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Vortrag über ehemalige Bremer Strafrichter Die Rückkehr der NS-Juristen

"Personelle und ideologische Kontinuitäten in der Bremer Justiz nach 1945“ -- darüber spricht Christine Schoenmakers am Donnerstag, 18 Uhr, im Bremer Haus der Wissenschaft, Sandstraße 4/5.
15.03.2017, 18:26 Uhr
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Von Elke Gundel

Welche Rolle spielten Bremer Juristen in der Nazizeit – und was haben sie nach dem Krieg gemacht? Das hat die Historikerin Christine Schoenmakers (34) für ihre Doktorarbeit untersucht. Die Ergebnisse stellt sie an diesem Donnerstag im Haus der Wissenschaft vor, eingeladen wurde Schoenmakers von der Historischen Gesellschaft Bremen.

Fünf Jahre lang hat die Wissenschaftlerin, die jetzt an der Uni Hannover arbeitet, Akten im Bremer Staatsarchiv und in der Stasi-Unterlagen-Behörde ausgewertet sowie mit Nachfahren ehemaliger Bremer Strafrichter gesprochen. Dabei ging es nicht um irgendwelche Strafrichter, sondern um Mitglieder des sogenannten Sondergerichts – einer speziellen Strafkammer am hiesigen Landgericht. Überall in Deutschland hatten die Nazis 1933 Sondergerichte etabliert, die Taten aburteilten, die gegen das Regime gerichtet waren. Oder besser: die von den Nationalsozialisten als Angriff auf die sogenannte Volksgemeinschaft gewertet wurden. Auch Delikte, die heute als Bagatellen gelten, wurden zwischen 1933 und 1945 oft als „volksfeindlich“ abgestempelt, sagt Christine Schoenmakers. Etwa, wenn ein Postbeamter ein Feldpost-Paket geöffnet und geplündert hatte. Das gefährdete angeblich den Kriegserfolg, entsprechend drakonisch waren die Strafen.

Die Verhandlung vor dem Sondergericht hatte regelrecht den Charakter eines Schauprozesses. „Die Öffentlichkeit war für die Verhandlungen zwar generell zugelassen. Allerdings wurde sehr genau kontrolliert, wer im Publikum saß“, erläutert die Historikerin. Anders gesagt: Die Zuschauer wurden gezielt eingeladen – im Falle des Postbeamten gleich sämtliche Kollegen. Der Staat demonstrierte, dass er „schnell und hart“ gegen diejenigen vorgeht, die entgegen der Nazi-Ideologie handeln. Verteidiger gab es zwar, sie hatten aber keine Akteneinsicht und auch sonst nur eine Statistenrolle. Die Medien waren ebenfalls gleichgeschaltet. „Es gab einen engen Kontakt zwischen Staatsanwaltschaft und Gerichtsberichterstattern.“ Die Journalisten wurden ausgewählt, geschult und kontrolliert. Kritische Berichte über Verhandlungen des Bremer Sondergerichts seien ihr nicht bekannt, sagt Christine Schoenmakers.

Bei ihrer Recherche konnte sie sich unter anderem auf die Vorarbeit von Hans Wrobel, früher Abteilungsleiter im Justizressort, stützen. Er hat Anfang der 90er-Jahre die dreibändige Quellenedition „Strafjustiz im totalen Krieg“ bearbeitet, die die Urteile des Bremer Sondergerichts erschließt. „Die Akten sind fast vollständig im Bremer Staatsarchiv erhalten“, sagt Wrobel. Nach allem, was er wisse, sei das eine Bremer Besonderheit. „Viele Akten sind anderswo durch Bomben verloren gegangen.“ Außerdem vermute er, dass Dokumente zum Teil auch gezielt zerstört wurden. Dass das in Bremen anders war, habe einen einfachen Grund: die erschreckend perfekt organisierte Bürokratie im Dritten Reich. „Die Sonderrichter haben ihre Akten für archivwürdig erklärt“, ein entsprechender Vermerk sorgte dafür, dass die Dokumente nach Ablauf der Aufbewahrungsfristen nicht vernichtet, sondern dem Staatsarchiv übergeben wurden.

Darüber hinaus konnte Christine Schoenmakers erstmals 450 Seiten umfassende Tagebuchaufzeichnungen auswerten, die der stellvertretende Vorsitzende des Bremer Sondergerichts, Emil Warneken, zwischen 1945 und 1956 verfasst hat. Dokumente der Stasi-Unterlagen-Behörde hat die Wissenschaftlerin ebenfalls verwendet. Denn auch das Ministerium für Staatssicherheit der DDR interessierte sich für die Bremer Sonderrichter, die nach dem Krieg weiter in der Justiz tätig waren. Auf der Grundlage von Akten, die die Rote Armee beschlagnahmt und ausgewertet hatte, habe die Stasi eine große Datenbank angelegt, sagt Schoenmakers. Das Material über belastete Juristen, die in der Nachkriegszeit oft wichtige gesellschaftliche und politische Ämter besetzten, sollte dazu dienen, Westdeutschland zu diskreditieren – oder die Betroffenen zu erpressen. Dass die Stasi aber Informanten am Bremer Landgericht gewinnen konnte, dafür habe sie keine Anhaltspunkte, sagt die 34-Jährige.

Ihr Vortrag mit dem Titel „Die Rückkehr der „Ehemaligen“: Personelle und ideologische Kontinuitäten in der Bremer Justiz nach 1945“ beginnt um 18 Uhr im Haus der Wissenschaft, Sandstraße 4/5. Die Dissertation von Christine Schoenmakers erschien im Schöningh-Verlag in der Reihe „Nationalsozialistische ,Volksgemeinschaft‘ – Studien zu Konstruktion, gesellschaftlicher Wirkungsmacht und Erinnerung“ als Band 6.

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