Das Blauhaus steht: Die zwei fünfgeschossigen Wohnhäuser mit insgesamt 84 Wohnungen sind in diesem Sommer von der Gewoba zwischen Kommodore-Johnsen-Boulevard, Schwabensteinstraße, Herzogin-Cecilie-Allee und Ehrenfelsstraße fertiggestellt worden. Pünktlich zum Jahresende sind tatsächlich in alle Wohnungen Bewohner eingezogen, die nun in dem alternativen Wohnprojekt ihre Ideen von gemeinschaftlichem Leben und Wohnen verwirklichen wollen.
„Unser Anspruch ist es nicht, Menschen nur unterzubringen. Unser Anspruch ist es, sie zusammenzubringen, mit ihnen kreativ zu sein“, betont Conny Frigger vom Verein Blaue Karawane, der das Projekt 2007 auf den Weg gebracht hatte. Und so gibt es auf dem Grundstück auch ein Gebäude, das Quartierszentrum, Werkstatt- und Begegnungshaus werden soll und in dem am 26. Juni das Blauhaus-Einweihungsfest gefeiert wird: die „Blaue Manege“, die mit ihrem markanten Sheddach schon architektonisch sofort ins Auge springt und wo in Zukunft Platz für Kurse, Veranstaltungen und Treffen ist.
Im September waren im Rohbau die ersten Gäste bei einem Benefizessen bewirtet worden. Ein voller Erfolg: Von den an diesem Abend für den Innenausbau gespendeten 40.000 Euro konnte noch vor Weihnachten der Estrich in der Manege gegossen werden – weshalb die Blauhäusler sich für ihr erstes gemeinsames Silvester nun allerdings einen anderen Ort suchen müssen. Denn: Der Boden darf vorerst nicht betreten werden.
Blauhäuslerin Ilse Burfeind hat aber schon ein idyllisches Plätzchen im Auge, an dem sie mit ihren neuen Nachbarn auf den Jahreswechsel anstoßen möchte. Der nur einen Katzensprung vom Blauhaus gelegene kleine Molenturm an der einstigen Einfahrt zum Überseehafen sei dafür der ideale Ort, findet sie.
„Ursprünglich waren 80 Bewohner geplant"
Gemeinsam mit Gerd Wittenburg bewohnt Burfeind seit Mitte August eine Wohnung im Nordhaus an der Herzogin-Cecilie-Allee. „Wir waren die Ersten, die eingezogen sind“, sagt sie. „Ursprünglich waren 80 Bewohner geplant, was aber erweitert wurde. Ich war da erst skeptisch, finde das jetzt aber gut. Sonst wären wir vermutlich in unserem eigenen Saft verbraten“, sagt Wittenburg. Und Ilse Burfeind erklärt dazu: „Zu Anfang waren es 80 Personen – jetzt sind es 180, und es ist gut. Wir beide sind schon seit zehn Jahren bei der Blauen Karawane dabei und kennen von daher viele Bewohner. Die Idee eines gemeinschaftlichen Wohnprojektes gibt es ja bereits seit 20 Jahren. Insofern sind es alte Strukturen, die sich hier fortschreiben.“
Durch die Erweiterung des Wohnprojekts seien auch Leute dazugekommen, von denen man noch nicht so genau wisse, wie sie ticken, erzählt Frigger. Sie ist vor mehr als zwei Jahren bewusst von Göttingen nach Bremen umgezogen, um bei dem inklusiven Wohnprojekt dabei zu sein: „Es kamen Leute, die einfach eine Wohnung brauchten – und auch Menschen aus anderen Ländern, sodass wir jetzt ein sehr vielfältiger Haufen sind.“
Die Atmosphäre im Blauhaus sei eine besondere, sagen Burfeind und Wittenburg – wenn auch die Kommunikation mit der Gewoba als Vermieterin durchaus verbesserungswürdig sei. So fehlten an manchen Stellen noch immer Klingeln, Namens- und Wohnungs-Hinweisschilder für Besucher oder Briefträger. Die deshalb von den Anwohnern aufgehängten Hinweiszettel habe die Gewoba aber wieder entfernt, weshalb etliche Pakete nicht bei den Empfängern abgeliefert werden konnten.
