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Interaktion mit Tieren Das Herz wird nicht dement

Tiertherapeutin Cornelia Drees unterstützt Demenzkranke in der Stiftung Friedehorst durch die Interaktion mit ihren Tieren.
16.11.2018, 22:27 Uhr
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Das Herz wird nicht dement
Von Lisa-Maria Röhling

Die Hände der Patienten sind zittrig, ihre Bewegungen sind fahrig, ihre Blicke schweifen unruhig umher. Als sich zwölf Bewohner von Promente, des Pflegewohnbereiches für Menschen mit Demenz der Stiftung Friedehorst, im Stuhlkreis des kleinen Andachtsraum der Einrichtung versammeln, herrscht Unruhe. Einige von ihnen müssen im Rollstuhl hereingefahren werden, andere betreten am Arm einer Pflegerin den Raum. So wie ihre Gesundheit schwinden auch ihre Erinnerungen; die Demenz macht es ihnen schwer.

Doch zweimal im Monat hilft ihnen Tiertherapeutin Cornelia Drees, ein paar Erinnerungen wachzuhalten. Sie kommt seit über sieben Jahren zu den 74 demenzkranken Bewohnern von Promente. Zusammen mit Hunden, Meerschweinchen, Hühnern und Hasen schafft sie für eine Stunde einen Moment der Ruhe und der Besserung.

Tiergestützte Fördermaßnahmen

Kaum hat sich die Therapeutin mit dem kurzen, grauen Haarschnitt und dem freundlichen Lächeln daran gemacht, ihre Materialien auszupacken, stürmen hinter ihr zwei Hunde durch die Tür. Die Tiere wedeln aufgeregt mit dem Schwanz, beschnuppern die zwölf Senioren im Raum, bellen laut und wälzen sich auf dem Boden. Drees lässt sich davon nicht aus der Ruhe bringen: Sie holt einen Korb mit Obst und Gemüse hervor, verteilt Spielzeuge für die Tiere im Raum. Währenddessen spricht sie mit den Senioren, schaut jeden von ihnen immer wieder auf Augenhöhe an. Ihre Stimme klingt warm und einladend.

Drees offizielle Berufsbezeichnung lautet Fachkraft für tiergestützte Fördermaßnahmen. Dafür hat die studierte Biologin eine einjährige Ausbildung gemacht. In ihren Therapiestunden hält Drees immer eine feste Reihenfolge ein; Stufen nennt sie das. Je nach der Zusammensetzung der Gruppe müsse sie manchmal variieren, sagt sie, um auch allen Teilnehmern und ihren Bedürfnissen gerecht zu werden. „Es geht um das gemeinsame Erleben, um die Teilnehmer mit den Nachbarn zu verbinden.“ Deshalb führe sie meist zuerst die Hunde herein, um die Aufmerksamkeit der Menschen zu fangen und sie zu überraschen. So ein gemeinsames Überraschungsmoment verbinde die Anwesenden. Das sei wichtig: „Ein Gruppengefühl wird mit der fortschreitenden Demenz immer seltener.“

Sobald Drees ihre Taschen und Körbe ausgepackt hat, haben die Hunde jeden im Raum einmal beschnuppert. Eine Frau mit verschränkten Armen und hochgezogenen Schultern lockert ein wenig auf; ihre Hände umfassen die Arme weniger energisch, die Schultern lässt sie langsam sinken. Diese Reaktionen sind überall im Stuhlkreis zu sehen: Gesichter hellen auf, eine Frau ruft immer wieder einen der Hunde freudig zu sich.

Drees schaut sich aufmerksam um, nickt kurz und holt dann ihre übrigen Assistenten, wie sie es nennt, herein. Gemeint sind die restlichen Tiere, die sie zur Therapie mit nach Friedehorst gebracht hat. Drees trägt vier Transportkisten herein, aus denen sie drei Meerschweinchen, zwei Hasen und ein Huhn in den Raum laufen lässt. Jedes Tier stellt sie einzeln vor, hebt es auf den Arm und zeigt es den Anwesenden. Dann setzt sie die Tiere in der Mitte des Raumes ab, wo sie sich über das mitgebrachte Gemüse hermachen.

"Tiere haben eine beruhigende Natur"

Schon allein den Tieren beim Essen, Schlafen oder Toben zuzuschauen, löse den ersten Moment der Entspannung aus, sagt Drees. Es sei wichtig, dass sie entspannte Tiere mit in ihre Therapiestunden bringe. Ansonsten sei es unmöglich für die Senioren, ebenfalls zu entspannen. Drees bildet ihre Tiere selbst aus; besonders wichtig sei es, dass sie feste Rituale erleben.

