Vor der Curry-Kitchen herrscht Hochbetrieb. Der Imbisswagen an der Konsul-Smidt-Straße gegenüber von Speicher 1 ist an diesem Mittag regelrecht umlagert. Und natürlich, was sonst, denn anderes gibt es nicht – selbstverständlich wird Pommes gegessen, gerne mit der Currywurst in Gourmet-Metzger-Qualität, wie die Betreiber versprechen. Der Klassiker eben. Die Fritten nach belgischer Art haben einen kräftigen Geschmack, am besten nimmt man sie mit Joppiesauce, einer Mischung aus Mayonnaise, Zwiebeln und Currygewürz.
„Das sind alles Joppie-Junkies“, sagt Fabsi („nenn’ mich Fabsi“) über ihre Kunden. Die 40-Jährige steht hinterm Tresen, zu dem man wie auf dem Siegertreppchen hinaufsteigen muss. Wer oben ist, hat gewonnen und wird bedient: Pommes groß oder klein, zur Wurst verschiedene Saucen, und Zwiebeln in jedweder Form.
Die Curry-Kitchen gibt es seit zwölf Jahren in der Überseestadt, sie macht sich auf, hat es vielleicht schon geschafft, im Hafenquartier eine Institution zu sein, so wie woanders in dem Gebiet das Hafen-Casino oder die Anbiethalle. Viel Tradition, aber auch viel Moderne in den Büros und Lofts der Agenturen und Dienstleister, die sich nach und nach angesiedelt haben. Der Masterplan für die Überseestadt, auf dem diese Entwicklung fußt, wird in wenigen Monaten 20 Jahre alt. Anlass, eine Bilanz zu ziehen.
Zusammen mit Fabsi steht Florian Demit im Imbisswagen, er ist der Inhaber. Das „Du“ gehört bei Curry-Kitchen zum Programm. „Es kommen viele Stammkunden“, sagt Demit, „manchmal fühlen wir uns wie Barkeeper, die mit ihren Gästen Spaß haben, sich aber auch ihre Seelennöte anhören.“ Das Publikum sei sehr gemischt: „Hier haste alle, vom Handwerker bis zum Millionär“, erzählt der 43-Jährige.
Eher zur zweiten Gattung gehört Lüder Kastens. Er steht am Nebentisch und isst das, was man hier isst, „lecker“, sagt Kastens, „Qualität“. Der Unternehmer wird nichts dagegen haben, wenn man ihn als bunten Hund bezeichnet. Er ist ungemein rührig, tanzt auf vielen Hochzeiten, betreibt zum Beispiel die Union Brauerei, und besitzt in der Überseestadt den Schuppen 1, eine Erfolgsgeschichte: „In den vergangenen zehn Jahren hatten wir nicht einen Quadratmeter Leerstand.“ In dem lang gezogenen Gebäude versammeln sich unter anderem luxuriöse Büro- und Wohnlofts, zwei große Restaurants, ein Fitnesscenter und das Zentrum für Automobilkultur. „Insgesamt 22.000 Quadratmeter“, sagt Kastens.
Der Unternehmer beherbergt auch Firmen, die E-Commerce betreiben, den Handel im Internet. Sie sind auf eine hervorragende Infrastruktur angewiesen, und genau da, erklärt Kastens, fangen die Probleme in der Überseestadt an. Technisch, beim Datennetz, das nicht im Entferntesten ausreiche, und verkehrlich auf den Straßen, die in den Stoßzeiten morgens und abends hoffnungslos überfüllt seien: „Das ist überall im Hafen ein großes Thema.“ Mit der Entwicklung auf der Überseeinsel, den Plänen der Investoren Kurt Zech und Rolf Specht und der schon fortgeschrittenen neuen Nutzung auf dem Kellogg-Gelände werde das nicht besser, im Gegenteil: „Das Nadelöhr geht weiter zu, und so etwas spricht sich unter den Mietern natürlich herum.“ Hier sei die Stadt bei ihren Planungen nicht weitsichtig genug gewesen.
Ist das tatsächlich so? Und falls ja, wer war‘s, wer hat‘s verbockt? Besuch bei der Wirtschaftsförderung Bremen (WFB), die mit ihrer Zentrale für den Übergang auf dem ehemaligen Sparkassengelände am Brill sitzt. „Seit 2010 spreche ich mich für eine Straßenbahnverbindung durch die Konsul-Smidt-Straße aus“, sagt WFB-Chef Andreas Heyer. Und nun muss er erleben, wie die Diskussion in eine zwar nicht völlig andere Richtung läuft, weil diese Variante nach einer Machbarkeitsstudie weiter im Spiel ist, politisch favorisiert wird aber mehr und mehr eine Trasse durch die Hoerneckestraße, also über die Überseeinsel. Weiter ginge es für die Bahn dann über den Europahafen. Heyer macht keinen Hehl daraus, was er davon hält: nichts. „Eine Brücke für Radfahrer und Fußgänger ist sinnvoll, aber doch nicht für die Straßenbahn.“ Wieder andere sind dafür, in der Überseestadt ganz auf eine Verlängerung der Straßenbahn zu verzichten und stattdessen elektrische Ringbusse einzusetzen. Im Gespräch ist auch ein Ausbau des Fährverkehrs.
Die WFB vermarktet die Überseestadt, und sie kümmert sich um die öffentlichen Investitionen. Das städtische Unternehmen hatte für den Fortgang eines der größten städtebaulichen Projekte Europas von Anfang an den Schlüssel in der Hand. Auf einer Gesamtfläche von 288 Hektar standen für Neuansiedlungen und die Nutzung des Bestands, also der alten Schuppen und Speicher, knapp 120 Hektar zur Verfügung, noch nicht mitgerechnet die 45 Hektar auf der Überseeinsel, die im Wesentlichen durch den Rückzug von Kellogg frei geworden sind.
Viel übrig ist von den Flächen nicht mehr. Zwischen Überseepark und Waller Sand am Wendebecken für den Holz- und Fabrikenhafen liegen noch zwei Flurstücke, die bebaut werden können. Und auf der Überseeinsel sind es neben dem, was auf dem ehemaligen Fabrikgelände von der Investitionsgesellschaft des Windparkprojektierers Klaus Meier (wpd) bereits massiv vorangetrieben wird, zusätzlich die von Zech und Specht erworbenen Flächen.
Nach Darstellung der WFB geht es in beiden Fällen mit den Verhandlungen über die Ausgestaltung gut voran. So gut wie fertig ist die Wohnbebauung auf der Fläche des ehemaligen Schuppen 3. Bezogen werden gerade die ersten Appartements in den neuen Gebäuden am Kopfende des Europahafens. Und dann gibt es noch das „Neue Kaffeequartier“ am Eingang der Überseestadt, es soll bis Ende 2024 fertig sein.
Andreas Heyer steht seit 2009 an der Spitze der WFB. „Als ich anfing, gab es in der Überseestadt gigantische Freiräume“, sagt er. Das sei danach kein normales und organisches Wachstum gewesen, nein, das sei förmlich explodiert. Die privaten Investoren seien damals stark in Vorleistung gegangen, ins Risiko. Lange Zeit war das vor allem der Bremer Projektentwickler Justus Grosse – ein Unternehmen, das sich im Hafen bis heute stark engagiert, parallel seit einigen Jahren aber auch das Tabakquartier in Woltmershausen zu neuer Blüte führt. Heyer ist begeistert von der Überseestadt: „Ich gebe damit regelmäßig an.“ Es sei ein Wahnsinnsprojekt, das eine ganz eigene Dynamik entfaltet habe, und so deshalb gar nicht habe geplant werden können.