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Nach Schießerei in Oslebshausen Staatsanwaltschaft will lebenslange Haft für Bremer Supermarkt-Schützen

Im Prozess vor dem Bremer Landgericht gegen einen Mann, der seinen Cousin in einem Supermarkt mit vier Schüssen tötete, liegen Anklage und Verteidigung in ihren Plädoyers weitestmöglich auseinander.
11.06.2018, 13:37 Uhr
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Staatsanwaltschaft will lebenslange Haft für Bremer Supermarkt-Schützen
Von Nina Willborn

Ein Mann betritt an seinem 31. Geburtstag, es ist der 2. November 2017, gegen 10 Uhr morgens den Rewe in Oslebshausen. Eigentlich will er dort nur Kuchen für die spätere Feier kaufen. Zwischen den Regalen trifft der Mann auf einen entfernten Cousin, 25 Jahre alt, es gibt einen kurzen Wortwechsel. Der 31-Jährige zieht eine Waffe und feuert fünf Mal auf den Jüngeren, vier Schüsse treffen tödlich.

Es ist kein einfacher Fall, der am Montag vor dem Bremer Landgericht mit den Plädoyers in seine Schlussphase gegangen ist. Das zeigt schon die weite Spanne, die sich zwischen den Forderungen der Staatsanwaltschaft – lebenslänglich wegen Mordes – und der Verteidigung – Freispruch wegen Notwehr – auftut. Die Tat führte die Kammer um den Vorsitzenden Richter Helmut Kellermann zur intensiven Beschäftigung mit Sitten und Ehrenkodizes der Sinti. Opfer und Täter (ist deutscher Staatsbürger) stammen aus einem Familienclan. Streitigkeiten werden bei den Sinti normalerweise von einem Ältestenrat gelöst, der zum Beispiel einen Faustkampf anordnen kann, die Polizei bleibt außen vor. Den Schüssen im Supermarkt war ein Familienstreit vorausgegangen, der seinen Anfang in einer Auseinandersetzung bei einem Angelausflug 2017 um verschwundene Köder genommen hatte.

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Während des Prozesses hatten Angehörige beider Familienzweige ausgesagt. Diese – um die jeweils eigene Seite zu schützen auch einander widersprechenden – Aussagen wiederholte die Staatsanwältin detailliert in ihren knapp zweistündigen Ausführungen. Sie sah insgesamt das Mordmerkmal der Heimtücke erfüllt, denn der Angeklagte habe sein Opfer überrascht und niedergeschossen, als es sich in hilfloser Lage befand. Zudem habe der Angeklagte vorher mit seiner Waffe, einer 22-Millimeter-Pistole, im Wald geübt. "Er hat sich gedanklich vorher mit der Situation beschäftigt", sagte die Staatsanwältin, die weite Teile der Schilderung von Tat und Vorgeschichte des Angeklagten als Schutzbehauptung bewertete. Der 31-Jährige hatte sich vor Gericht nicht geäußert, aber zum Auftakt eine autorisierte Schilderung verlesen lassen.

Die Verteidigung des Angeklagten zog andere Schlüsse. Die Tat könne man nur verstehen, wenn man die von einem Gutachter bestätigte Angststörung des Angeklagten berücksichtige. Die Familie des Angeklagten leide unter einer "paranoiden Grundstimmung", sagte einer der beiden Verteidiger – unter einem die Generationen übergreifenden Trauma aufgrund der Verfolgung der Sinti während des Nationalsozialismus. "Sie haben eine diffuse Angst, dass sie verfolgt werden und mit etwas Schlimmem rechnen müssen", sagte der Verteidiger. Beim Angeklagten habe sich die diffuse Paranoia nach dem Angel-Streit in eine konkrete Vorstellung einer Bedrohung gewandelt, sie sei das auslösende Tat-Motiv.

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Zudem könne die Angststörung von seinem dauerhaften Haschischkonsum – auch bei der Tat war er bekifft – beeinflusst gewesen sein. Der laute Wortwechsel im Supermarkt habe beim Angeklagten die Vorstellung ausgelöst, dass der andere gleich auf ihn schießen werde. Er sei in Panik geraten und habe dann selbst zuerst geschossen. Der Angeklagte handelte nach Ansicht der Verteidiger aus Notwehr, müsse also freigesprochen werden. Für den Fall, dass das Gericht einen sogenannten Erlaubnistatsbestandsirrtum des Angeklagten annimmt – also, dass er fälschlicherweise annahm, bedroht worden zu sein – stellten die Anwälte Antrag auf eine Bewährungsstrafe. Sollte die Kammer die Tat nicht als Notwehr beurteilen, fordere man wegen Totschlags mit verminderter Schuldfähigkeit nicht mehr als sechs Jahre Haft. Das Urteil fällt am Mittwoch, 13. Juni, um 15 Uhr.

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