23. Januar 2004: Sandra K. bringt Kevin im Klinikum Bremen-Nord per Kaiserschnitt zur Welt. Die 34-jährige ist seit etwa 20 Jahren drogenabhängig, sie ist HIV-positiv und an Hepatitis C erkrankt. Kevin leidet an Entzugserscheinungen. Er muss reanimiert werden, wird künstlich beatmet und intensivmedizinisch betreut. Sein Ziehvater (so die spätere Bezeichnung) ist Bernd K., 39 Jahre alt, drogenabhängig. Er hat bis zu dem Zeitpunkt insgesamt 13 Jahre an Haftstrafen verbüßt – unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung.
März 2004: Kevin wird am 9. März trotz Bedenken der Klinik zu den Eltern entlassen. Der – vermeintlich – leibliche Vater, die Mutter und Kevin fahren zu einer Entgiftungskur nach Heiligenhafen. Mit welchem Erfolg geht aus den Akten nicht hervor.
Mai 2004: Der Sachbearbeiter des Amtes für Soziale Dienste bietet der Familie Hilfen an, diese lehnt ab. Am 28. Mai schreibt das Klinikum Nord einen Bericht an ihn: Es gebe erhebliche Bedenken, dass Sandra K. ihren Sohn versorgen könne. In der Klinik habe es Vorfälle mit Bernd K. gegeben: körperliche Androhungen und Beschimpfungen. Falls Probleme weiter auffällig würden, müsse erwogen werden, "das Kind aus der Familie zu entfernen". Eine Reaktion darauf ist in den Akten nicht dokumentiert.
August 2004: Notlagenbericht der Polizei: Sandra K. sei spät abends – offenbar unter Drogen stehend – mit Kevin durch die Straßen spaziert. Sie soll ihn aus dem Kinderwagen genommen, in die Luft geschleudert, wieder aufgefangen haben; sie soll das schreiende Kind mit der flachen Hand auf das Auge gehauen haben. "Es erscheint zweifelhaft, ob die Frau K. in der Lage ist, bei ihrem Kind eine sozialadäquate Erziehung zu gewährleisten", heißt es in dem Bericht.
September 2004: Kevin kommt mit Knochenbrüchen in die Prof.-Hess-Kinderklinik, auch Frakturen älteren Datums werden festgestellt. Im Klinik-Bericht steht: "Multiple traumatische Frakturen. Kindesmisshandlung. Entwicklungsstörung." Kevin wird am 14. Oktober nach Hause zu den Eltern entlassen.
November 2004: Polizeieinsatz in der elterlichen Wohnung: Kevins unter Drogen und Alkohol stehende Mutter schläft im Hausflur und hat Kevin dabei. Das Kind schreit, hat rote Stellen auf Stirn und Wange. Er kommt ins Krankenhaus, danach ins Hermann-Hildebrand-Haus. Kevin kommt zu seinen Eltern zurück.
Februar 2005: Der Kinderarzt meldet sich beim Amt: Er mache sich Sorgen um das Kindeswohl, Kevin habe 500 Gramm abgenommen, sei extrem blutarm.
Mai 2005: Sandra K. hat am 29. Mai eine Totgeburt.
Juli 2005: Bernd K. alarmiert die Polizei: Sandra K. raste aus, er wisse sich nicht mehr zu helfen. Die Beamten sehen einen Jungen, "der von oben bis unten komplett verdreckt" ist.
November 2005: Kevins Mutter stirbt an einem Milzriss, Fremdverschulden wird zunächst nicht ausgeschlossen. Kevin kommt für drei Wochen in ein Kinderheim, Bernd K. wird in die Klinik Dr. Heines zwangseingewiesen. Das Jugendamt wird zum ersten Vormund des Kindes. Eine Woche später sorgen der Amtsvormund und der Sachbearbeiter dafür, dass Kevin zurück zu Bernd K. kann – gegen Widerstände des Hermann-Hildebrand-Hauses und des Kinderarztes.
Dezember 2005 bis April 2006: Eine Amtsrichterin erkundigt sich wegen der vorläufigen Amtsvormundschaft und fragt, wo Kevin jetzt lebt. Der Sachbearbeiter erklärt, der Vater sei mehrere Wochen bei seinen Eltern in Niedersachsen – dort war er nur ein paar Tage, wie sich später herausstellt. Die Bewährungshelferin von Bernd K. informiert den Sachbearbeiter, sie mache sich Sorgen. Ende Januar beauftragt Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) – er ist ehrenamtlich für das Hildebrand-Haus tätig – Sozialsenatorin Karin Röpke (SPD) damit, sich um zwei Fälle (darunter Kevin) zu kümmern. Röpke wendet sich an den Leiter des Amtes für Soziale Dienste, bekommt von dort Entwarnung, leitet dies an Böhrnsen weiter. Dreimal ist Kevin bei einer Tagesmutter gewesen – diese berichtet dem Amt von einem Verband am Fuß und blauen Flecken.
Mai/Juni 2006: Vermutlicher Todeszeitpunkt von Kevin.
September 2006: Das Sozialzentrum übermittelt dem Amtsvormund, dass der Vater sich den angebotenen Hilfen entzieht. Es wird entschieden, den Jungen aus der Familie zu nehmen.
10. Oktober 2006: Polizisten finden Kevin tot im Kühlschrank in der Wohnung von Bernd K. Senatorin Röpke tritt einen Tag später zurück. Ende Oktober wird erstmals bekannt, dass Bernd K. nicht Kevins leiblicher Vater ist. Am 2. Oktober hatte das Gericht beschlossen, Kevin aus der Wohnung zu holen. Im November erklären Gerichtsmediziner: Kevin ist eines gewaltsamen Todes gestorben. Am 13. November wird Kevin beigesetzt. Im Juni 2008 verurteilt das Landgericht Bernd K. wegen Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit Misshandlung von Schutzbefohlenen zu zehn Jahren Haft.