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In der Lesumer Martinshof-Zweigstelle sind 48 Mitarbeiter tätig / Ergotherapeutisches Angebot gehört zum Alltag Ein Arbeitstag in der Werkstatt

In der kleinen Zweigstelle des Martinshofes in Lesum wird gewebt, genäht und eingepackt. Menschen mit Beeinträchtigungen arbeiten hier. Die Arbeitstage verlaufen fast identisch, wie die in einer Firma. Fast. Wer hier von morgens bis abends, fünf Tage in der Woche tätig ist, steht dem sogenannten ersten Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung und arbeitet hier freiwillig.
05.02.2015, 00:00 Uhr
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Von Sylvia Wörmke

In der kleinen Zweigstelle des Martinshofes in Lesum wird gewebt, genäht und eingepackt. Menschen mit Beeinträchtigungen arbeiten hier. Die Arbeitstage verlaufen fast identisch, wie die in einer Firma. Fast. Wer hier von morgens bis abends, fünf Tage in der Woche tätig ist, steht dem sogenannten ersten Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung und arbeitet hier freiwillig.

Pünktlich um 9.30 Uhr wird gefrühstückt. Im Saal der früheren Sonderschule in der Hindenburgstraße kommen die Beschäftigten des Martinshofes und ihre vier Gruppenleiter zusammen. Auch zum Mittagessen. Jeweils eine halbe Stunde bleibt Zeit zum Essen und Klönen. Als der Zeiger der Wanduhr auf die 10 zugeht, ist Aufbruch angesagt. Niemand braucht darauf hinzuweisen, dass die Arbeit wieder aufgenommen werden muss.

Die Frauen und Männer gehen zu ihren Arbeitsplätzen – an die Webstühle, Nähmaschinen und die Packtische. Auch Susanne Schröder. Sie bleibt im Erdgeschoss, in der Lohnfertigung. Die 49-Jährige kann aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen nur noch im Sitzen und Stehen arbeiten. Ihre Aufgabe: Stecker und Kabel für ein Bremer Unternehmen in Plastiktüten einzupacken. „Das gefällt mir gut“, sagt die Martinshof-Mitarbeiterin, die Arbeit sei angenehm und nicht so stressig.

Sie arbeitete früher nicht beim Martinshof, der Einrichtung für Menschen mit Beeinträchtigungen des städtischen Eigenbetriebs Werkstatt Bremen. „Ich war in einem normalen Arbeitsbetrieb“, erzählt sie. Aufgrund gesundheitlicher Probleme wechselte sie zum Reinigungstrupp des Martinshofes bei den Stahlwerken. Das ging irgendwann aufgrund der körperlichen Belastungen nicht mehr. Nach zwei Jahren Arbeitslosigkeit fand sie Anfang Dezember 2014 die Anstellung in Lesum und ist sehr froh darüber. Betriebsstättenleiter Hubert Schacht erzählt beim Rundgang durchs Haus, dass er mit ihr vor Kurzem den arbeitnehmerähnlichen Werkstattvertrag abgeschlossen hat. „Er ist nicht befristet“, betont er. Susanne Schröder wollte es so.

Auch ihre Kollegen und Kolleginnen – in den Abteilungen sind 48 Personen tätig, darunter zwei, die aus dem Berufsbildungsbereich kommen und ausgebildet werden – sind freiwillig hier tätig. Die Auszubildenden lernen alles, was im Haus gemacht wird: nähen, weben, Lohnfertigung, Hauswirtschaft. Das Mittagessen wird angeliefert, alle anderen Küchendienste werden reihum und mit Unterstützung anderer externer Abteilungen erledigt. Auch das Haus halten die Menschen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen selbst sauber. „Niemand muss tagaus, tagein dasselbe machen“, sagt Schacht. „Damit wären die Mitarbeiter auch überfordert.“

