Das Tempo ist ein bisschen raus. Noch vor wenigen Wochen hatten es einige grüne Spitzenleute auffallend eilig, die Aufstellung ihrer Partei für die Bürgerschaftswahl 2019 zu regeln. „Bis Ostern“ sollte alles unter Dach und Fach sein, so hörte man allenthalben. Der Wunsch nach frühen Festlegungen betraf dabei nicht so sehr die Inhalte, von denen Politiker ja grundsätzlich gern versichern, dass sie wichtiger seien als die Personen.
Nein, es ging um die Hackordnung. In der Partei wird kolportiert, dass es Finanzsenatorin Karoline Linnert war, die möglichst rasch Fakten schaffen wollte. „Sie wünscht sich einen Vertrauensbeweis“, sagt ein Grüner aus der ersten Reihe, wobei Vertrauen vielleicht das falsche Wort ist. Denn die Frau, die die Bremer Grünen in den vergangenen Jahren am stärksten geprägt hat, genießt durchaus das Vertrauen der Partei.
Seit 2007 bekleidet sie das Amt der Finanzsenatorin, und sie tut das mit einer Souveränität, die auch Teilen der Opposition Respekt abnötigt. Linnert hat den zuvor desolaten Bremer Haushalt konsolidiert und dem Stadtstaat für die Zeit nach 2020 wieder Handlungsspielraum verschafft.
Niemand könnte es Karoline Linnert daher verübeln, wenn sie dieses Verdienst auch parteiintern gewürdigt sehen wollte – durch eine erneute Spitzenkandidatur bei den Wahlen im kommenden Jahr. Es wäre Linnerts fünfte Kandidatur. Das Problem: Vertrauen ist nicht das gleiche wie Zuneigung. Durch ihre bisweilen schroffe Art hat es sich die 59-Jährige immer mal wieder mit politischen Weggefährten verscherzt.
Karoline Linnert wird in den Reihen der Grünen geschätzt, aber nicht geliebt. Und so gibt es in der Partei durchaus Leute von Gewicht, die sich 2019 einen personellen Neuanfang auf der Position des Spitzenkandidaten vorstellen könnten. Oder die zumindest gern Alternativen hätten, die man ernsthaft erwägen kann.
Karoline Linnert selbst bestreitet, auf eine frühzeitige Klärung der Spitzenkandidatur 2019 gedrängt zu haben. Es sei bekannt, „dass bei den Grünen zuerst die Inhalte kommen und dann die Personen“, sagt die Finanzsenatorin im Gespräch mit dem WESER-KURIER. Sie weiß, dass es für die Grünen 2019 nicht einfach wird.
"Wir müssen als die Kümmerer wahrgenommen werden"
Das Bremer Ergebnis bei der Bundestagswahl war ein Alarmzeichen. Mit 11,1 Prozent der Zweitstimmen fielen die Grünen zwei Prozentpunkte hinter die Linke zurück. Insbesondere in früheren Bastionen wie dem Viertel verlor die Öko-Partei massiv an Boden. Gefährlicher noch könnte für die Grünen eine politische Formation aus dem Kreis der Bürgerinitiativen werden.
Dort hat die Unzufriedenheit mit der Partei bereits zu konkreten Überlegungen geführt, 2019 mit einer eigenen Liste anzutreten. „Das schmerzt“, sagt Karoline Linnert, „ich nehme das ernst.“ „Ich nehme das ernst.“ Mit den gleichen Worten kommentiert die neue Landesvorsitzende Alexandra Werwath die Erosion der grünen Wählerschaft. Sie begegne häufig dem Urteil, die Grünen seien arrogant und unzugänglich geworden.
Dieser Eindruck dürfe sich nicht verfestigen. „Wir müssen in der Bevölkerung wieder besser verdrahtet sein, wir müssen als die Kümmerer wahrgenommen werden“, fordert Werwath. Fünf regionale „Zukunftsforen“ in Bremen und Bremerhaven sollen dabei helfen. Bei den Veranstaltungen, die für März und April geplant sind, wolle man Impulse und Kritik aus der Bevölkerung aufnehmen.
An Kritik wird es voraussichtlich nicht mangeln. In der Neustadt fragen sich grüne Stammwähler, warum ausgerechnet der grüne Umweltsenator Joachim Lohse 136 Platanen am linken Weserufer abholzen lassen will. Im Viertel fragen sie sich, warum der gleiche Senator gegen den Willen vieler Anwohner historische Pflasterstraßen asphaltieren lassen will. Statt als Kümmerer werden die Grünen inzwischen von vielen früheren Sympathisanten als Ursache für Kummer gesehen.
Dies ist also die Ausgangssituation für die Grünen ein gutes Jahr vor der Bürgerschaftswahl: Enttäuschte Stammwähler drohen abzuwandern, und die Senatoren mit der potenziell größten Außenwirkung haben nicht die Strahlkraft, die man sich erhoffen würde – in Lohses Fall, weil tatsächliche oder vermeintliche Sachzwänge das grüne Profil überlagern, und bei Linnert, weil die Verdienste ihrer Finanzpolitik vorerst zu abstrakt bleiben, als dass man damit auf Stimmenfang gehen könnte.
Böicke richten sich auf Maike Schaefer
Ein personelles „Weiter so“ mit Karoline Linnert an der Spitze sehen viele Grüne deshalb mit gemischten Gefühlen. Also auf radikale Verjüngung setzen und die erst 24-jährige Parteichefin zur Spitzenkandidatin machen? Alexandra Werwath hat bereits abgewinkt. Sie zieht es (noch) nicht in die Bürgerschaft. Viele Blicke richten sich deshalb auf die Fraktionsvorsitzende Maike Schaefer.
Sollte sie sich trauen, müsste die promovierte Biologin im Fall einer erneuten grünen Regierungsbeteiligung ab 2019 wohl Joachim Lohses Posten für sich beanspruchen. Umwelt, Bau und Verkehr ist dasjenige Senatsressort, das in jedweder Konstellation auf die Grünen zukäme. In einer Jamaika-Koalition wäre nämlich am ehesten das Finanzressort für die Grünen futsch, und in einem rot-rot-grünen Bündnis müssten sie wahrscheinlich das Sozialressort abgeben.
Schaefer wird sich früher oder später erklären müssen, aber noch lässt sie sich nicht in die Karten schauen. Lieber variiert sie eine Formulierung, die einem bekannt vorkommt: „Meines Erachtens sollten die Grünen erst einmal ihre politischen Inhalte festlegen, bevor sie die Personalfragen klären.“