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Kooperation vertieft Ein Projekt auf Dauer und Zuwachs

Der Martinshof und die Stiftung Friedehorst arbeiten schon lange zusammen. Nun verlegt der Martinshof eine Werkstatt für die Lohnfertigung auf das Lesumer Gelände des Partners.
19.11.2017, 15:51 Uhr
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Ein Projekt auf Dauer und Zuwachs
Von Edith Labuhn

Bremen-Nord. Die Handgriffe sitzen: Ein Pappschächtelchen auffalten, vier daumenbreite Klingen stapeln und hineinstecken, Schachtel schließen und rechts ablegen. Von links die nächste vorgestanzte Pappe nehmen, auffalten, Klingen stapeln. Ein gewöhnlicher Arbeitstag für Andreas Höweler. Beinahe. Denn an diesem Tag ist etwas komplett anders als in den vergangenen 29 Berufsjahren. Statt wie üblich die Norddeutsche Steingut anzusteuern, findet sich der Nordbremer am Morgen auf dem Gelände der Stiftung Friedehorst ein. Denn hier sind seit Neuestem zwei Werkstätten des Martinshofs vereint, die sich zuvor auf Standorte an der Kerschensteiner Straße und eben bei der Norddeutschen Steingut verteilten.

Schon lange kooperieren die Werkstatt Bremen, zu der der Martinshof gehört, und die Stiftung Friedehorst. Ihren Anfang nahm die Zusammenarbeit im Jahr 2000, als zehn Angehörige der Martinshof-Werkstätten die Grünpflege auf dem Friedehorst-Gelände übernahmen. 2005 kam eine zweite Gruppe für die betriebsinterne Wertstofftrennung und entsprechendes Recycling hinzu, so dass heute 24 Menschen mit Behinderung in diesen Bereichen tätig sind. Daneben ermöglicht Friedehorst auch Menschen mit erhöhtem oder außergewöhnlichem Hilfebedarf eine sinnvolle Beschäftigung bei entsprechender Betreuung. Bis zu sieben Beschäftigte der Martinshof-Werkstatt können von diesem speziellen Angebot profitieren.

Jetzt hat sich die Belegschaft noch einmal um 25 Arbeitskräfte mit Beeinträchtigungen erweitert, die dort Platz finden, wo das Friedehorster Berufsförderungswerk zuvor das Handwerk der Metallbauer, Elektroniker oder Zerspanungstechniker vermittelte. „Diese Ausbildungen wurden aber nicht mehr nachgefragt“, erklärt Frank Sierig vom Berufsförderungswerk. „Das wird ja heutzutage alles über computergesteuerte Maschinen erledigt. Und wir orientieren uns mit unseren Qualifizierungsmaßnahmen schon an den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes hier vor Ort.“ Also kamen die großen Maschinen raus, und die Fläche war frei für neue Ideen.

Aufwendiger Umbau

Da Friedehorst und Martinshof sich als Partner in Sachen sozialer Arbeit verstehen, dauerte es nicht lange, bis der Martinshof im Rahmen des regelmäßigen Austausches die Chancen des Ortes erkannte: mehr Raum, um noch mehr Menschen mit Beeinträchtigungen in Arbeit zu bringen.

So reihen sich nun fünf großzügige Werkhallen aneinander, ausgebaut nach Maßstäben für industrielle Lohnfertigung. Zur Einweihungsfeier mischen sich ausnahmsweise ein Dutzend Offizieller unter die Beschäftigten im Blaumann. „Sektionaltore und Industrie-Estrich waren bislang wohl nicht üblich in Friedehorst“, mutmaßt Holger Clausen als stellvertretender Geschäftsführer der Werkstatt Bremen.

Umso größer ist die Freude, dass der aufwendige Umbau geklappt hat. „Auf diesen 550 Quadratmetern wird in Zukunft für bis zu 36 Beschäftigte eine individuelle Bildung und Beschäftigung möglich“, sagt Clausen und betont, dass „das Projekt auf Dauer und auf Zuwachs angelegt“ sei.

Auch Pastor Michael Schmidt als Vorsteher der Stiftung Friedehorst gibt viel auf weitere Entwicklungen, die Friedehorst seiner Rolle eines „Sondergeländes“ entheben. „Das gelingt um so mehr, je mehr Normalität und Alltag bei uns stattfinden.“ Und dazu zählen für ihn auch die neuen Arbeitsplätze – allein, weil die Beschäftigten außerhalb wohnen, und ganz normal nach Feierabend nach Hause gehen.

Gleichwohl begrüßt er die „Neuen“ auf dem Friedehorst-Gelände wie Nachbarn mit einem historischen Haussegen: „Tretet Ihr ins Haus hier ein, tragt nie Ärger mit herein. Fordert auch von einem jeden, er soll hier herein nur treten mit viel Freude, Herzlichkeit und auch mit Zufriedenheit, mit Humor und guter Laune. Klappt so etwas, dann – man staune – herrscht der gute Geist im Haus. Den lasst bitte nie hinaus.“

Natürlich hat Schmidt auch Brot und Salz dabei, wie es der Inhalt des vollständigen Spruches gebietet. Mit der Gabe will er sowohl der Gemeinschaft der Beschäftigten der Martinshof-Werkstätten seine Anerkennung ausdrücken, als auch ihrer täglichen Leistung für ihren Lebensunterhalt, „indem sie Werte schaffen, die an anderer Stelle genutzt werden können“.