Bei der Auswahl der Tiere spiele der Fürsorgeaspekt eine wichtige Rolle: Sie bringe besonders gerne Meerschweinchen mit, sagt Drees, weil diese sich sehr gut fürs Streicheln eignen. Gleichzeitig müsse sie auch stets Acht geben, dass in der Gruppe keine Unruhe ausbreche. Besonders bei Demenzkranken übertrage sich Unruhe schnell.

Drees hebt einen Hasen auf ihren Arm und geht auf einen der Senioren zu. Der Mann sitzt im Rollstuhl, seine Hände sind zittrig, mit wässrigen Augen schaut er ins Nichts. Drees hält ihm den Hasen entgegen. Der Senior schaut sie irritiert an, sie nickt ihn an und hält den Hasen erneut hoch. Dann nickt der Mann, Drees legt ein Kissen auf seinen Schoss und platziert den Hasen mitsamt einem Salatblatt dort. Während sie auf die nächste Person im Kreis zugeht, streichelt der Mann vorsichtig über das Fell das Hasen. Seine Bewegungen sind ruhig, der Blick ist auf den Hasen fokussiert. Das Tier widmet sich ebenso ruhig dem Salatblatt.

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„Tiere haben eine beruhigende Natur“, sagt Drees. Fühlen sie sich wohl, übertrage sich ihre Entspannung auch auf den Menschen. Gleichzeitig erkenne sie an der Reaktion der Tiere auch die Verfassung der Senioren: Hasen und Meerschweinchen seien Fluchttiere, die auf Stress mit Unruhe reagieren. Sieht Drees das, kann sie sofort eingreifen.

Nicht nur die Tiere tragen in Drees Therapie zur Entspannung bei. Wenn sie spricht, ist es meist ein fröhlicher Sing-Sang, sie reimt und singt, während sie von einem Patienten zum nächsten geht. Die Worte „früher“ und „erinnern“ benutzt sie oft und fragt die Senioren nach ihrer Kindheit. Nach Klingelstreichen, dem Essen der Großmutter, dem ersten Haustier. Auch stimmt Drees immer wieder Kinder- und Volkslieder an – viele der Senioren singen textsicher mit. „Quereinstieg zu einer anderen Zeit“, nennt Drees das. Demenzkranken falle es leicht, sich an Zeiten zu erinnern, die voller Gefühle waren. „In der Kindheit wird man fündig.“ Lebensabschnitte mit Struktur und Routinen geraten hingegen als erstes in Vergessenheit: Während man im Erwachsenenleben funktionieren müsse, sei die Kindheit wesentlich mehr von Emotionen bestimmt. Tiere, Natur, Lieder – das ist ihr Therapieansatz.

Ein schöner Hut

Inzwischen haben alle zwölf Teilnehmer ein Tier auf dem Schoss, streicheln es und kraulen es hinter den Ohren. Diese Momente der Harmonie seien es, die Drees erreichen will. „Das bleibt als Bollwerk“, erklärt sie, denn so können die Senioren ihre Krankheit besser bewältigen. „Das Herz wird nicht dement.“ Die Tiertherapie sei ganzheitlich, denn sie trainiere sowohl die motorischen als auch die kognitiven Fähigkeiten.

Deswegen sei das Streicheln so wichtig: Es sei schön für die Senioren, Fürsorge und Liebe an die Tiere abzugeben, gerade, weil sie selbst immer versorgt werden. So können sie auch etwas geben. Das sei ein besonderer Moment der Selbstbestimmung, erklärt Drees.

Die Therapiestunde in Promente geht zu Ende, Drees geht behutsam auf die Teilnehmer zu und nimmt die Tiere wieder an sich. Doch einen Programmpunkt hat sie bis zum Schluss aufgehoben: Sie geht auf eine Frau zu und fragt, ob die Dame das Huhn noch einmal halten würde. Sie stimmt zu. Drees fragt, ob sie es auch auf dem Kopf tragen würde. Die Dame überlegt kurz und stimmt dann aufgeregt zu. Drees zieht der Frau eine kleine Mütze auf, dann nimmt sie das Huhn und setzt es darauf ab. Im Raum bricht Gelächter und Klatschen aus, die Frau versucht einen Blick auf das Tier auf ihrem Kopf zu erhaschen. „Einen schönen Hut haben sie da auf“, sagt Drees. Dann stimmt sie ein Abschiedslied an.

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