Manch einer fand die Idee ganz schön gewagt, für die der Verein Blaue Karawane im August 2010 in einem großen Bambuszelt auf einer sandigen Brachfläche in der Nähe des Landmark-Towers warb: ein alternatives Wohnprojekt für rund 60 Menschen in der Überseestadt.
„Es gab in der Vergangenheit immer wieder den Vorwurf, dass die Überseestadt ein Projekt mit viel Glas und Stahl für Leute mit viel Geld sei“, sagte damals Karawane-Gründungsmitglied und Psychiater Klaus Pramann. Und dass er und seine Mitstreiter mit ihrem Projekt namens „Blauhaus“ dazu bewusst einen Kontrapunkt setzen wollten.
Neun Jahre später ist dieses Vorhaben auf einem knapp 7800 Quadratmeter großen Grundstück zwischen Kommodore-Johnsen-Boulevard, Schwabensteinstraße, Herzogin-Cecilie-Allee und Ehrenfelsstraße tatsächlich in die Tat umgesetzt worden, wobei aus einem Haus sozusagen zwei geworden sind: das Wohnhaus Nord mit 44 Wohnungen und das Wohnhaus Süd, in dem sich eine Kita und 40 Wohnungen befinden. Die Wohnungsgrößen und Grundschnitte sind dabei höchst unterschiedlich, vom 30-Quadratmeter-Mikroapartment über die familiengerechte Vier-Zimmer-Wohnung mit 85 Quadratmetern bis zur Zwölf-Zimmer-Wohnung für eine Wohngemeinschaft. 180 Bewohner werden in Zukunft in dem Gebäudekomplex leben – Menschen aller Altersgruppen, Behinderte und Nichtbehinderte, Hartz-IV-Empfänger und Verdienende sowie Alteingesessene und Neu-Bremer.
Dass das Blauhaus gebaut werden konnte, ist dabei vor allem auch der Gewoba zu verdanken, die 2012 zu dem Projekt dazugestoßen war und die Ideen der Blauen Karawane in immobilienwirtschaftliche Kalkulationen übertrug. Ein paar 30-Quadratmeter-Appartments sind noch zu haben. Haufenweise werden ansonsten in diesen Wochen auf dem Komplex Umzugskisten und Möbel herumgetragen. Im August und September sind die ersten 30 Mieter in die beiden Wohnhäuser eingezogen, und die von Quirl-Kinderhäuser betriebene Kita Blau hat am 1. August mit 65 Kindern den Betrieb aufgenommen.
Drei Jahre mit den Behörden diskutiert
Zum 1. Oktober kommen acht junge Leute dazu, die zum Teil schon seit fünf Jahren sehnsüchtig darauf warten, endlich in eine Wohngemeinschaft zu ziehen: In der Inklusiven WG im Wohnhaus Süd werden auf 330 Quadratmetern vier junge Erwachsene mit geistiger Beeinträchtigung und vier Studierende zusammenwohnen. „Sie glauben gar nicht, was das für ein Weg war“, sagt rückblickend Lars Gerhardt, ehrenamtlicher Bevollmächtigter des Vereins Inklusive WG Bremen. Drei Jahre habe der Verein zum Beispiel mit den Behörden über den Unterstützungsbedarf diskutiert.
Auch um die Trennung der einzelnen Mietverträge habe man sich intensiv gekümmert, sodass keine Abhängigkeiten entstehen können. Die Wohnung, die der Verein gemeinsam mit der Gewoba entwickelt hat, ist auch auf altersgerechtes Wohnen ausgerichtet, denn für die Bewohner mit Beeinträchtigung soll sie lebenslang ein Zuhause sein können. Der Mietvertrag zwischen Verein und Gewoba läuft über 20 Jahre, ein eigens eingestellter Sozialpädagoge sowie eine Erzieherin unterstützen die WG-Bewohner im Alltag. „Es ist also eine Fachkraft da, wenn sie aus der Werkstatt oder von der Arbeit kommen“, so Gerhardt. Denn für die Bewohner ohne Beeinträchtigung gelte: Sie haben keinen pädagogischen Auftrag. Der Verein plant, in vier bis fünf Jahren zwei weitere inklusive WGs zu eröffnen.
Ins Blauhaus integriert sind außerdem eine WG für acht Menschen mit Demenz und eine WG für vier Bewohner mit schwerer Mehrfachbehinderung. Der Martinsclub Bremen unterstützt sie vor Ort. Ausdrücklich will die Blaue Karawane mit dem Projekt eine Alternative zu betreuten Wohnformen oder der Unterbringung in Heimen bieten, in der alle selbstbestimmt leben können. Schließlich begann die Geschichte des Vereins vor mehr als 30 Jahren mit der Auflösung der Langzeit-Psychiatrie Kloster Blankenburg bei Oldenburg, einer klassischen „Verwahranstalt“.
Die Farbe des Himmels und des Wassers
Damals schlossen sich Patienten, Klinikmitarbeiter, Ärzte und Künstler zusammen und zogen durchs Land, um auf die Zustände in der Zwangspsychiatrie aufmerksam zu machen: Die Blaue Karawane war geboren. Als ihre Farbe wählte sie die Farbe des Himmels, des Wassers und der Sehnsucht nach Freiheit und Befreiung. Beim Blauhaus soll jeder mitmachen können – auch Menschen, die dort nicht wohnen. Dafür gibt es in Zukunft die Blaue Manege, einen Treffpunkt mit verschiedenen kleinen Werkstätten für Holz, Metall, Fahrrad, Keramik und Medien, die einmal allen offen stehen sollen. Den Holz-Rohbau mit dem markanten Sheddach stellt die Gewoba zur Verfügung, den 600.000 Euro teuren Innenausbau will der Verein in Eigenregie bewerkstelligen.
Für Freitagabend hatte der Verein gemeinsam mit Blauhaus-Schirmherrin Luise Scherf rund 80 Gäste zum Benefizabend in die Blaue Manege eingeladen, um Sponsoren und Spender für ihr Vorhaben zu gewinnen. Um Gelder für den Innenausbau einwerben zu können, muss er 140 000 Euro Eigenmittel nachweisen.