Das gläserne Gewächshaus am Europahafen bildet einen Kontrast zu den Industriegebäuden, zwischen denen es steht. Auf 120 Quadratmetern wachsen Tomatenpflanzen, Gurken, Salat und kleine Taschenmelonen in einem Rohr, das von der Decke hängt. Weitere Rohre liegen auf Tischen, als warteten sie darauf, aufgebaut und bepflanzt zu werden. Das Gewächshaus an diesem seltsamen Ort gehört dem Start-up Watertuun.
Anna Brünner, Denis Kapieske, Enno Fricke, Lucas Lansing und Fred Werner leiten das Start-up. Das Verfahren, mit dem sie arbeiten, wird Aquaponik genannt: Es verbindet die Aufzucht von Fischen mit der Kultivierung von Pflanzen, indem beide in einem geschlossenen Kreislaufsystem wachsen können. Oder in einem halb geschlossenen – die Fische, die zu dem Kreislauf gehören, sind im Keller des angrenzenden Hauses. Das für die Pflanzen aufbereitete Fischwasser füllen die Unternehmensgründer händisch in eine Regentonne des Gewächshauses. Der Vorteil der Entkopplung: So kann der pH-Wert optimal an das Bedürfnis der Fische angepasst werden.
Im Keller ist es dunkel, die Zander, die in drei der fünf Wassertanks schwimmen, mögen kein Licht. Im ersten Tank sind keine Fische, sondern kleine Plastikteile: Darin sind Bakterien, die die Ausscheidungen der Fische in Nitrit und Nitrat und somit in Nährstoffe für Pflanzen umwandeln. Um den pH-Wert der Anlage zu sichern, wird das Wasser in einem weiteren Tank mit Kalk versetzt.
Über den Tanks hängt ein Futterautomat. Fred Werner hat ihn am 3-D-Drucker ausgedruckt. Jetzt testet er, wie er eingestellt sein muss. Auch die Wasserwerte werden automatisch gemessen, stimmt etwas nicht, bekommt Werner eine Nachricht auf sein Handy.
Das Programm, das diesen Automatismus steuert, hat Werner selbst geschrieben. „Wenn sich ein stabiles System entwickelt, können hier sehr viele Daten gesammelt und ausgewertet werden“, sagt er. Werner ist das jüngste Mitglied der Aquaponiker und vor allem für technische Raffinessen zuständig. Auch im Gewächshaus arbeitet er an einer Anlage, die die Oberlichter automatisch öffnen und schließen kann.
Bevor Watertuun den Platz am Europahafen ergattert hat, sind Pflanzen und Fische im Keller und im Hinterhof der Wohngemeinschaft von Kapieske und Fricke herangewachsen. Dass die Aquaponiker heute ein eigenes Gewächshaus haben, war Glück. Bisher haben sie ihre Pflanzen in einem Folientunnel herangezogen, den sie von einem Künstler geliehen haben. Auch heute wachsen noch Tomaten und Salat darin.
„Wir haben das Gewächshaus bei Ebay-Kleinanzeigen gefunden“, sagt Kapieske. Ursprünglich stand es in Fulda und gehörte zu einer alten Gärtnerei. Die Gruppe hat es dort im Winter auseinandergenommen und im Bremer Europahafen wieder zusammengebaut. „Wir sind erst im Mai damit fertig geworden“, sagt Anna Brünner. Die Montage sei zwar viel Arbeit gewesen, aber dafür mussten sie nichts für das Glashaus bezahlen.
Auch sonst versucht das Team, möglichst sparsam zu wirtschaften. Bisher hat das Geld von einer Crowdfunding-Kampagne 2018 gereicht, für die weitere Finanzierung bemüht sich das Start-up um Förderungen. „Wir wollen ein Forschungsstandort werden“, sagt Brünning. Deshalb gebe es Bemühungen, mit der Hochschule und dem Alfred-Wegener-Institut zusammenzuarbeiten. Auch jetzt gebe es bereits Studierende, die auf der Farm für ihre Abschlussarbeiten forschten. Die erste Besuchergruppe sei ebenfalls schon über die Anlage geführt worden. „Es ist eine große Chance, eine solche Anlage mitten in der Stadt zu haben“, so Brünning. Teile ihrer Anlage hätte das Team gesponsert bekommen, so zum Beispiel Pumpen und UV-Filter.
Nachdem der Bau abgeschlossen ist, plant das Team erst einmal den Anbau ihrer Pflanzen. Die Setzlinge ziehen sie selbst an, viele kleine Pflanzen wurzeln deshalb im angrenzenden Haus, in dem auch die Büroräume und die Fische sind, unter UV-Lampen. „Der grobe Plan geht immer der Nase nach“, sagt Brünning.
Geld verdient hätten sie mit ihrer Ernte noch nicht: „Vor Kurzem haben wir unseren ersten Salatkopf verkauft, das war aber eher Zufall“, sagt Kapieske. Die Kunden seien an der Anlage vorbeigekommen und hätten gefragt, ob etwas zu verkaufen sei. Der meiste Ertrag allerdings gehe noch immer in sogenannte Dankeschön-Boxen: Durch die Crowdfunding-Kampagne konnten Menschen das Start-up mitfinanzieren, im Ausgleich bekamen sie das Versprechen, Gemüseboxen, Fisch oder ein ganzes Abendessen zu bekommen, sobald genug geerntet werden könne.
Es sei aber auch nicht der Plan, mit dem Verkauf viel Geld zu verdienen: „Ohne Umweltbildung läuft dieser Standort nicht“, sagt Werner. Das Wichtigste sei deshalb, Erfahrungen zu sammeln.