsstil und empfehlen eine umfassende Befragung der Studierenden. Ein vernichtendes Urteil für die Lehrkräfte, oder?
Wir haben da viele Gespräche geführt und ein sehr differenziertes Bild erhalten. Sowohl, dass sich viele Studierende sehr wohl und gut aufgehoben fühlen. Aber eben auch das andere Bild. Das hat uns alarmiert. Die meisten Dinge an der Hochschule laufen sicher gut, aber eben nicht alle. Und vielleicht wird auf die nicht ausreichend geblickt. Zunächst geht es ja nur um ein Gefühl. Es gibt Menschen, die sich diskriminiert fühlen. Aber auch das muss ernstgenommen und aufgeklärt werden. Daher diese Empfehlung. Wir selbst haben für so eine Befragung nicht die Kapazitäten.
Vor der Einrichtung der Stelle der Polizeibeauftragten gab es Bedenken und Vorbehalte. Von Misstrauen gegenüber der Polizei war die Rede. Wie hat sich dies aus Ihrer Sicht entwickelt?
Ich bin eigentlich ganz zufrieden. Es gibt sicher Vorbehalte und Menschen, die so eine Stelle für nicht sinnvoll halten. Die Erfahrung in den Gesprächen ist aber genau eine andere. Nämlich, dass es ganz gut gelingt, den Mehrwert dieser Stelle und deren Sinnhaftigkeit zu beschreiben. Und dass Berührungsängste sehr schnell verfliegen, wenn wir in den ersten Kontakt kommen. Ich stoße eigentlich überall auf eine offene und interessierte Haltung.