Irgendwas zwischen Genussmittel und Einstiegsdroge: Wenn es um Cannabis geht, dann gibt es viele Meinungen. Einige davon haben sich die Mitglieder der Deputation Gesundheit und Verbraucherschutz am Freitag angehört: Elf Experten sprachen vier Stunden lang vor den Abgeordneten über Deutschlands illegale Droge Nummer eins.
Unter den Experten waren der ehemalige Polizeipräsident aus Münster, der sich für eine Legalisierung einsetzt, der Leiter der Bremer Staatsanwaltschaft Janhenning Kuhn, mehrere Psychiater und ein Vertreter des Berliner Bezirksamtes Friedrichshain-Kreuzberg – dort hatte man vor Kurzem versucht, ein ähnliches Modellprojekt zu starten, wie es sich die rot-grüne Koalition in Bremen vorgenommen hat. Den Antrag hatte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) allerdings im Oktober abgelehnt.
Bremen könne von den Berliner Erfahrungen lernen, sagte Horst-Dietrich Elvers vom Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg. Einen Modellversuch mit Schwerstabhängigen zu starten – das könnte ein Weg sein, um den Antrag auf das Cannabis-Modellprojekt durchzubringen. Denn für einen Modellversuch müsse eine begrenzte Zielgruppe angegeben werden. Das Ziel sei aber: eine bundesweite Kontrolle des Cannabiskonsums. Der illegale Markt müsse reduziert werden, sagte Elvers. Im Moment sei es einfach, für unter 18-Jährige an Cannabis zu kommen.
Auch Amy Winehouse fing mit Cannabis an
So unterschiedlich die Ansichten auch sind: Einig waren sich alle, dass Kinder und Jugendliche vor Drogen geschützt werden sollen. Rainer Holm-Hadulla, Professor für Psychotherapeutische Medizin an der Universität Heidelberg, begann seinen Vortrag mit einem Bild der verstorbenen Sängerin Amy Winehouse: Mit 13 habe sie angefangen Cannabis zu konsumieren, mit 16 sei sie auf härtere Drogen umgestiegen und mit 27 habe sie sich umgebracht. Er sei kein prinzipieller Gegner von Cannabis, sagte Holm-Hadulla, die Legalisierung für den medizinischen Gebrauch stehe für ihn außer Frage. Cannabis sei aber kein harmloses Genussmittel, zumindest nicht für Jugendliche. Cannabiskonsum könne zu Gedächtnisstörungen, zu Entwicklungsbeeinträchtigungen und zum Kreativitätsverlust in der Adoleszenz führen. „Viele sind kreativ nicht wegen, sondern trotz Alkohol- und Drogenkonsums“, sagt Holm-Hadulla.
Cannabis-Therapie kostet 300 bis 500 Euro
Schon seit Hunderten von Jahren werde Cannabis medizinisch genutzt, sagte Kirsten Müller-Vahl, Neurologin und Psychiaterin an der Medizinischen Hochschule Hannover. Das Problem an der aktuellen Situation in Deutschland sei, dass viele Kranke, die Cannabis als Medikament nutzen wollen, das selbst bezahlen müssen. Die Krankenkassen übernähmen die Kosten in den meisten Fällen nicht, und eine Therapie könne zwischen 300 und 500 Euro im Monat kosten. „Die Patienten sind auf die Kulanz ihrer Krankenkasse angewiesen.“
Thomas Hempel, Leiter des Vereins Therapiehilfe, und Eva Carneiro Alves von der Ambulanten Suchthilfe Bremen machten sich Sorgen um synthetische Cannabinoide, so genannte legal highs. Sie sind zum Beispiel online erhältlich und nicht verboten. Vor einer Woche habe sie einen jungen Mann in der Beratung gehabt, der solche legal highs konsumierte und danach psychotisch war. „Danach ist das Leben anders als vorher“, sagte Eva Carneiro Alves.
Dass die Gesellschaft völlig unterschiedlich mit Cannabis und Alkohol umgehe, obwohl es ähnliche Risiken beim Konsum gebe, kritisierte Henning Schmidt-Semisch, Professor für Soziologie an der Universität Bremen. „Das Verbot hat mehr Risiken und Leid erzeugt, als das Cannabis selbst.“
"Polizei läuft vor allem Kleinkriminellen und Konsumenten hinterher"
Ein Argument für die Legalisierung von Cannabis ist häufig, dass in der Strafverfolgung viel Geld gespart werden könnte. Von rund sechs Milliarden Euro bundesweit jedes Jahr ist in einer Studie die Rede. Janhenning Kuhn, Leiter der Staatsanwaltschaft Bremen sagte, Verfahren gegen Konsumenten würden schon heute in der Regel eingestellt. Und Jochen Kopelke von der Gewerkschaft der Polizei Bremen sagte, es stimme nicht, dass eine Legalisierung von Cannabis die Polizei im Alltag entlaste. Die Kontrollen erfolgten weiter für alle anderen Drogen.
Dem widersprach Hubert Wimber, ehemaliger Polizeipräsident in Münster. Polizisten liefen vor allem Kleinkriminellen und Konsumenten hinterher. „Das sind vergeudete polizeiliche Ressourcen.“ Notwendig sei eine rationale Drogenpolitik, die unter anderem Kinder und Jugendliche schütze. Dazu trage das bisherige Gesetz nicht bei. „Kriminelle Märkte kennen keinen Jugendschutz.“ Der Jugendrichter Andreas Müller und Strafrechtsprofessor Lorenz Böllinger setzten sich für eine Legalisierung von Cannabis ein: „Das Strafrecht nützt nichts“, sagte Böllinger.
Auch wenn die Experten und einige Abgeordnete gerne diskutiert hätten – „bitte kein Dialog“, mahnte der Vorsitzende der Deputation, Magnus Buhlert (FDP), mehrmals, wenn die Abgeordneten Nachfragen an die Experten stellten. Dieser Freitag sei der Tag der Anhörung, nicht der politischen Diskussion. Diskutiert wird nun wohl in den Fraktionen. Darüber, wie es weitergehen soll mit der Idee eines Cannabis-Modellprojektes in Bremen.