Herr Muras, weshalb ist die Bürgerstiftung Bremen wichtig für das Gemeinwohl?
Eberhard Muras: Die Bürgerstiftung fördert bürgerschaftliches Engagement. Sie verbindet nun seit 20 Jahren Menschen, die sich über feste gesellschaftliche Strukturen hinaus aktiv miteinander für das Zusammenleben in dieser Stadt einsetzen wollen und ermöglicht es, Demokratie vielfältig mitzugestalten und das nicht anderen zu überlassen. Wir können die Bürgerinnen und Bürger mit Wissen, Netzwerken, Projekten, Beratung und Geld für die Umsetzung ihrer Ideen unterstützen.
In welchen Bereichen engagiert sich die Bürgerstiftung?
Sie fördert demokratische Strukturen und vielfältige Projekte in sehr vielen Bereichen, unter anderem in Bildung, Völkerverständigung, Wissenschaft oder Umweltschutz. Sie bereitet auch kleinen Initiativen den Weg zur Vernetzung und unterstützt Stadtteilinitiativen; zum Beispiel in Arsten den Gedenkfriedhof für Menschen, die bei der ersten Flüchtlingswelle 2015 auf dem Weg hierher ums Leben gekommen sind.
Wer steckt hinter der Bürgerstiftung?
Wir sind unter bundesweit rund 400 Bürgerstiftungen eine Besondere. Denn die Bürgerstiftung Bremen wurde vom Senat und der Bürgerschaft am 24. April 2002 ins Leben gerufen und anfangs auch finanziell unterstützt. Treibende Kräfte waren unter anderem der ehemalige Staatsrat Hans-Christoph Hoppensack, der auch der erste 1. Vorsitzende war und bis heute im Vorstand aktiv ist, und Altbürgermeister Henning Scherf. Die Bürgerstiftung wird von der Politik unterstützt, ohne an ein Ressort angedockt oder in die Verwaltungsorganisation eingebunden zu sein.
Wie arbeitet die Bürgerstiftung?
Es gibt einen geschäftsführenden Vorstand von vier Personen, der sich wöchentlich trifft und berät. Der Gesamtvorstand besteht aus elf Personen. Außerdem gibt es eine Stifterversammlung und Fachausschüsse. Wir haben ein kleines Sekretariat im Hause der Heimstiftung und arbeiten eng mit der Freiwilligen-Agentur zusammen.
Wer liefert die Projektideen?
Die bekommen wir durch Förderanfragen oder von Menschen, die um Unterstützung ihrer Idee bitten. Auch wir sprechen Vereine oder Initiativen an, wenn wir auf Angebote aufmerksam werden, die eine Möglichkeit der Begegnung ungeachtet des Alters, der ethnischen Herkunft oder finanziellen Situation bietet. Wir haben zum Beispiel "Rotkäppchens Garten" zur Zwischennutzung im Viertel unterstützt und fördern den Umzug des Urban-Gardening-Projekts an den Rembertikreisel. Denn das ist ein toller Ort der Begegnung und ein beispielhaftes Modell für bürgerschaftliches Umgehen miteinander.
Was wird gefördert?
Unseren Entscheidungen liegt ein Kriterienkatalog zugrunde. Einige Punkte daraus sind, dass das Projekt eine demokratische Entwicklung fördern muss, Bürgerverantwortung und -beteiligung oder das Zusammenleben der Generationen und Kulturen. Auch Zivilcourage und Gewaltprävention sind uns wichtig. Wir achten darauf, dass ein Projekt unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen zusammenbringt oder nachhaltig angelegt ist. Wir übernehmen keine Vollfinanzierung, beraten und unterstützen Antragsteller aber dabei, weitere Geldgeber zu finden. Und uns ist sehr wichtig, dass die Antragstellung nicht zu kompliziert ist.
Woher stammen die Stiftungsmittel?
