Die Bremische Bürgerschaft wird an diesem Donnerstag etwas Törichtes beschließen. Einige Abgeordnete wissen das. Andere ahnen es, ziehen aber keine Konsequenzen daraus. Die große Mehrheit wird einfach die Hand dafür heben. Die Rede ist von der Erweiterung des Parlaments um drei Sitze mit der nächsten Wahl im Mai 2023.
Dass die Bürgerschaft in eigener Sache tätig werden muss, ist unstrittig. In Bremerhaven gibt es immer weniger Wahlberechtigte, und das hat Folgen für den sogenannten Erfolgswert jedes einzelnen Wählervotums: Bremerhavener Stimmen erhalten bei der Bürgerschaftswahl tendenziell mehr Gewicht als die Bremer. Die zulässigen Grenzen für eine solche Unwucht sind inzwischen erreicht. Nun ist die Frage, wie man das Problem behebt. Die naheliegende Lösung wäre, die Zahl der Bremerhavener Mandate von 15 auf 14 zu reduzieren und die der Bremer von derzeit 69 um eines oder zwei anzuheben, also nahezu als Nullsummenspiel.
Diese Option findet sich auch in einem Papier der Innenbehörde als eine von mehreren möglichen Vorgehensweisen. Als besonders rechtssicher wird die Variante beschrieben, es bei 15 Bremerhavener Mandaten zu belassen und zur Wiederherstellung der korrekten Proportionen drei zusätzliche Bremer Sitze zu schaffen. Die künftige Bürgerschaft hätte 87 statt bisher 84 Abgeordnete. Eine konkrete Empfehlung in dieser Richtung sprechen die Fachleute der Behörde allerdings nicht aus.
Bremerhavener Besitzstandswahrung plus drei zusätzliche Bremer Mandate als Reaktion auf sinkende Einwohnerzahlen in der Seestadt – auf diese Logik muss man erst mal kommen. SPD, Grüne, Linke, FDP und Teile der CDU machen sie sich gleichwohl gern zu eigen. Denn für die Parteien ist dieser Weg der einfachste. Die Bremer Mehrheit im Parlament vermeidet so lästige Konflikte mit den Seestadt-Kollegen, die sich sofort zu einer Ablehnungsfront zusammenfanden, als auch nur die vage Idee im Raum stand, es könnte in der Bürgerschaft künftig einen Bremerhavener Sitz weniger geben. Dass die Kosten des Parlamentsbetriebs um über 400.000 Euro steigen werden, stört kaum jemanden. Auch nicht Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD), der in diesem Zusammenhang gar vor „billigem Populismus“ gewarnt hat – der gleiche Bürgermeister, der gern behauptet, in Bremen werde „jeder Euro zweimal umgedreht“.
In Wahrheit gibt es kein einziges vernünftiges Argument, das für eine Vergrößerung des Bremer Landesparlaments in die Waagschale gelegt werden könnte. Ganz im Gegenteil. Schon jetzt ist der Politikbetrieb des kleinsten und ärmsten Bundeslandes überdimensioniert, auch im Vergleich mit den anderen Stadtstaaten. In Berlin vertritt ein Abgeordneter gut 25.100 Einwohner, in Hamburg sind es etwa 15.400. In Bremen lautet das Verhältnis eins zu 8100, ab 2023 wären es 7850.
Der Zeitpunkt für die geplante Aufstockung ist zudem denkbar schlecht gewählt. Die wirtschaftlichen Folgen von Pandemie und Ukraine-Krieg haben vielen Menschen erheblich zugesetzt, Zehntausende Bremer Haushalte verfügen über keinerlei finanzielle Reserven. Wenn dort die nächste Gasrechnung kommt, geht es um die nackte Existenz. Wer vor einem solchen Hintergrund eine noch üppigere Bürgerschaft beschließt, lässt jegliches Gespür für die Situation vermissen. Der Eindruck der Selbstbedienung kommt erschwerend hinzu. Niemand fragt die Wähler, ob sie sich durch das – in Relation – größte Landesparlament Deutschlands bereits ausreichend repräsentiert fühlen.
Die ständige Aufblähung des Bundestages in den zurückliegenden Legislaturperioden hat dem Ansehen des Parlamentarismus bereits schweren Schaden zugefügt. Den Abgeordneten der Bremischen Bürgerschaft müsste das eigentlich eine Lehre sein, doch sie wird in den Wind geschlagen. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Vertrauenskrise, in der sich unser politisches Systems als Ganzes befindet, manchen seiner Repräsentanten herzlich egal ist. Sie jammern über wachsende Politikverdrossenheit und züchten sie zugleich. Das nimmt kein gutes Ende.