Konrad, Andy, Melanie und Susanne sitzen an einer Bierzeltgarnitur und genießen die kurze Pause. Gleich müssen die Frauen wieder in die Küche, Essen machen für die Kinder. Ist ja schon halb vier und um sechs ist Abendbrotzeit. Heute gibt es Gemüsesuppe. Während Konrad dabei zusieht, wie die ersten Eltern ihre Kinder von der Tagesbetreuung abholen, wirbeln die drei Terrier um Andy herum. Idefix ist ganz aufgeregt. Er springt von der Sitzbank auf den Boden und zurück, schleckt Andy übers Gesicht.
Auf dem alten Campingplatz am Unisee kennt man sich. Viele Dauercamper leben seit mehr als zehn Jahren in der grünen Idylle, auch Naturcampingplatz genannt, wo vom Lärm der Badegäste des Sees nichts zu hören ist. „Bei uns geht das ein bisschen lockerer zu“, sagt Andy, der eigentlich Andreas Schröder heißt und früher mal beim Zirkus gearbeitet hat. Mit dem Siezen könnten sie hier wenig anfangen, meint er. Selbst den ehemaligen Bremer Bausenator und SPD-Bundestagsabgeordneten Konrad Kunick, der im weißen Unterhemd auf der Holzbank Platz genommen hat, nennen alle hier beim Vornamen.

Günther Großheinrich lebt seit acht Jahren auf dem Naturcampingplatz.
Doch die besondere Lebenswelt der Dauercamper ist bedroht – wieder einmal. Dieses Mal geht es nicht um einen geplanten Technologiepark oder ein City-Resort, sondern um Bares. Mehr als 30.000 Euro Pachtschulden hat der Verein bei der Wirtschaftsförderung Bremen (WFB), die für die Stadt das Grundstück verwaltet. Kassenwartin Susanne Kröhl zufolge ist daran ein Wasserschaden schuld. Tausende Liter Heißwasser und damit Tausende Euro versickerten im Erdboden. Laut Wirtschaftsressort sind monatlich 1600 Euro Pacht plus 775 Euro als Grundsteuer und Deichverbandsbeitrag fällig. Seit Anfang 2014 komme es zu Zahlungsunregelmäßigkeiten. An einen Tilgungsplan habe sich der Verein nicht gehalten, heißt es vom Ressort. Seit die WFB zum 1. Mai die Kündigung ausgesprochen hat, sei die monatliche Summe nur einmal überwiesen worden.
Dauercamper besetzten das Gelände
„Briefe bekommen wir momentan keine mehr“, sagt Konrad Kunick. „Jap, aber die lassen nicht locker“, meint Andy, der dem kleinen Idefix das lockige Fell krault. Denn wie der Verein künftig seine Pacht bezahlen soll, ist fraglich. Doch aufgeben kommt für die Camper nicht in Frage. „Wir sind wie ein gallisches Dorf“, sagt Andy und blickt sich um. Ein mächtiges, blaues Tor schützt vor Eindringlingen. Wen er nicht kennt, lasse er hier nicht so einfach rein. Platzwart Uwe sei der Obelix. Und Cäsar, das sei die Stadt, scherzt Andy. Wie das kleine unbeugsame Dorf von Asterix und Obelix, das sich gegen die feindliche Übernahme durch Rom wehrt, verteidigen die Dauercamper auch immer wieder ihr Revier.

Bettina (links) und Susanne Kröhl kochen fürs Feriencamp.
Angefangen hat es im Jahr 2003, als der Campingplatz 23 Jahre nach seiner Eröffnung geschlossen werden und auf einem benachbarten Gelände ein neuer entstehen sollte. Die Dauercamper besetzten einfach das alte Gelände. Mit Erfolg: Nach einigen Jahren gründeten sie den Verein „Freunde und Dauercamper auf dem Naturcampingplatz Bremen“ und schlossen einen unbefristeten Pachtvertrag ab. Und auch als 2010 ein Investor einen Naturferienpark mit Wellness-Hotel und Restaurant für bis zu 140.000 Übernachtungen pro Jahr bauen wollte, setzte sich der Verein mit Unterstützung vom Beirat Horn-Lehe durch. „An mir werden sie sich die Zähne ausbeißen“, sagte Kunick damals dem WESER-KURIER. Auch einen Busparkplatz direkt vor dem Campingplatz verhinderte der Verein mithilfe des Beirats.
Ein Ende des Naturcampingplatzes wäre für Andy eine Katastrophe. Er gehört zu den etwa 20 Dauercampern auf dem Platz. Seit elf Jahren lebt er am Stadtwaldsee, sprich Unisee. „Wenn ich hier durchgehe, gibt mir das mit den ganzen Wohnwagen immer ein bisschen das Gefühl von Zirkus“, sagt der gebürtige Sebaldsbrücker. In einem Abstellraum im Gemeinschaftshaus hat er noch Licht- und Showequipment gelagert. Das holt er manchmal für Kinder-Diskos hervor.
Doch es sind Relikte vergangener Zeiten. Heute arbeitet er als Industriereiniger. Er sagt: „Der Zirkus ist tot.“ Zuletzt sei niemand mehr zu den Vorstellungen gekommen. Jeder habe so seinen Grund, warum er hier lebe, sagt der 52-Jährige. Nicht alle einen erfreulichen. Auf dem Platz dürfe jeder nach seiner Fasson leben. Andy hat sich drei Wohnwagen in einem U zusammengestellt, in einem davon leben seine zehn Tauben. Die hatte er sich mal für eine Zaubershow gekauft. Aber daraus ist nichts geworden. Außerdem hat er Katzen und seinen Hund Kalle. „Und was viele nicht glauben würden: Wir haben hier auch Fernseher, Internet und Kaffeemaschinen.“

