Der Frau am Telefon kommen die Tränen, sie weint. So viele schöne Erinnerungen, und jetzt soll alles vorbei sein. "Das ertrage ich nicht", sagt die 79-Jährige, "wir gehen da am Freitag nicht hin, bestimmt nicht." Viele Jahre, dass sie mit ihrer Familie und Freunden die Galopprennbahn besucht hat. Die Kinder sind so zum Pferdesport gekommen, sie reiten, erzählt die Frau.
Dass die Rennbahn nach mehr als 100 Jahren schließt und an Karfreitag der letzte Renntag veranstaltet wird, will ihr nicht in den Kopf. Ein Jammer, sagt sie. Frank Lenk, Vorstandssprecher beim Rennverein von 1857, kennt viele solcher Geschichten. "Es gibt Leute in unserem Umfeld, die es einfach nicht wahrhaben wollen, dass Schluss ist, sogar bei uns auf der Geschäftsstelle, die machen weiter, als wäre nichts."
Doch keine Chance, die Entscheidung ist unumkehrbar. Die Bahn wird dicht gemacht. Irgendwann später räumen auch die Golfer das Feld. 13 Jahre lang konnten sie auf einer Neun-Loch-Anlage ihre Runden drehen. Der Verein hat zwar einen Pachtvertrag bis 2034, die Stadt durfte ihn gegen Zahlung einer Millionensumme aber vorzeitig auflösen. Golf gespielt wird jetzt nur noch solange, bis die Bagger rollen.
Bremen will auf dem Areal in der Vahr im großen Stil Wohnungen bauen lassen, 1000 Einheiten oder mehr. Das ist die Zukunft. In der Gegenwart laufen am Freitag noch einmal die Pferde. Und die Vergangenheit – Lenk und seine Mitstreiter haben ein Buch darüber geschrieben, noch ein paar Wochen, dann kommt es raus. Die Geschichte des Rennvereins und der Galopprennbahn. Beides ist untrennbar miteinander verbunden.
Eine Episode gibt es, von der hatten die Autoren nichts gewusst, die nimmt Lenk jetzt noch auf, bevor das Buch erscheint. Es geschah kurz vor einem der Renntage im Jahr 1995. Der WESER-KURIER hatte berichtet. "Sabotage-Anschlag auf der Galopprennbahn", lautete die Schlagzeile. Was war geschehen?
Unbekannte Täter hatten sich an der Startmaschine zu schaffen gemacht. Sie wurde so stark demoliert, dass nichts mehr funktionierte. Die Klapptüren waren kaputt und ließen sich nicht mehr öffnen. Die Täter, fand die Polizei heraus, hatten eine Blechschere benutzt. Es war also kein Vandalismus, sondern gezielte Zerstörung. Der Schaden belief sich auf 50.000 Mark.
Die Anfänge des Rennvereins
Repariert werden konnte die Maschine so schnell nicht. Alle neun Rennen, die an dem Tag stattfanden, mussten mit der Flagge gestartet werden – heikel, wenn Vollblüter auf der Linie stehen, die ihre Nervosität kaum zügeln können. Schwerstarbeit für die Jockeys im Sattel. Diese Geschichte wird sich nun also auch in dem Buch wiederfinden.
Die Verfasser berichten von den Anfängen des Rennvereins, der bei seiner Gründung noch Bremer Reitklub hieß und sich erst im Jahr 1934 umbenannte. Die Pferderennen wurden anfangs auf dem Gröpelinger Wied und dem Hastedter Suhrfeld ausgetragen. Die erste offizielle Rennbahn gab es im Jahr 1865, damals schon in der Vahr. Wobei erwähnt werden muss, dass die Rennbahn von heute genau genommen in Hemelingen liegt. Die Zuordnung zur Vahr ist nicht korrekt, hat sich aber so eingebürgert.

Die obligatorischen Damen mit Hut. Im Bild links Frank Lenk vom Rennverein.
