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Bis zu 70 Gäste besuchen jeden Montag das „Café International“ der Kirchengemeinde Oberneuland Dankbar und wissbegierig

Oberneuland. Mahmoud ist selig. Mit beiden Händen umschließt er eine Tasse mit dampfendem Kaffee.
29.02.2016, 00:00 Uhr
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Von Silja Weisser

Mahmoud ist selig. Mit beiden Händen umschließt er eine Tasse mit dampfendem Kaffee. Behutsam hebt er sie zum Mund, während sein Blick immer wieder von links nach rechts wandert. Links, wo Antje Gutowski kleine Bilder auf dem Tisch ausbreitet und erklärt, wie die abgebildeten Dinge auf Deutsch heißen. Rechts sitzt sein Freund Ibrahim. Die beiden Syrer haben sich im Zeltcamp im Büropark Oberneuland kennen gelernt. Das ist jetzt sechs Monate her. Mahmoud wohnt mittlerweile in einer festen Unterkunft in Bremerhaven, Ibrahim in Vegesack. Jeden Montagvormittag treffen sie sich im Gemeindehaus der Kirche Oberneuland. Beide nehmen lange Anfahrtswege mit Zug und Bus auf sich, um ins „Café International“ am Hohenkampsweg zu kommen.

40 freiwillige Helfer und Helferinnen arbeiten hier im Wechsel von 8.30 bis 12 Uhr. Sie haben Kuchen gebacken, Kaffee und Tee gekocht und die Tische hergerichtet. Es ist rappelvoll im Grünen Saal des Gemeindehauses. An allen Tischen drängen sich Menschen unterschiedlicher Herkunft. Kinder mit Müttern, junge und alte Männer. Lachen und ein buntes Stimmengewirr erfüllt den Raum. Es ist ein munteres Geplapper aus Arabisch, afrikanischen Wörtern, Englisch und vor allem Deutsch. Denn um diese Sprache geht es allen, die gekommen sind. Sie wollen hier ankommen und lernen, sich zu verständigen.

„Wir sind sehr gut ausgelastet. Das Café besuchen mittlerweile jedes Mal 50 bis 70 Gäste“, berichtet Klaus Burgdorf. Zusammen mit seiner Frau Jutta ist er von Anfang an, seit Oktober vergangenen Jahres, als ehrenamtlicher Unterstützer dabei. Mit dem Kirchenbus ist er schon am frühen Morgen fünf Mal die drei Kilometer lange Strecke vom Flüchtlingszelt zum Gemeindehaus gefahren – ein Shuttle-Service, um vor allem Frauen, Kindern und älteren Menschen den Fußmarsch zu ersparen. Hinter dem unermüdlichen Einsatz stehe vor allem die Motivation, die Menschen ein wenig aus dem Zelt herauszubekommen, erklärt Burgdorf. Sie willkommen zu heißen und ihnen menschliche Wärme entgegenzubringen.

Größte Schwierigkeit: Artikel

Antje Gutowski, eine weitere Helferin, ist etwas unruhig. „Ich kann mich jetzt nicht lange unterhalten“, entschuldigt sie sich gleich vorab. „Die brauchen mich hier.“ Mit einem Studium für Deutsch und Biologie bringt sie eine gute Vorbildung mit, um die Grundkenntnisse der deutschen Sprache näherzubringen. Ein richtiger Unterricht sei bei der großen Fluktuation der Café-Besucher natürlich nicht möglich. Und so arbeitet Gutowski in Themenblöcke: Begrüßung, Essen, Kleidung, das, was im Alltag benötigt wird, füllt die Montagmorgenstunden. Die größte Schwierigkeiten stellten vor allem die Artikel und das jeweilige Geschlecht der Substantive dar. Doch Gutowski wird nicht müde, die vielen Fragen am Tisch freundlich zu beantworten. Auf Deutsch, Englisch oder mit Händen und Füßen. „Die Verständigung klappt hier super“, wundert sie sich immer wieder.