Abgesehen davon fühlten sie sich in ihrem neuen Zuhause einfach wohl, sagen Burfeind und Wittenburg, der betont: „Es hat mich im Laufe der Jahre begeistert zu sehen, wie Leute, die psychisch krank waren, im Kontakt mit der Blauen Karawane wieder laufen gelernt haben.“ „Normal“ – diese Bezeichnung sei für sie eher ein Schimpfwort, sagen die beiden mit einem vielsagenden Lächeln: „Wir haben unsere Macken und die anderen auch. Es war ein großer Vorteil, dass wir wussten, worauf wir uns einlassen.“ Schon am Einzug seiner neuen Nachbarn hatte das Paar seinen Spaß: „Jeder, der ankommt, stellt sich erst einmal vor und sagt, wer er ist. Die Anonymität aus anderen Wohnanlagen gibt es hier nicht.“
Viele spontane Treffen
„Man kennt inzwischen immer mehr Gesichter“, stimmt Frigger zu. Seit September bewohnt sie ein Appartement im Südhaus an der Ehrenfelsstraße. „Wir haben drei Eingänge, weshalb man sich dort nicht ganz so einfach über den Weg läuft wie im Nordhaus“, erzählt sie. Dementsprechend beneide sie manchmal die Bewohner des Nordhauses, das einen zentralen Eingangsturm mit Treppenhaus und Fahrstuhl hat, von dem aus Laubengänge zu den einzelnen Wohnungstüren führen.
Immer wieder nämlich bilden sich auf diesen Laubengängen spontan Grüppchen und es entstehen Gespräche, wie Wittenburg schwärmt: „Die menschliche Ebene fängt an zu funktionieren, das ist richtig schön.“ So habe es zum Beispiel schon einen Bewohner-Flohmarkt, ein Glühwein-Treffen und ein Winter-Grillen gegeben und abends treffe sich eine Gruppe von Hundehaltern zum gemeinsamen Gassi gehen.
Weniger glücklich seien sie mit der Infrastruktur in der Überseestadt, betonen die Blauhäusler: „Einkaufen, Arztbesuche oder der Gang zur Apotheke – das ist hier schwierig, insbesondere für Rollstuhlfahrer.“ Dass eines Tages tatsächlich eine Straßenbahn am Blauhaus vorbeifahren könnte, halten sie dabei für eher unrealistisch. Schon jetzt sei die Kurve am Überseepark doch schließlich so eng, dass entgegenkommende Busse dort nicht aneinander vorbeifahren könnten. „Wie soll da noch eine Straßenbahn gebaut werden? Wir sind abgehängt, die städtische Planung ist nicht gut“, bedauert Burfeind. Auch über die Architektur in der Überseestadt müsse man nicht weiter reden; Wittenburg spricht von einer „Diktatur des rechten Winkels“, die einen Düseneffekt und äußerst ungemütlichen Windzug im Quartier zur Folge habe.
Deutlich zu spüren sei aber, dass immer mehr Menschen in dem Gebiet lebten und die Nachbarschaft wachse. Frigger war kürzlich zum ersten Mal an einem Sonnabend zu später Stunde mit dem Bus in der Überseestadt unterwegs. „Ich dachte zuerst, dass ich wohl die Letzte sein werde“, erzählt sie. „Es waren aber tatsächlich noch mehr Leute, die hier ausgestiegen sind.“
Die erste Anlaufstelle
Ähnlich nimmt auch Robert Klosa die Entwicklung wahr, der sich seit Ende September im Erdgeschoss des Südhauses ein Büro mit zwei Kollegen vom Martinsclub teilt. Immer wieder winken ihm vom Kommodore-Johnsen-Boulevard aus Passanten im Vorbeigehen zu. „Wir sind die erste Anlaufstelle, wenn es darum geht, sich darüber zu informieren, was der Martinsclub macht und welche Angebote er hat“, erzählt Regionalleiter Klosa.
Unter anderem betreut der Verein als Träger der Behindertenhilfe im Blauhaus zwei Wohngemeinschaften: Die Vierer-WG für Menschen mit komplexem Hilfebedarf im Südhaus und eine Wohngemeinschaft für acht an Demenz erkrankte Menschen im Erdgeschoss des Nordhauses. Gerade werde eine Zusammenarbeit zwischen dem am 1. August im Südhaus eröffneten Kinderhaus Blau und der Demenz-WG vorbereitet, sagt Klosa. Außerdem habe sich schon eine Gruppe von Bewohnern gebildet, die immer donnerstags die Demenz-WG besuchen kommt, um mit den Bewohnerinnen zu singen: „Sie kennen die Texte meist besser als die Besucher.“
In beiden Wohngemeinschaften seien inzwischen alle Zimmer eingerichtet, sagt Klosa: „Mein Moment war, als ich in der Demenz-WG an einem Zimmer vorbeikam, das ich vorher leer gesehen hatte. Als ich dann sah, wie sich die Bewohnerin, eine alte Dame, gemütlich und sehr persönlich eingerichtet hatte, da dachte ich: Alles richtig gemacht."