Neustadt/Schwachhausen. „Hier kann man Regenbogen fangen“, sagt Eva Vonrüti Moeller. Spricht’s, streift einen weißen Kittel über und zeigt, wie’s geht. In dem abgedunkelten Raum im vierten Stock der Weserburg steht eine glitzernde Kristallkugel, die von zwei Scheinwerfern mit buntem Licht angestrahlt wird. Das Prisma erzeugt durch die Lichtbrechung kleine Regenbogen, die über die Wände und den weißen Kittel tanzen. Nur eine Station der Mitmachausstellung „Das Gelbe vom Ei – Farbenrausch 03“, die das Kek-Kindermuseum bis 29. Januar 2017 zeigt.
Die Kunsthistorikerin Eva Vonrüti Moeller aus Schwachhausen und die Kunstpädagogin Silke Rosenthal aus Oberneuland, Erfinderinnen des Kek-Kindermuseums, zeigen seit 2008 bereits ihre dritte Ausstellung in der Weserburg, die mangels Geld über keine eigene museumspädagogische Abteilung verfügt. Der Name der Schau ist Programm: Unter Anleitung von vier Kunstpädagoginnen können Kinder ab vier Jahren, aber auch Jugendliche in der Weserburg / Museum für moderne Kunst einen wahren Farbenrausch entfachen.
In der Werkstattabteilung gibt es beispielsweise eine Farbschleuder zu entdecken, in die man ein Blatt Papier einspannen kann. Ein Kind setzt mit einer Drehkurbel den so bestückten Teller in Gang. Ein anderes malt mit Pinseln auf die rotierende Scheibe mit verschiedenen Farben Striche. Eva Vonrüti Moeller macht vor, wie’s geht und schwupps – schon ist das Kunstwerk fertig. „Die Farben sind alle abwaschbar, da werden wir im Verlauf der Ausstellung viel putzen müssen“, sagt die Kunsthistorikerin. Peter Friese, Direktor der Weserburg, fühlt sich unversehens an die 100000 Dollar von Damian Hurst erinnert. Wie er überhaupt betont, dass die Mitmachausstellung einen direkten Bezug zur zeitgenössischen Kunst habe. Die Station gleich daneben nimmt Bezug auf Max Ernst und Jackson Pollock, einem der Erfinder des abstrakten Expressionismus, der sich als ganz junger Mann 1942 von Ernst in New York inspirieren ließ. Was Max Ernst noch mit surrealistischen Farbexperimenten erprobte, wurde dann bei Jackson Pollock zum action painting.
Die Kinder und Jugendlichen können in der Weserburg auf den Spuren von Ernst und Pollock wandeln. In einer Plexiglas-Schale liegen kopfüber drei Flaschen, gefüllt mit blauer, gelber und roter Farbe, durch ein Schleusensystem können die Farben aus der kreisenden Schale in unterschiedlich starker Intensität auf das darunter platzierte Stoffstück tropfen. „Das hat schon etwas Meditatives“, sagt Eva Vonrüti Moeller. Auch wenn das zweifellos viel Spaß macht, diese kreative Aktivität ginge weit über ein bloßes Freizeitvergnügen hinaus, betont Direktor Peter Friese. Hier würden mittels Grundlagenforschung spielerisch Techniken aufgearbeitet, die wichtig für das Verständnis von Kunst seien. „Es geht darum, Farbe als Material zu begreifen“, betont Friese, insofern knüpfe der „Farbenrausch 03“ an die Ausstellung „Farbe im Fluss“ an, die vor geraumer Zeit in der Weserburg zu sehen war.
Von Niki de Saint Phalle inspiriert ist die nächste Mitmach-Station, an der Wasserpistolen mit verschiedenen Farben befüllt und auf die Papierblätter, die in einer lichtergeschmückten Bude hängen, abgefeuert werden können. Wer nun von so viel künstlerischer Aktivität durstig geworden ist, der kann sich an der Farbbar bedienen. Da stehen Flaschen mit gelber Flüssigkeit neben solchen, in denen curacaoblaue und absinthgrüne Flüssigkeiten schwappen. Der blaue, alkoholfreie Sirup mit dem zitrusartigen Geschmack wurde aus Pomeranzensaft, einer Zitrusfrucht, die aus der Karibik stammt, gemixt. Und auch die giftgrüne Flüssigkeit ist ganz ungefährlich: Sie besteht aus Waldmeister.
Gleich daneben sind weiße Leinwände platziert, die mit verschiedenen Duftölen getränkt wurden. Da lässt sich etwa Nelkenöl erschnuppern, für manchen liegt die Assoziation Weihnachten nah, für andere Tee. Die Farbe ist gleich: braun. Farben lassen sich erschnuppern, aber auch erhören und zwar an der Farb-Klang-Station, die Riccardo Castagnola entworfen hat. Da trifft es sich gut, dass der Meisterschüler von der Hochschule für Künste Bremen einen Masterabschluss sowohl in Komposition als auch in Bildender Kunst hat. Aus einer Box ertönen Klänge in unterschiedlicher Intensität, die direkt das farbige Licht beeinflussen, das auf eine der Wände in der Ausstellung geworfen wird. Die Klänge hat Castagnola mit Instrumenten erzeugen lassen oder in der Natur eingefangen, wie das verfremdete Geräusch eines surrenden Insektenschwarms.
Am Wochenende ist die Ausstellung für Kinder und Familien geöffnet, die Buchungen für Kindergärten und Schulklassen unter der Woche sind bereits jetzt begehrt. Unschwer zu erahnen, wieviel Spaß Kindergeburtstags-Gesellschaften im „Farbenrausch 03“ haben können. Einige begeisterte Rückmeldungen habe es schon gegeben, sagt Eva Vonrüti Moeller. „Das sieht ja hier aus wie bei meinem Geburtstag“, habe ein Kind gesagt, als es einen Raum betrat, der in Gelb förmlich erstrahlt. Als wesentlich anstrengender werde dagegen der Aufenthalt in dem benachbarten roten Raum empfunden, auch wenn er mit gemütlichen Kuschelkissen ausgestattet ist. Und der blaue Raum, für den Riccardo Castagnola sirrende, blautönende Musik komponiert hat, strahlt eine angenehme Kühle aus. An einer anderen Station lässt sich die Herkunft von natürlichen Farbpigmenten erkunden. „Der kostbarste Farbton ist das Ultramarinblau, das aus dem pulverisierten Halbedelstein Lapislazuli gewonnen wird. Ein Esslöffel von diesem Pulver kostet 7000 Euro“, erläutert die Ausstellungsmacherin. Und die Kunsthistorikerin erläutert weiter, dass sich ein gelber Farbton durch Safran erzeugen ließe, dass Lehm der älteste Farbstoff überhaupt sei und dass die alten Ägypter mit Pigmenten des Halbedelsteins Malachit schon Sarkophage bemalt haben. Auch sie waren schon dem Farbenrausch erlegen.