Der Fahrer des grauen Opels ist einer von denen, die es nicht verstanden haben – oder nicht verstehen wollen. Aus Richtung Schwachhausen kommend gibt er Gas und fährt durch den Gustav-Deetjen-Tunnel auf den Hauptbahnhof zu. Der Sicherungsposten, ein Mann zuständig für die Gabelkreuzung vor dem Tunnel, kann nur noch mit seiner Fahne den Rücklichtern hinterherwinken. "Ach, lass ihn fahren", sagt er zu sich selbst und wendet sich ab. Das nächste Auto nähert sich bereits aus Richtung Bürgerweide, die Fahrerin hält an und lässt das Fenster herunter. Der Mann mit der Warnweste schüttelt den Kopf. Nein, Sie könne hier nicht durch.
Es ist Donnerstagmittag und die Sonne scheint heiß vom dunstigen Himmel, an Tag Eins der Großbaustelle am Bremer Hauptbahnhof. Es ist ein Tag, an dem alle viel Geduld haben müssen: Autofahrer, die Fahrgäste der Buslinien, die Ordnungskräfte und die Mitarbeiter an dem Infostand, den die Bremer Straßenbahn AG (BSAG) vor dem Bahnhof aufgebaut hat. Aber auch bei Fußgängern und Radfahrern sieht man viele verwirrte Gesichter.
Heute sei der Chaostag, sagt Michael Pechstein. Seine Firma, Bremer Sicherheitsposten (BSP), stellt das Personal für die Sicherung der Baustelle. Aber weil sich alle auf das Chaos eingestellt haben, läuft es eigentlich ganz gut. Die Männer mit den Warnwesten sorgen dafür, dass keine Autofahrer die Sperrung passieren. Nur ab und zu entwischt einer, das sei der "übliche Wahnsinn", sagt Pechstein.
Frust über Baustellen
Die Autofahrer bekommen die Sperrung am meisten zu spüren. In den sozialen Netzwerken wie Facebook machen einige ihrem Frust Luft. Es herrscht Unmut über die vielen Baustellen in Bremen. Auch Marcel Hesse fährt fast täglich mit dem Auto via Hauptbahnhof in die Innenstadt. Er finde die Bauarbeiten eigentlich gut, aber: "Man sollte erst eine Baustelle beenden." Schon die Baustelle am Stern habe ihn Nerven gekostet; die Schwachhauser Heerstraße sei völlig überfüllt, "das macht keinen Spaß".

Der Bagger steht, bald wird der Asphalt aufgerissen. Etwas mehr als elf Wochen sollen die Bauarbeiten am Bahnhof dauern.
Obwohl die Baustelle angekündigt war, reagieren viele Autofahrer überrascht. Die Straße An der Weide ist gesperrt, die Autos müssen umkehren und einen Umweg zum Bahnhof fahren – 30 bis 40 Mal habe er den Leuten diese Strecke heute schon erklärt, sagt ein Sicherheitsmann mit einem Achselzucken. Manchmal meckern die Leute dann, aber so seien Autofahrer eben.
Die Fahrgäste der BSAG sind dagegen gelassen. "Bisher waren alle entspannt", sagt Lena Allerheiligen, die mit ihren Kollegen Detlef Pollak und Daniel Schäfer den BSAG-Infostand vor dem Bahnhof betreut. Unter der Woche fahren die Straßenbahnen ganz normal, erklärt die 33-Jährige. "Sonst würde hier ja alles zusammenbrechen." Die Buslinien halten bereits an Ersatzhaltestellen um den Platz verstreut. Sie müssen ab Tag Eins umgeleitet werden, weil der Asphalt zwischen den Schienen aufgerissen wird.
Unfreiwillige Übernachtung
Gehörte das Baustellen-Szenario tagsüber sozusagen noch zum normalen Alltag in Bremen, so stand dem Hauptbahnhof die eigentliche Bewährungsprobe erst noch bevor. Am frühen Abend wurde wegen des Unwetters die Strecke von Bremen nach Hamburg gesperrt und blieb es bis zum Freitagmorgen. Folge davon: Innerhalb kürzester Zeit strandeten Hunderte von Bahnreisende im Bahnhof, die Feuerwehr sprach am Abend von 500 bis 600 Personen.
Vor dem Info-Schalter bildeten sich lange Schlangen, Ausweichrouten waren gefragt. Für nicht wenige der Gestrandeten lief es am Ende trotzdem auf eine unfreiwillige Übernachtung in Bremen hinaus. Eigens hierfür platzierte die Deutsche Bahn auf Gleis 9 einen ICE. Feuerwehr und Rotes Kreuz bauten zudem ein Zelt auf, um die Reisenden mit Essen und Getränken zu versorgen.

Margret und Helmut Vetter sind als Touristen zu Besuch in Bremen. Die Verkehrssituation am Hauptbahnhof sei auch ohne die Baustelle schrecklich, findet Helmut Vetter. BSAG-Mitarbeiter Detlef Pollak erklärt ihnen, wo die Buslinien halten.