Michael Meyer prescht in wilder, verwegener Jagd zwischen den Zuschauern die Treppe im Theater am Leibnizplatz empor. Seinem finsteren Blick ist gleich anzumerken, dass er nichts Gutes im Schilde führt. Und tatsächlich: In der Rolle des Königs will er klammheimlich ein Kistchen im Wasser versenken, in das er zuvor das Baby einer armen Frau gestopft hat. Denn er will partout die Weissagung nicht hinnehmen, die besagt: Dieses kleine Glückskind wird einst die Königstochter heiraten und damit die Nachfolge des autokratischen Monarchen antreten. Um mitten durchs Publikum die blauen Fluten eines Flusses fließen zu lassen, sind die vielen Kinder gefragt, die samt ihrer Familien zur Premiere des ersten Weihnachtsmärchens gekommen sind, das die Bremer Shakespeare Company überhaupt produziert hat. Mit dem „Teufel mit den drei goldenen Haaren“ nach dem Märchen der Brüder Grimm hat die Company, so viel vorweg, einen großen Erfolg gelandet.
Denn die Company-Mitglieder Svea Meiken Auerbach und Michael Meyer, die die Idee entwickelten und im fliegenden Wechsel immer wieder in neue Rollen schlüpfen, haben ein gutes Gespür dafür entwickelt, wie sich ein Weihnachtsmärchen anfühlen muss. „Ist das jetzt der Räuber?“ fragt es schon zu Beginn aus einer hinteren Reihe. Nö, ist er nicht, sondern ein mit Hellebarde und schmucker Pappuniform ausstaffierter Wächter. Egal, die beiden Brüder Dilian und Jimmy aus der Neustadt verfolgen das Geschehen auch so bis zum Schluss wie gebannt. Zu ihrem Bedauern können sie nicht in der Handlung mitmischen, sie sitzen ein bisschen zu weit vom Schuss. Und so gucken sie gespannt zu, wie die anderen Kinder aus einem großen, blauen Tuch besagten Fluss zaubern oder auf Wunsch von Svea Meiken Auerbach als wilde Räuberbraut eifrig ein Feuer aus rot-orangen Stoff-Fetzen munter auf der Bühne tanzen lassen.
Doch der Mordanschlag des Königs auf das Glückskind-Baby misslingt, Gott sei Dank. Wohlbehalten landet es, während Marijke Tjoelker dazu Smetanas „Moldau“ auf ihrer Geige spielt, schließlich in den liebevollen Armen einer kinderlosen Müllerin. Der siebenjährige Dilian und sein neunjähriger Bruder Jimmy haben sich indes schon zwei Favoriten ausgeguckt: „Den Teufel finden wir echt cool, aber auch seine Großmutter!“ Helene findet dagegen den überdimensionalen, roten Teufel mit den gelben Glutaugen ganz schön gruselig. Die blonde Dreijährige aus der Neustadt hat vor lauter Aufregung ganz rote Wangen. Aber gemach, gemach, nur die ganz Kleinen im Publikum gruseln sich: „Jetzt hat sich aber jemand erschrocken“, muss Michael Meyer denn auch nur einmal sagen.
Und schon schlüpft er von der Rolle des finsteren Königs flugs in die der Großmutter des Teufels. Grandios, wie Michael Meyer seine weibliche Seite auf der Bühne auslebt, säuselnd mit dem Glückskind flirtet, das inzwischen zu einem feschen, jungen Mann herangewachsen ist. Und ihn an seinen ausladenden Busen drückt, der aus der tief dekolltierten, schwarzen Robe quillt. Das stets munter auf seiner Geige fiedelnde Glückskind (Marijke Tjoelker) gewinnt diese Kontrabass spielende Diva von einer Großmutter als Verbündete. Denn der König hat verfügt, dass der seine Tochter, die sich auf den ersten Blick in den schönen, jungen Glückskind-Jüngling verliebt hat, nur dann behalten darf, wenn er für sie in die Hölle hinab steigt, um dem Teufel seine drei goldenen Haare zu klauen.
Diesen gefährlichen Job erledigt dann allerdings dessen gewitzte Oma für das Glückskind. Kein Wunder, sie hat sich wohl auch ein bisschen in den hübschen Jungen verguckt. Und mit ihrer Hilfe gelingt es ihm schließlich, mit seiner heiß geliebten Prinzessin den Hochzeitswalzer von Tschaikowsky zu tanzen. Auch Melanie Kuhl zaubert gleich in Mehrfachfunktion auf der Bühne der Company, als Scherenschnitt-Theater-Spielerin, die mal eben so ganz nebenbei die filigranen Figürchen sowie das Traumschlösschen und das Papp-Mobiliar kunstvoll kreiert hat. So, wie es sich für ein echtes Märchen gehört, heißt es am Ende, wie in der gleichnamigen Shakespeare-Komödie: „All’s well, that ends well!“: Ende gut, alles gut! Und dazu gehört auch, dass der finstere König gebührend bestraft wird. Und so gehen für den Wimpernschlag eines Augenblicks utopische Vorstellungen, wie Gerechtigkeit funktionieren könnte, in Erfüllung. Entsprechend donnernd fällt der Applaus aus.
Die nächsten Vorstellungen von „Der Teufel mit den drei goldenen Haaren“ in der Bremer Shakespeare Company, Schulstraße 1: Am Donnerstag, 10. Dezember, sowie Freitag, 11., Mittwoch, 16., Donnerstag, 17., und Montag, 21. Dezember, jeweils um 10 Uhr. An den Sonntagen, 6., 13. und 20. Dezember, jeweils um 11 Uhr. Der Eintritt kostet für Kinder und Erwachsene sieben Euro. Kindergruppen ab 20 Personen zahlen fünf Euro pro Person. Tickets sind bei der Company unter Telefon 50 03 33 oder bei Nordwest Ticket unter Telefon 36 36 36 erhältlich.