Gut zehn Monate noch, dann bestimmen die Bremerinnen und Bremer ein neues Landesparlament und mit der Stadtbürgerschaft auch die kommunale Vertretung. Zudem werden auf Stadtteilebene die Beiräte neu gewählt. Die Parteien haben mit der Vorbereitung längst begonnen, denn das Feld möglicher Kandidaten zu sichten und eine attraktive Liste zusammenzustellen, ist ein Prozess, der einige Zeit beansprucht. Viele bisherige Abgeordnete wollen wieder berücksichtigt werden, neue Talente rücken nach, und für einige ausscheidende Mandatsträger muss adäquater Ersatz beschafft werden.
In die Bürgerschaft können die Bewerber über die Listen der Parteien einziehen – entweder durch eine Platzierung auf vorderen, aussichtsreichen Plätzen oder über ein gutes Ergebnis bei den Personenstimmen. Wer also nicht über einen klangvollen Namen verfügt, der viele Personenstimmen verspricht, der tut gut daran, sich auf der Liste möglichst weit vorn einzureihen. Entsprechend groß ist das Gerangel um diese Positionen. Zumindest die großen Parteien lassen die Kandidatenfindung deshalb als strukturierten Prozess ablaufen, damit sie nicht zu einem einzigen, großen Hauen und Stechen entartet. Aufgestellt werden die Bürgerschaftsbewerber getrennt für die Wahlbereiche Bremen und Bremerhaven. Wie die Bremer Listen bei den gegenwärtig in der Bürgerschaft vertretenen politischen Gruppierungen zustande kommen, dazu hier ein Überblick.
SPD
Den größten organisatorischen Aufwand treiben zweifellos die seit Gründung des Bundeslandes regierenden Sozialdemokraten. Die Zusammenstellung der Liste ist dort Aufgabe einer 15-köpfigen Mandatskommission unter dem Vorsitz des früheren Innensenators Peter Sakuth. Der 74-Jährige hat keine eigenen politischen Ambitionen. "Ich will nix mehr werden, ich war schon alles", sagt Sakuth in seiner flapsigen Art.
Für 55 der künftig 87 Bürgerschaftssitze will die SPD Bewerber haben. Bei ihrer Auswahl gilt es, allerlei Erfordernisse gegeneinander abzuwägen. So soll die Liste in jedem Fall quotiert sein, das heißt: Männliche und weibliche Bewerber werden abwechselnd platziert. Auch innerhalb eines so übersichtlichen Territoriums wie Bremen muss zudem ein gewisser Regionalproporz berücksichtigt werden. "Der erste Kandidat aus einem für uns starken und wichtigen Stadtteil wie Osterholz kann nicht erst auf Platz 31 kommen", verdeutlicht Sakuth, was gemeint ist. Wichtig ist auch eine gute soziale und altersmäßige Mischung. Und es gilt, politischen Talenten den Weg zu ebnen.
Im Grundsatz werden in dem Auswahlprozess alle von den Ortsvereinen und Arbeitsgemeinschaften vorgeschlagenen Bewerber gleich behandelt. Jeder von ihnen füllt einen sechsseitigen Fragebogen zu seiner Person aus, jeder wird von der Kommission zu einem halbstündigen Gespräch eingeladen. Dass Prominenz bei der Platzierung trotzdem eine Rolle spielt, versteht sich von selbst. Die ersten Plätze der SPD-Liste ergeben sich fast automatisch. Bürgermeister Andreas Bovenschulte wird sie anführen, danach werden Bildungssenatorin Sascha Aulepp und Innensenator Ulrich Mäurer folgen – politische Schwergewichte also, die Stimmen ziehen. Auf jedem fünften Platz ist zudem ein Vertreter aus Bremen-Nord vorzusehen. Ende September wird die Mandatskommission ihren Listenvorschlag präsentieren. Zur Abstimmung steht er auf einer Wahlbereichskonferenz am 12. November. Theoretisch sind dabei noch Änderungen in der Reihenfolge der Bewerber möglich. Komplett aufgeschnürt wurde ein solches Paket in der Vergangenheit aber nicht.
CDU
Vieles von dem, was für die Sozialdemokraten gilt, trifft auf die CDU in ähnlicher Weise zu: Auch dort müssen unterschiedliche personelle Ansprüche und sachliche Erfordernisse ausbalanciert werden. Den Hut hat dabei Michael Bartels auf. Der frühere Nordbremer Bürgerschaftsabgeordnete leitet den sogenannten Wahlvorbereitungsausschuss der Christdemokraten. Das Prozedere läuft so ab, dass zunächst die Stadtbezirksverbände Kandidaten bestimmen. Aus diesem Reservoir setzt dann die Kommission einen Listenvorschlag zusammen und unterbreitet ihn dem Landesvorstand. "Der könnte dann zum Beispiel noch einen prominenten Neuzugang einfügen", sagt Bartels.
Erstmals wird die Kommission Anfang Oktober zusammentreten – was natürlich nicht heißt, dass in der Partei erst dann ernsthaft über mögliche Platzierungen nachgedacht wird. Ganz im Gegenteil. Es deutet sich bei Platz zwei hinter Spitzenkandidat Frank Imhoff bereits ein Konflikt an, der beispielhaft illustriert, was bei einer Listenaufstellung alles zu berücksichtigen ist. So wird für diesen Platz die Landesvorsitzende der Jungen Union, Wiebke Winter, gehandelt. Die aufstrebende Juristin ist Mitglied des CDU-Bundesvorstandes und soll sich zunächst in der Landespolitik ihre Sporen verdienen. Das "Problem": Winter wohnt in Lesum. Doch in Bremen-Nord gibt es schon mehrere prominente Stammkräfte, die gern wieder ins Parlament einziehen würden. Neben der früheren Bundestagsabgeordneten Bettina Hornhues (Burglesum) sind das Silvia Neumeyer aus Vegesack und Rainer Bensch aus Blumenthal. Da auf der CDU-Liste – wie bei der SPD – jeder fünfte Platz an einen Bremer-Norder geht, heißt das zweierlei: Zum einen würde es für einen der Genannten bestenfalls für Listenplatz 17 reichen. Ein sicheres Ticket wäre das nicht mehr. Zum anderen würde es bei so viel Nord-Präsenz auf vorderen Listenplätzen enger für Bewerber aus dem Stadtgebiet südlich der Lesum. Noch weiß in der CDU niemand, wie der potenzielle Konflikt um Winters Platzierung gelöst werden soll.