Dann endlich – schließlich wird schon seit 7.30 Uhr am Morgen an den Tischen und Werkbänken gearbeitet – darf auch offiziell das Baustellenband durchschnitten werden, und die Beschäftigten führen ihre Gäste durch ihre neue Wirkungsstätte, Anschauungsunterricht inklusive. Da werden Drahtseilklemmen für den Jachtausstatter Marinetech eingetütet und mit dem passenden Etikett versehen, im nächsten Raum wird ein riesiger Schaltschrank fein säuberlich auseinandergenommen, um die sortierten Einzelteile später wieder an das Bremer Mercedes-Werk zurückzugeben.

Die Männer sind bei diesen Arbeiten in der deutlichen Mehrheit, gerade einmal eine Handvoll Frauen tut es ihnen gleich. Aber wenn es nach dem Willen und Wunsch von Hubert Schacht geht, ändert sich das, sobald eine dritte Gruppe aufgemacht werden kann. „Dann wollen wir in jedem Fall versuchen, eine weibliche Gruppenleitung zu bekommen“, erklärt der Martinshof-Betriebsstättenleiter für Bremen-Nord. „Wir streben an, dass Jüngere, die aus der Qualifizierung im Berufsbildungsbereich an der Martinsheide kommen, auf das Friedehorst-Gelände nachrücken.“ Für viele Frauen wäre es dann wohl ein ermutigendes Argument, sich für die metallbezogene Lohnfertigung zu entscheiden, stünde ihnen am Arbeitsplatz auch eine Ansprechpartnerin zur Seite.

Ein gewisses Fingerspitzengefühl kann hier jedenfalls nicht schaden. Etwa wenn Verdeckbeschläge für den Jachtbedarf mit Kabelbindern so akkurat an ein Pappschildchen geklemmt werden müssen, dass sie sich später im Baumarkt gefällig in Reih und Glied präsentieren. Exakt acht Millimeter im Durchmesser muss die Aufhängung haben – eine überaus knifflige Fummelarbeit, die nicht jedem leicht von der Hand geht.

Dann helfen Heiko Inthoff und Björn Wimmer, die die Gruppenleitung am neuen Standort übernommen haben. Sie achten unter anderem auch darauf, dass der Zusammenbau von Mustertreppen für die Firma Dolle ordentlich vonstatten geht, oder dass Pakete zerlegter Treppen für den Verkauf richtig zusammengestellt und verpackt werden.

Abschied nach 50 Jahren

Manche Routiniers wie Andreas Höweler kommen aber auch ohne Unterstützung gut klar. Ersatzklingen für Keramikschaber seien es, die er verpackt, erklärt er und referiert nebenbei zur Firmengeschichte, „dass es die Firma Poliboy ja schon seit 1930 gibt, noch vor dem Dritten Reich“.

Nicht ganz so lange, aber doch schon seit 31 Jahren ist er beim Martinshof. Und als der 1988 seine erste Außenarbeitsgruppe bei der Norddeutschen Steingut gründete, war Höweler sofort dabei, angetan von der Idee, außerhalb der geschützten Werkstatt neue Erfahrungen zu machen.

Dass dieser Standort jetzt aufgegeben wurde, sieht er „mit einem lachenden und einem weinenden Auge“. Tatsächlich schimmert es kurz etwas feucht zwischen seinen Wimpern: Der Abschied von der gewohnten Arbeitsumgebung geht ihm immer noch sichtlich nahe. Aber dann schmunzelt er. „Das Gelände hier ist schon toll. Das kenne ich noch von früher, als ich hier auf die Sonderschule gegangen bin. Also, eigentlich ist es ja ein Heimspiel für mich.“

Auch Hermann Carstens, der am Eröffnungstag ausnahmsweise an Höwelers Arbeitstisch mit aushilft, hat sich rasch mit den neuen Gegebenheiten vertraut gemacht. Dass er dennoch etwas wehmütig wird, liegt daran, dass für ihn in wenigen Monaten der letzte Arbeitstag kommt – nach fast 50 Jahren. „Am 16. Dezember 1968 habe ich angefangen.“

Damals war er 16 Jahre alt. „Am 31. Januar 2018 gehe ich in Rente.“ Ein knappes halbes Jahr vor seinem 66. Geburtstag. „Wie das wird, kann ich mir noch nicht vorstellen.“ Dafür hat er auch noch keine Zeit, denn an seinem Arbeitsplatz stapeln sich Walzen aus der Bremer Wollkämmerei, schwere Metallrohre mit Gummibezügen voller heller Wollflusen.

„Wellen, Scheiben, Lager – das muss ich alles auseinandernehmen, putzen und fetten.“ Damit die Walzen schließlich total blank und mit neuen Bezügen zurück zur BWK können.

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