Man möge von emotionalen Ausbrüchen Abstand nehmen, hatte der Vorsitzende Richter Helmut Kellermann die Zuschauer, fast alle Verwandte des Angeklagten, ermahnt, bevor er das Urteil sprach, das den Todesschützen aus dem Rewe-Markt in Oslebshausen für lange Zeit ins Gefängnis bringen wird. Es blieb dann auch still im Saal 218 des Landgerichts, als Kellermann das Strafmaß verkündete: zwölf Jahre Freiheitsstrafe. Erst nachdem der Richter seine Urteilsbegründung beendet hatte, fielen dem Verurteilten seine Ehefrau und seine Mutter weinend um den Hals.
Die Hintergründe des Falls, bei dem ein 31-jähriger Deutscher aus einer Sinti-Familie am 2. November 2017 seinen 25-jährigen Cousin mit fünf Schüssen niederstreckte, vier davon tödlich, sind für Nicht-Sinti schwer zu verstehen. Der Ausgangspunkt eines monatelangen Streits zwischen den beiden Familien war im April 2017 eine Auseinandersetzung um verschwundene Angel-Würmer und als deren Folge ein Streit um die Verwendung der bei Sinti und Roma schwersten Beleidigung "Hebamme" gewesen. Als Folge hatte sich nach Ansicht des Gerichts die Angststörung, unter der der Angeklagte sowieso schon gepaart mit einer Persönlichkeitsstörung litt, noch verstärkt. Deshalb folgte die Kammer nicht der Forderung der Staatsanwaltschaft – lebenslänglich wegen Mordes – und senkte das Strafmaß auf zwölf Jahre. Die Verteidigung hatte auf Freispruch plädiert.
Gericht sieht Heimtücke
Das Mordmerkmal der Heimtücke sah das Gericht erfüllt. "Wer fünf Mal auf einen Menschen schießt und ihn vier Mal in den Oberkörper trifft, rechnet damit, dass er diesen tötet. Seine Angststörung sorgte dafür, dass sich der Angeklagte nicht normal verhielt. Aber dass sein Opfer arglos und wehrlos war, diese Situation hat er erkannt", sagte Kellermann. "Wegen eines zufälligen Zusammentreffens, das drei Sekunden dauerte, sind jetzt ein Mann tot und vier Kinder traumatisiert, zwei davon schwerst." Bei der Beurteilung der Tat half dem Gericht sehr, dass 13 Kameras das Geschehen im Supermarkt aufgenommen hatten. Kellermann: "Wir sind Bild für Bild durchgegangen und konnten die Tat weitgehend aufklären."
Anders als in einer Schilderung, die der Angeklagte zu Prozessbeginn hatte verlesen lassen, gab es nach Ansicht der Richter keine längere Auseinandersetzung vor der Tat, nach der der Angeklagte davon ausgehen musste, er würde gleich von seinem Cousin angegriffen und müsse deshalb zuerst auf ihn schießen. "Manchmal schlägt das Gedächtnis Kapriolen zur eigenen Rechtfertigung. Es kann nicht so passiert sein, wie Sie es darstellen. Das zeigen die Bilder", sagte Kellermann. Der Verurteilte schüttelte den Kopf.
Am Ende seiner Urteilsbegründung wandte sich Helmut Kellermann an die Angehörigen. Zu Beginn des Prozesses hatte die Frau des Opfers, die als Zeugin auftrat, den Angeklagten wüst beschimpft. Um weiteren Ärger im Gerichtssaal zu vermeiden, hatte man sich darauf verständigt, dass sich die Familien beim Besuchen der Verhandlungstage abwechseln. "Meine größte Furcht ist es, dass die beiden Familien es nicht bei dem Urteil bewenden lassen", sagte der Vorsitzende Richter. "Deshalb meine Bitte an alle: Lassen Sie es gut sein. Nehmen Sie es hin, sorgen Sie dafür, dass nicht noch mehr passiert. Es ist genug Schaden angerichtet worden." Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
++ Aktualisiert und erweitert um 18.50 Uhr. ++