Mit Strolchi und Kalle: Andreas Schröder liebt seine „Terror-Teddies“, wie er die Hunde nennt.
Wer die Vereinsmitglieder fragt, warum sie gern auf dem Platz sind, hört vor allem solche Begriffe wie Natur, Freiheit oder Gemeinschaft. Martin Holder sagt: „Ich liebe den alten Baumbestand hier.“ Gern wäre er Dauercamper, aber aus beruflichen Gründen kann er nur zeitweise auf den Platz kommen. Im Verein nennen sie Leute wie ihn „Absteller“. Also die, die ihren Wohnwagen auf dem Platz parken und ab und an vorbeischauen.
Von Schulden erst aus der Zeitung erfahren
Auf dem Gelände leben auch Menschen, die nur im Sommer kommen. Zu denen gehört Konrad Kunick, der so etwas wie der Miraculix im gallischen Dorf sein könnte. Der 76-Jährige ist Vereinsvorsitzender der Dauercamper und wohl der prominenteste Zeltnachbar. Kunick campt schon seit seiner Jugend. Auch während seiner Zeit als Abgeordneter in Bonn und Berlin. „Ich mag die Freiheit, immer den Ort neu bestimmen zu können, an dem ich bin“, erklärt er. Heute sitzt er oft vor seinem Wagen und liest oder geht mit Hund Idefix spazieren. Der folgt ihm auf Schritt und Tritt. Für einen Besuch in die Stadt hat er sich ein Karo-Hemd angezogen und einen braunen Hut aufgesetzt.
Zur Zukunft des Vereins und die finanziellen Nöte sagt er: „Das wird sich schon finden.“ Von den Schulden hätten die Vereinsmitglieder erst aus der Zeitung erfahren. Zwar droht die Wirtschaftsförderung mit einer Räumungsklage, aber dazu gebe es keinen Anlass, sagt Holger Bruns, Sprecher von Wirtschaftssenator Martin Günthner (SPD). Zurzeit habe kein Investor Interesse an dem Gelände bekundet. Außerdem hat sich der Beirat Horn-Lehe für den Verbleib der Dauercamper ausgesprochen. Der Platz habe nämlich auch eine soziale Funktion, so die Begründung: für Jugendfreizeiten der Arbeiterwohlfahrt, Kinderbetreuung des Christlichen Vereins Junger Menschen (CVJM) und für Pfadfinder-Treffen. Allerdings erwarte die Stadt, dass der Verein sich neu aufstellt, damit man wieder „auf ein vernünftiges Vertragsverhältnis kommt“, so Bruns. „Wir müssen uns so aufstellen, dass wir unsere Pacht künftig erwirtschaften können“, sagt Dauercamper Günther Großheinrich. Der 81-Jährige lebt seit acht Jahren hier. Seine Wagen stehen in der Nähe des Eingangs, er hat somit alles gut im Blick. Er sitzt auf einem Gartenstuhl, die Beine hochgelegt und liest einen Roman. Eigentlich kommt Günther aus dem Westerwald. Doch als seine Tochter berufsbedingt in den Norden zog und ihm irgendwann die Hotels zu teuer wurden, kam er auf die Idee mit dem Camping. Auch er kämpft für sein „Erholungsland“, wie er es nennt.

Bremens bekanntester Dauercamper: Ex-Bausenator Konrad Kunick.
Günther Großheinrich will sich dafür einsetzen, dass künftig das Sozialressort bei Fragen zum Verein den Ton angibt und nicht wie jetzt das Wirtschaftsressort. „Wir hoffen, dass die Bürgerschaft und der Senat zur Einsicht kommen, dass wir hier Sozialarbeit leisten.“ Das bekräftigt Melanie Kennard vom Jugendwerk der Awo, die mittlerweile mit Susanne Kröhl in der Küche steht. Ohne die Hilfe von Susi, sagt sie, gäbe es die Feriencamps nicht. Gerade rührt die Kassenwartin des Vereins das Gemüse im Suppentopf um, während ihre Schwester Hackbällchen rollt. Kennard betont: „Zwölf Kinder könnte ich noch allein bekochen, aber 40?“
Mitte August wollen die Vereinsmitglieder zum ersten Mal seit fünf Jahren eine ordnungsgemäße Sitzung abhalten und zugleich einen neuen Vorstand wählen, vielleicht sogar einen neuen Verein gründen. Wie genau die Neustrukturierung aussehen oder wer dem Vorstand angehören soll, ist noch unklar. „Wir sind zwar wie ein gallisches Dorf, aber uns fehlt der Zaubertrank“, sagt Andy. Der Trank verleiht Asterix und Obelix Superkräfte, um sich gegen Angreifer zu verteidigen. Bislang hat es bei den Dauercampern noch immer ohne Zaubertrank geklappt.