Der Rennverein hatte eine Tribüne konstruiert, die in den Jahren 1867, 1868 und 1869 zwischendurch auch im Bürgerpark aufgebaut wurde, um dort Pferderennen abzuhalten. So richtig los ging es dann aber erst 1907. Der Rennverein feierte seinen 50. Geburtstag und wurde reich beschenkt: Die Stadt übergab ihr nach zwei Jahren Bauzeit eine Rennbahn. Feierlich eröffnet wurde sie am 29. und 30. Juni 1907 mit einem Doppelrenntag. Seitdem gab es in jedem Jahr mit Ausnahme der Kriegszeiten eine Rennsaison.
Einen großen Anteil daran, dass der Bremer Galopprennsport im Verlauf der Jahrzehnte seinen Aufschwung nahm, hatte die Familie Schütte. Zunächst war es der Kaufmann und Ölimporteur Franz Ernst Schütte, der dem Rennverein unter die Arme griff. Er finanzierte einen großen Teil der Kosten für die Holztribüne, die heute noch an ihrem Platz steht und eigentlich unter Denkmalschutz gestellt werden müsste. Schütte, nach dem in Oberneuland eine Allee benannt ist, galt als "Petroleumkönig". Er war sagenhaft reich und tat sich in der Stadt noch an anderen Stellen als Mäzen hervor.
Bomben im Zweiten Weltkrieg
Einige Zeit später kümmerte sich sein Sohn um den Rennverein. Er hieß wie sein Vater Franz Schütte und war in den Jahren von 1932 bis 1966 Präsident des Vereins. "Schütte war ideenreich und innovativ", heißt es in dem Buch, "Betriebe bekamen Freikarten, er organisierte Flugzeugvorführungen über dem Areal und Modenschauen in den Rennpausen."
Im Zweiten Weltkrieg fielen Bomben auf die Bahn. Nach den Quellen von damals wurden 50 tiefe Trichter gezählt. Drei Jahre nach dem Krieg waren die Mittel vorhanden, die Bahn wieder auf Vordermann zu bringen, und noch ein Jahr dauerte es, bis am 17. April 1949 wieder die Pferde liefen und gewettet werden konnte. "Die Zuschauermassen sollen an diesem Tag, an dem etwas überraschend nur Trabrennen stattfanden, beträchtlich gewesen sein", steht in dem Buch.
Als Schütte 1966 sein Amt abgab, übernahm der Kaffeekaufmann und Pferdezüchter Walther Johann Jacobs die Führung des Vereins. Er blieb bis zum Jahr 1995 Präsident – wieder ein Glücksfall für den Bremer Galopprennsport. Jacobs betrieb in Sottrum das Gestüt Fährhof, er hatte das Geld, die besten Pferde heranzuziehen, und ließ sie unter anderem auf der Bahn in der Vahr laufen. Die Rennen bekamen dadurch ein ganz anderes Renommee und ernteten deutschlandweit Aufmerksamkeit.
Hohen Besuch bekam die Anlage im November 1986, als der ehemalige Bundespräsident Walter Scheel dem Rennvereinspräsidenten eine Auszeichnung verlieh. Jacobs erhielt wegen seiner Verdienste für die Vollblutzucht und seines Engagements im Rennsport die Goldene Verdienstmedaille des Galopp-Direktoriums. Scheel war damals Präsident des Dachverbandes. Im selben Jahr wurde Jacobs auch mit dem Großen Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland geehrt.
Wie bei den Schüttes setzte sich das Engagement für den Sport, die Galopprennbahn und den Rennverein auch in der Familie Jacobs fort. Auf Walther Johann Jacobs folgte sein Enkel, Andreas Jacobs. Er war von 1995 an zehn Jahre lang Präsident des Vereins und als ausgewiesener Pferdekenner genau an der richtigen Stelle. Bis heute sitzt er im Vorstand des Vereins.