Das sind zum einen die Erträge aus dem Stiftungskapital. Weil auch die Bürgerstiftung Projekte nur in dem Maß fördern kann, wie die Zinsen dies zulassen, sind wir auf weitere Geldmittel angewiesen. Die Spenden von der Sparkasse Bremen und – für den Hilde-Adolf-Preis – vom WESER-KURIER, bieten eine gute finanzielle Grundlage, aber auch Gelder, die teilweise auf projektbezogene Aufrufe eingeworben wurden. Auch zweckgebundene Zustiftungen wie Erbschaften gehören dazu. Oder man gründet eine Treuhandstiftung, die ihre inhaltliche Arbeit selbstständig bestimmt, nur rechtlich unter dem Dach der Bürgerstiftung angesiedelt ist. Ich bin sehr froh, dass Verbrauchsstiftungen dazu gehören. So bekommen zum Beispiel kinderlose Paare die Möglichkeit, dass ihr Erbe in einem Zeitraum von zehn Jahren in ihrem Sinne verbraucht wird. Es müssen gar nicht immer große Summen sein.
Wie viele Projekte wurden in den vergangenen 20 Jahren gefördert?
Die Bürgerstiftung hat etwa 351 Projekte mit insgesamt 1,8 Millionen Euro unterstützt.
Welches sind die jüngsten Projekte?
Dazu gehört ein Tischkicker für das Projekt Housing first für wohnungslose oder von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen – und als größeres Projekt "Hol mal Luft" für pflegende Angehörige. Wir laden kleine Gruppen zum Essen ein, um im Gespräch von ihren Bedürfnissen zu erfahren, damit eine Projektgruppe aus verschiedenen Organisationen den Betroffenen später konkrete Hilfe anbieten kann.
Was sind die erfolgreichsten Projekte?
Für sich genommen sind alle Projekte erfolgreich gewesen, nicht nur die mit großer Außenwirkung wie "Schwimm mit", welches sich verselbstständigt hat, sondern auch ganz kleine wie das wöchentliche Singen, das ein älteres Ehepaar in einer Osterholzer Senioreneinrichtung, organisiert hat. Ich habe dazu das Bild einer Kugel vor Augen, die wir auf Anregung von Menschen, die etwas Positives bewegen wollen, mit angestoßen haben und die wiederum andere angestoßen hat.
Vor welchen Herausforderungen steht die Bürgerstiftung?
Wir sind alle betroffen darüber, dass der Krieg über uns hereingebrochen ist und Menschen in Bremen angekommen sind, die hier Schutz suchen, den wir ihnen gewähren. Da werden noch viele Aufgaben auf uns zukommen, von denen wir jetzt noch gar nichts ahnen. Deshalb haben wir mit dem Stiftungshaus das Bremer Bündnis für die Ukraine initiiert und wünschen uns, dass das Hilfsnetzwerk wächst.
Wie schafft die Bürgerstiftung Anreize für bürgerschaftliches Engagement?
Indem wir uns einmischen und auf Projekte von uns aufmerksam machen. Außerdem laufen Projekte, die wir gefördert haben, dauerhaft weiter. Ein weiterer Punkt ist der Hilde-Adolf-Preis, mit dem wir seit 2005 beispielgebende besondere Leistungen des bürgerschaftlichen Engagements und der Bürgerbeteiligung würdigen. Wir überlegen gerade, wie wir den Wettbewerb neu ausrichten können.
Welche Ziele steckt sich die Bürgerstiftung für die Zukunft?
Mein Traum wäre, wenn jeder, der in Bremen wohnt, einmal im Jahr einen Euro für das Gemeinwesen geben würde. Dann hätten wir bis zu 570.000 Euro zur Verfügung und könnten noch mehr im positiven Sinne in dieser Stadt ausrichten. Das Problem ist nur, wie wir das Geld einsammeln könnten, ohne dass der Verwaltungsaufwand drei Viertel davon auffrisst. Wäre ein Bürgerstiftungstag oder -fest mit Spendendose sinnvoll? Wir sind für alle Ideen offen!
Was motiviert Sie zur ehrenamtlichen Arbeit?
Es macht mir einfach Spaß, in der Stadt, in der ich seit 40 Jahren lebe, etwas gemeinsam mit anderen zu bewegen, neue Leute, aber auch Probleme kennenzulernen. Und wir sind ein tolles Team.
Das Gespräch führte Ulrike Troue.