Grüne
Die Grünen kennen bei ihrer Kandidatenaufstellung keine vorgeschaltete Phase, in der frühere Parteigranden ein Tableau zusammenstellen. "Basis ist Boss", sagt ein langjähriger Funktionär. Soll heißen: Wer an welcher Stelle auf der Liste einsortiert wird, entscheidet sich auf einer Mitgliederversammlung und nicht vorab in einer Kommission. Wer einen aussichtsreichen Listenplatz anstrebt, muss also an der Basis für sich werben, auf der Mitgliederversammlung eine gute Vorstellung abliefern und vielleicht auch Allianzen mit potenziellen Konkurrenten schmieden.
Die quotierte Liste muss von einer Frau angeführt werden, und das wird aller Voraussicht nach Umweltsenatorin Maike Schaefer sein. Platz zwei fällt seit Matthias Güldners Zeiten dem Fraktionsvorsitzenden zu, aktuell also Björn Fecker. Theoretisch könnten aber auf einer Mitgliederversammlung auch andere Bewerber den Finger heben – wirkliche Besitzstände gibt es bei den Bremer Grünen nicht. Rechnen darf man gleichwohl damit, dass auf den Plätzen drei und vier Sozialsenatorin Anja Stahmann und der Klimapolitiker Philipp Bruck folgen. Für Platz fünf, der ebenso wie Rang sechs dem Parteinachwuchs vorbehalten ist, haben viele Insider Franziska Tell auf dem Schirm. Die junge Meeresforscherin gilt als großes Talent. Angesetzt ist die Mitgliederversammlung für Anfang Dezember.
Linke
Auch die Linken kennen keine formale Prozedur wie SPD und CDU. Für die Aufstellungsversammlung, die am 3. September im "Pier 2" stattfinden soll, hat der Landesparteitag im Juni allerdings schon Pflöcke eingeschlagen. Demnach soll die Liste zwar im Grundsatz quotiert bleiben, also im steten Wechsel von weiblichen und männlichen Bewerbern aufgestellt werden, doch die ersten bleiben Plätzen würden von Frauen eingenommen, nämlich von den Senatorinnen Kristina Vogt (Wirtschaft) und Claudia Bernhard (Gesundheit). Für die Plätze drei und vier wurden die Fraktionsvorsitzenden Nelson Janßen und Sofia Leonidakis empfohlen.
FDP
Auf eine quotierte Liste verzichten die Liberalen. "Wir werden aber alle überraschen, die glauben, dass wir nicht genügend talentierte Frauen aufbieten können", ist der langjährige Abgeordnete Magnus Buhlert überzeugt. Er hat sich aus beruflichen Gründen gegen eine erneute Kandidatur entschieden und stattdessen den Vorsitz einer Sondierungsgruppe übernommen, die einen Listenvorschlag erarbeitet. "Der Prozess läuft seit März", sagt Buhlert. Seither seien zahlreiche Gespräche mit möglichen Bewerbern geführt worden. Die FDP wird wohl als erste der in der Bürgerschaft vertretenen Parteien Vollzug melden können, was die Listenaufstellung im Wahlbereich Bremen angeht. Schon am 27. August wird eine Vertreterversammlung über das Personaltableau abstimmen, das zwei Tage vorher im Landesvorstand beraten wird.
AfD
Wie sich die Alternative für Deutschland zur Wahl aufstellen wird, darüber rätseln selbst Parteiinsider. Nachdem der AfD 2015 und 2019 der Einzug in die Bürgerschaft gelungen war, zerlegten sich die neu formierten Fraktionen gleich wieder. Ein erkennbares Machtzentrum existiert im Landesverband derzeit nicht. Auch gelang es den gut 100 Mitgliedern seit 2021 nicht mehr, einen Vorsitzenden zu wählen. Der amtierende stellvertretende Landeschef Sergej Minich geht gleichwohl davon aus, dass seine Partei mit einer Liste antreten wird, "die einen Querschnitt der Gesellschaft darstellt". Ob der frühere Parteichef Frank Magnitz sich erneut um ein Mandat bemühen wird, ist eher zweifelhaft. Gerechnet wird allerdings mit einer erneuten Bewerbung des Bremerhavener AfD-Chefs Thomas Jürgewitz.
Bürger in Wut
Für die Wählervereinigung BIW ist Bremen nicht das Pflaster, auf das es in erster Linie ankommt. Ihr Hauptrepräsentant, der langjährige Bremerhavener Abgeordnete Jan Timke, ist in Bremerhaven verwurzelt und holt dort seine Stimmen. Der BIW gelang in der Seestadt seit 2007 stets der Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde. Sollte sie das auch 2023 schaffen, wäre Timke erneut drin im Parlament. Ob er Mitstreiter aus der Stadtgemeinde Bremen hätte, hängt vom dortigen Ergebnis ab. Die entsprechende BIW-Liste wird voraussichtlich erst im Februar nach einem basisdemokratischen Aufstellungsverfahren beschlossen.