Wohnen bitte nur als Sonderform, anders, dachten die Planer vor 15 Jahren, geht es nicht in der Überseestadt mit ihrer Industrie und den vielen Betrieben der Hafenwirtschaft, die stinken können und stauben. 850 Wohnungen bis zum Jahr 2025, das war das Ziel. Und heute? Es sind 3700 Wohnungen, und immer noch wird weitergebaut. Das war eines der Schlaglichter am Dienstagabend beim Bremer Stadtdialog in der Energieleitzentrale gleich gegenüber vom Speicher XI.
Ein anderes war die Entwicklung bei den Arbeitsplätzen. 17.000 sollten es bis zum Jahr 2025 sein. Realistisch, wenn nicht pessimistisch, denn Ende 2014 waren es bereits 15.000 Arbeitsplätze in mehr als 1000 Firmen. Neuere Zahlen gibt es nicht. „Die Überseestadt ist dichter als gedacht, vielfältiger und hat sich gleichwohl den Anteil von alten Wirtschaftsbetrieben erhalten“, resümierte Dirk Kühling, Abteilungsleiter beim Wirtschaftssenator, der den 5. Entwicklungsbericht zur Überseestadt vorstellte.
Kühling hob hervor, dass es in jüngerer Zeit gelungen sei, auch geförderten Wohnungsbau in das Waller Hafenrevier zu holen. Die ersten Jahre der Entwicklung waren geprägt vom Bauen im höheren Segment mit Mieten von zwölf Euro aufwärts für den Quadratmeter. Das ist heute zum Beispiel mit dem Projekt Marcuskaje anders, dort wird günstig gewohnt, weil günstig gebaut wurde, was man den Häusern allerdings auch ansieht. Das nächste große Vorhaben ist der Schuppen 3. Auf dem 22.000 Quadratmeter großen Areal am Europahafen sollen 520 Wohnungen entstehen, 160 davon werden gefördert. Investitionsvolumen: 175 Millionen Euro.
Wohnquartiere sind zu wenig vernetzt
Die Überseestadt ist mit ihren rund 300 Hektar Land und Wasser das größte Entwicklungsprojekt in Europa. Doch ist sie auch eine Erfolgsgeschichte? Eberhard Syring vom Bremer Zentrum für Baukultur mochte als weiterer Redner nicht uneingeschränkt ja sagen. „Aus Sicht der Immobilienwirtschaft stimmt das sicherlich“, sagte der Professor. Und ja, es gebe die Wohnungen und Arbeitsplätze. „Die Überseestadt mutet aber immer noch wenig urban an.“ Syring sprach von einem „weit verbreiteten Unbehagen“. Die neuen Wohnquartiere seien wie Inseln, zu wenig miteinander vernetzt. Die Anbindung an Walle sei weiterhin schwierig, die Nordstraße immer noch eine Grenze. Städtebau, kurzum, gehe anders. „Wir müssen in dem Gebiet aktiv an den Stellschrauben drehen und nicht nur auf die Entwicklung reagieren.“
Dass es in der Überseestadt an vielem noch fehlt, verhehlte auch Kühling nicht. Drei Punkte: Nahversorgung, Schule und Kindertagesstätte, Infrastruktur für den Verkehr. Es gibt einen Aldi in dem Gebiet, ein paar kleine Geschäfte, aber bislang noch keinen Vollsortimenter. Das soll sich ändern. Der Plan ist, den Großmarkt zu öffnen, einen Supermarkt zu bauen und einige Läden drumherum, die von den Marktleuten beschickt werden könnten. Das Ziel, so erklärte es Kühling: 2000 Quadratmeter Einzelhandel. Eine Kindertagesstätte mit 100 Plätzen ist in Schuppen 3 geplant. Eine Schule soll kommen. Und für den Verkehr gibt es seit einigen Wochen ein Konzept. Schwierig zurzeit, nach Feierabend mit dem Auto schnell aus dem Hafen herauszukommen. Kühling sagte offen, was aus seiner Sicht am besten gewesen wäre: „Man hätte die Straßenbahn bis ganz ans Ende der Überseestadt bauen sollen.“
Die Überseestadt besser verkaufen
Während der anschließenden Podiumsdiskussion warb Senatsbaudirektorin Iris Reuther für mehr Geduld: „15 Jahre sind noch keine lange Zeit. Die Überseestadt ist ein Generationenprojekt, wir haben gerade einmal die Pubertät erreicht.“ Joachim Linnemann vom Immobilienentwickler Justus Grosse schloss sich dieser Haltung dem Sinne nach an: „Sicher ist Kritik auch mal berechtigt, aber statt nur zu mäkeln sollte man die Überseestadt einfach mal besser verkaufen.“ Ein Imageproblem, meint der Unternehmer. „Hamburg macht das mit seiner Hafencity ganz anders.“ Ulrike Mansfeld, Professorin an der Hochschule Bremen, forderte, den Masterplan für das Hafenquartier zu dynamisieren: „Wir haben bisher nicht über Walle gesprochen. Wir haben auch noch nicht über das gegenüberliegende Ufer der Weser gesprochen.“ Was, fragte Mansfeld, sei eigentlich die Mitte der Überseestadt. „Der Großmarkt?“