Gleich zu Beginn seiner Amtszeit verbuchte der Rennverein einen Rekord. Der Wettumsatz stieg am ersten Renntag der Saison auf ungeahnte Höhen. Es waren genau 793 972 Mark und 50 Pfennige, die am Totalisator erlöst wurden, das bis dahin beste Ergebnis in der Geschichte des Vereins. 5500 Besucher waren gekommen. Am ersten Renntag solche guten Zahlen, am letzten desselben Jahres ein spektakulärer Zwischenfall, der Sabotageakt. Licht und Schatten
Wetthalle war zwischenzeitlich abgebrannt
Die 1990er-Jahre waren eine Zäsur. Es machte sich Unsicherheit darüber breit, wie es auf der Rennbahn grundsätzlich weitergehen soll. Zwischenzeitlich war die Wetthalle abgebrannt und musste neu aufgebaut werden, immerhin zahlte die Versicherung. Das geschah noch, war aber nicht der Garant dafür, dass die Pferde in der Vahr ewig laufen.
Andreas Jacobs sagte es an dem Tag, als er im Rennverein von seinem Großvater das Präsidentenamt übernahm: "Wir müssen konkret wissen, was Bremen in den nächsten Jahren letztendlich mit der Galopprennbahn vorhat. Nur so können auch wir für die Zukunft planen und weiterhin in den Galopprennsport investieren." Längst nämlich war die Stadt Eigentümerin der Fläche geworden und hatte sie an den Verein verpachtet.
Thema war damals auch, ob man das Oval noch für andere Sportarten nutzen könnte, von Windhundrennen war die Rede und von Golf. Das sollte Belebung bringen. Die Galopprennbahn hatte vor diesen Überlegungen und danach durchaus große Massen gesehen. Das Familienfest "Happy Family" zum Beispiel, da waren es bis zu 100.000 Besucher.

Von der Holztribüne hat man einen guten Blick auf das Renngeschehen.
Oder ein Volksrenntag, für den in der Stadt Freikarten vergeben wurden, rund 30.000 Menschen ließen sich diese Gelegenheit nicht entgehen. Es gab Konzerte, Festivals und einmal auch Public Viewing, als Deutschland bei der Fußball-WM vor vier Jahren im Endspiel gegen Argentinien stand. Die Rennbahn war überfüllt, Abertausende, die das Spiel verfolgten.
Seit 13 Jahren Golf
Mit dem Golf ist es etwas geworden. Der Club GolfRange hatte die Anlage bauen lassen, von 2005 an wurde sie bespielt. Im selben Jahr eröffnete neben der neuen Wetthalle ein Hotel der Atlantic-Gruppe der Bremer Kaufleute Kurt Zech und Joachim Linnemann. Zech sitzt wie Andreas Jacobs heute im Vorstand des Rennvereins. Das Hotel wird nach Angaben der Geschäftsleitung auch nach Beginn der Bauarbeiten seinen Betrieb fortführen. Zu Ende geht es nur mit der Rennbahn und dem Golfplatz.
Eine Zeit lang sah das anders aus. Nach den kritischen Bemerkungen von Jacobs gegenüber der Stadt tat sich noch mal was. Die Galopprennbahn und ihre Gebäude wurden mit großem Aufwand saniert, bei der Gelegenheit entstand auch das Hotel. So richtig helfen konnte das aber nicht mehr, trotz aller Anstrengungen von George C. Muhle, der Jacobs als Präsident gefolgt war.
Zu den Rennen kam nicht mehr so viel Publikum, eine Entwicklung, die es auch in den anderen deutschen Städten gab, in denen Galopprennsport angeboten wurde. Die Veranstaltungen und die Pflege der Anlage waren zu einem Zuschussgeschäft geworden, für das die Stadt nicht länger aufkommen wollte. Als vor zehn Jahren die Subventionen gestrichen wurden, hatte das den schleichenden Tod der Rennbahn zur Folge. Jetzt tritt er ein. An Karfreitag ist die Beerdigung.