Die Arbeit mache ihr unheimlich viel Spaß. „Wir merken hier wieder, dass einfache Dinge wichtig sind: ein Lächeln, Offenheit, ein respektvoller Umgang“, sagt sie. Bislang seien ihre Erfahrungen zu 100 Prozent positiv: „Ich erlebe die Menschen hier als unglaublich freundlich, wissbegierig, sehr zurückhaltend und sehr dankbar.“

Für sie ist es nicht nur die Sprache, die im Vordergrund steht. Durch den engen Kontakt lernten die Flüchtlinge zugleich etwas über die hiesige Kultur, die Gesellschaft und das Rollenbild der Frau. Zum Beispiel wenn sie mal eine Tour mit dem Gemeindebus fahre und als Frau am Steuer sitze und vielleicht auch mal fluche. Oder, dass nur acht Leute in dem Kleinbus mitfahren dürfen, die Kinder auf Kindersitzen sitzen und alle angeschnallt sein müssen.

Die Menschen kommen nicht nur aus der Zeltunterkunft in Oberneuland. Sie reisen aus Horn und sogar aus Rablinghausen an. Darunter frühere Kaufleute, Handwerker, IT-Spezialisten. Die Kinder sitzen dabei, lernen, hören zu oder spielen. Der Kicker im Flur ist von ihnen und von den Männern immer gut besetzt.

Die Idee zum „Café International“ hatte Pastor Michael Klingler. „Die Unterbringung in Zelten finde ich arg provisorisch und primitiv. Wir wollen für die Menschen einen warmen Ort der Begegnung schaffen“, begründet er sein Engagement. Für ihn sei die Würde des Menschen ein zu kostbares Gut, um tatenlos zu bleiben.

Das große Helfer-Team fand sich schnell mithilfe von Mundpropaganda, des Runden Tischs und des Elternvereins des Ökumenischen Gymnasiums. Mittlerweile fungiere er nur noch im Hintergrund als Kontaktperson. Das Café organisiere sich komplett allein.

Unter den Helfern haben sich Freundschaften gebildet. Und mit einigen treuen Gästen sind engere Kontakte entstanden. So freut sich das Ehepaar Burgdorf, das aus Schwachhausen nach Oberneuland gezogen ist, nicht nur über den großen Zusammenhalt unter den Café-Teilnehmern. Einem ägyptischen Schüler, der die arabische Gebärdensprache beherrscht, ermöglichten sie den Kontakt zur Gehörlosenschule in der Marcusallee. Dort hospitierte er bereits mit großem Erfolg.

Auch Klingler erhält viel positive Rückmeldung. Sowohl von den Gästen als auch von der Gemeinde. Die Gemeindevertretung und der Kirchenvorstand stünden hundertprozentig hinter ihm. Neben dem Café gebe es da noch den Schuhexpress. Mit Bus und Privatwagen gab es eine Tour mit Flüchtlingen zum Weserpark, um dringend benötigtes Schuhwerk zu besorgen. Die Kosten von rund 700 Euro übernahm die Tabea-Stiftung.

Immer wieder stellt der Pastor klar, dass mit solchen Aktionen und auch mit dem Café kein missionarischer Gedanke einhergeht. „Ich möchte gerne, dass dieses Haus ein offenes Haus für jeden Menschen ist“, erklärt er. „Egal welche Konfession. Egal welche Nationalität.“ Dass sich drei Perser nun von ihm taufen lassen wollen, freue ihn sehr, sei aber nicht auf seinen Antrieb zurückzuführen.

Und noch etwas Gutes hätten das „Café International“ und andere Aktionen für die Flüchtlinge, sagt Klinger: „Vielleicht tut es dieser Gesellschaft, die so saturiert ist, mal wieder gut, zu merken, dass es auch Not vor Ort gibt.“

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