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SPD-Basis über Schröder "Würdeloses Verhalten"

Auch an der Basis der Bremer SPD wird über Altkanzler Gerhard Schröder und seinen Russland-Kurs diskutiert. Was Genossinnen und Genossen denken, und welche Maßnahmen sie fordern.
26.04.2022, 20:15 Uhr
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Von Nina Willborn

Die Weigerung, seine geschäftlichen Verbindungen zu russischen Energieunternehmen zu kappen, das distanzlose Festhalten an seiner Freundschaft zum russischen Präsidenten Wladimir Putin: Altbundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) steht wegen seines russlandfreundlichen Verhaltens seit Wochen in der massiven öffentlichen Kritik – auch seiner eigenen Partei. Was bis zum Angriffskrieg auf die Ukraine argwöhnisch beäugt wurde, führt seither vermehrt zu offen ausgesprochenen Ermahnungen. Am Montag hatte die SPD-Bundesvorsitzende Saskia Esken den ehemaligen Kanzler aufgefordert, aus der Partei auszutreten. Eine Alternative wäre ein Ausschlussverfahren gegen Schröder, ein solches haben inzwischen mehr als ein Dutzend regionaler SPD-Vereine beantragt. 

So weit gehen die Bremer Genossinnen und Genossen nicht, aber auch innerhalb der Bremer SPD ist Gerhard Schröder ein Thema: Für den Landesparteitag Mitte Mai in Bremerhaven gibt es zwei inhaltlich übereinstimmende Anträge mit dem Titel "Gerhard Schröder ist untragbar", ursprünglich von den Bremerhavener Jusos. Die – von der aktuellen Austrittsforderung überholte – Linie: Der ehemalige Bundeskanzler möge unverzüglich von seinem Aufsichtsratsposten bei dem russischen Energiekonzern Rosneft zurücktreten, seine Tätigkeiten bei den Pipeline-Gesellschaften Nord Stream und Nord Stream 2 aufgeben und sich von Kreml-Chef Wladimir Putin distanzieren. "Wir unterstützen die Position unseres Bundesvorstands", sagt Roland Pahl, SPD-Landesgeschäftsführer, entsprechend empfehle der Vorstand auch die Annahme der Anträge.

Auch an der Basis der Bremer SPD überwiegt die Enttäuschung über den Altkanzler. "Ich wähle seit 1969 die SPD und fand Gerhard Schröder früher immer toll", sagt zum Beispiel Rolf Eickhoff, Mitglied im Ortsverein Blumenthal. "Seine Reform-Agenda, die Position für die Nichtteilnahme am Irak-Krieg. Aber jetzt bin ich total enttäuscht von ihm. Vielleicht hat er nicht gewusst, was Wladimir Putin wirklich vorhat, aber er hätte längst die Reißleine ziehen müssen." Was den 73-Jährigen besonders stört, ist, dass sich Schröder seiner Meinung nach inzwischen weit von den Zielen und Idealen der SPD entfernt hat. "Er ist schon lange nicht mehr sozial, aber sich keiner Schuld bewusst."

Ich kann die Anträge für einen Parteiausschluss verstehen.
Holger Gatz

Auch für Eickhoffs Ortsvereinskollegen Holger Gatz hat Schröder sein Ansehen eingebüßt. "Ich wünschte, er hätte in letzter Zeit einfach den Mund gehalten", sagt Gatz, den Schröders Kanzlerkandidatur 1998 zum Eintritt in die SPD bewegt hatte. Umso größer ist jetzt seine Enttäuschung. "Ich bin auf jeden Fall dafür, dass er seine Ämter aufgibt", sagt er. Schröder habe immer gezeigt, dass er seinen eigenen Kopf habe, inzwischen riskiere er mit seinem Alleingang aber auch den Ruf der SPD. "Deshalb kann ich auch die Anträge für einen Parteiausschluss verstehen", sagt Gatz.

Wenig Amtsbonus hat Schröder bei Jusos wie Lizza Besecke, Vorsitzende der Jugendorganisation der Partei in Bremen-Nord, und Jonas Elster – alleine aufgrund ihres Alters gehören sie zur "Generation Merkel". "Gerhard Schröder hängt viel zu sehr an seinen Posten und dem Geld, was er dort verdient", sagt die 28-Jährige. Aus ihrer Sicht ist es für einen Sozialdemokraten auch unabhängig von der aktuellen Situation schwierig, sich nach der Politkarriere auf die Wirtschaft zu fokussieren. Dass Schröder sein Parteibuch freiwillig abgibt, glaubt sie nicht. Jonas Elster nennt Schröders Verhalten "würdelos". "Auch ohne sozialdemokratisches Parteibuch wäre sein Verhalten und die Aktionen der letzten Zeit zu verurteilen", sagt der 23-Jährige.

Ich frage mich, ob es Altersstarrsinn ist.
Kirsten Löffelholz

Für Kirsten Löffelholz (Ortsverein Vegesack) ist der ehemalige Regierungschef ebenfalls "nicht mehr tragbar" innerhalb der SPD. Ihre Hoffnung: Dass Wähler Schröders Positionen von denen der Partei trennen. "Ich frage mich, ob der Grund für sein Verhalten Altersstarrsinn ist", sagt sie. Diesen vermutet auch Sunke Herlyn (Ortsverein Schwachhausen-West) als Teil der Motivation Schröders. "Beratungsresistent" lautet sein Urteil. Beide halten einen Parteiausschluss angesichts der hohen Hürden und nicht zuletzt den Erfahrungen mit Thilo Sarrazin, der nach jahrelangen Streitigkeiten seit 2020 ausgeschlossen ist, für schwierig. "Ich glaube, Schröder wird die Parteispitze vor sich hertreiben und sie schmoren lassen", sagt Herlyn.

Ähnlich sieht es Jakob Niederwestberg (Ortsverein Altstadt-Mitte). "Ein Parteiausschluss ist die letzte Möglichkeit", sagt der 29-Jährige. Menschlich, so der Sozialdemokrat, sei der Russland-Kurs des Altkanzlers nicht nachzuvollziehen. Aus demselben Ortsverein äußert sich auch Jens Elsner "deutlich enttäuscht" über Schröders Uneinsichtigkeit. "Dass inzwischen über EU-Sanktionen gegen ihn diskutiert wird, ist hochnotpeinlich für Deutschland", sagt er. "Es wäre vorzuziehen, wenn Gerhard Schröder das selbst einsehen würde."

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