Psychische und physische Beeinträchtigungen sind der Grund für die Arbeit beim Martinshof. Niemand wird dazu gezwungen. Durch den Job und die Entgeltzahlungen stocken die Frauen und Männer ihre „Hilfe zum Lebensunterhalt“ auf. Ums Geld geht es ihnen zumeist gar nicht. Sie möchten etwas Sinnvolles machen, nicht nur zu Hause herumsitzen, Strukturen im Leben oder Menschen um sich haben – und Anke von Ahsen ist mit ihrer Arbeit glücklich. Sie verknotet Fäden in der Weberei. „Das kann nicht jeder“, erläutert Schacht die Aufgabe, die viel Geduld erfordert. Anke von Ahsen liebt das. Für sie ist alles, was mit Weben zu tun hat, genau das, was sie schon immer machen wollte. „Ich habe mein Hobby zum Beruf gemacht“, erzählt sie, schon als Kind hatte sie einen Webstuhl. „Es ist wie Meditation. Man wird ganz ruhig dabei“, beschreibt sie ihre Empfindungen beim Verknoten der bunten Wollfäden.

In der Weberei werden Decken, Teppiche, Handtücher und andere Textilien gewebt, in der Näherei zugeschnitten und vernäht. Sie werden in den Läden des Martinshofes und bei Ausstellungen im Rathaus und in der Martinsheide verkauft. Aus dem Erlös werden die Löhne für die Beschäftigten bezahlt. Auch im Auftrag von Kunden werden Produkte genäht wie Fähnchen und Wimpel für eine Hamburger Firma oder verpackt wie die Stecker und Kabel.

Gute Stimmung in den Abteilungen

Elke Kohrs, seit 34 Jahren beim Martinshof, sitzt am größten Webstuhl. Sie ist mit dem Weben von Handtüchern mit Waffelmuster beschäftigt. „Ich sitze am liebsten am Webstuhl. Das macht mir am meisten Spaß“, sagt sie. Sie schaffe zwei bis drei Tücher am Tag. Bei guter Laune sechs bis sieben. Und was verschafft ihr gute Laune? Sie lacht, schaut aus dem Fenster. Der Himmel ist blau, die Sonne strahlt. „Wenn die Sonne so schön scheint.“

Auch ohne Sonne herrscht in den Abteilungen gute Stimmung. In der Näherei steckt Andrea Blum Stoff zusammen und reicht die Teile Zühre Kavadar. Sie arbeiten Hand in Hand. Die in Deutschland aufgewachsene Türkin ist seit einem Jahr im Martinshof. „Ich mag gern nähen“, begründet sie, warum sie hier gern arbeitet. Sie fertigt aus dem Stoff an der Nähmaschine Manschetten. „Die werden für ein Labor benötigt“, so Schacht. Heidi Wilkens kommt hinzu. „Ich bin nun schon 32 Jahre hier“, sagt sie und möchte ihre Arbeit zeigen. Sie webt Kissenhüllen. Die gefallen ihr selbst so gut, dass sie auch schon ein Kissen gekauft hat.

Zurück im Erdgeschoss. Hier wird gerade von Beschäftigten Luft aus den Verpackungen für die Stecker gepickt. Plötzlich Aufbruchstimmung. Mitarbeiterinnen ziehen ihre Jacken an. Und nun? „Das ist die Walking-Gruppe“, erläutert Schacht. Seit einem Jahr wird das Walken unter Anleitung einer Ergotherapeutin angeboten. „Das dient zum Erhalt der geistigen und körperlichen Fitness“, sagt er. Auch das Gedächtnistraining gehöre zum ergotherapeutischen Zusatzangebot wie andere Begleitmaßnahmen. Die Beschäftigten gehen mit den vier Gruppenleitern auch mal ins Kino, in Museen, Ausstellungen und machen eine Kohltour. Ein Arbeitstag dauert von 8 bis 16.50 Uhr, freitags bis 13.10 Uhr. Und da es sich hier um einen etwas anderen Arbeitsplatz handelt, wird nachmittags noch mal kurz pausiert.

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