Wer auf den Gedanken kommt, in Bremen selbst bauen zu wollen, dem macht es die Stadt nicht leicht. Das Angebot ist – befragt man die einschlägigen Immobilienportale – übersichtlich. In der "Immowelt" beispielsweise werden 33 Grundstücke in Bremen angezeigt; "Baulücken im Herzen von Gröpelingen" oder im Zentrum von Oslebshausen, Grundstücke in Burgdamm und Flächen mit Abrissimmobilien. Ein "attraktives bauträgerfreies Baugrundstück in gefragter Wohnlage von Oslebshausen", 504 Quadratmeter, ist für 209.000 Euro zu bekommen. In Hastedt sind 362 Quadratmeter für 440.000 Euro veranschlagt.
Baulücken und Häuser, die von privat an privat verkauft werden, seien noch "in relevanter Form" vorhanden, sagt Thomas Lecke-Lopatta. Seit 31 Jahren arbeitet er im Referat für Stadtentwicklung des Bauressorts. Er kennt sich aus wie kein Zweiter. Dennoch gilt die Faustformel: In Bremen selbst bauen ist nicht unmöglich, aber teuer. Das gilt laut Lecke-Lopatta auch für die Umlandgemeinden: "Mittlerweile werden im ersten Gürtel um die Stadt herum die gleichen Preise verlangt wie im äußersten Gürtel der Stadt." Wenn jemand billiger bauen wolle, müsse er schon mit dem zweiten Siedlungsring vorliebnehmen. Gemeinden wie Bassum und Syke seien gut an den ÖPNV verbunden – das mache sie attraktiv für Stadtflüchtlinge.
Jens Lütjen geht davon aus, dass größere Areale für Neubauten freistehender Einfamilienhäuser in Bremen "in Zukunft nicht mehr häufig zu finden sein" werden. Er ist geschäftsführender Gesellschafter der Robert C. Spies Unternehmensgruppe. Es gebe Nachfrage nach Grundstücken in der Stadt, auf denen man sich selbst verwirklichen kann. Auch Bestandsimmobilien zwischen Neustadt, Walle, Schwachhausen und Hastedt seien extrem begehrt. "Diese Häuser kommen seit Jahren praktisch nicht mehr auf den Markt, ohne dass schon vorgemerkte Kunden warten."
"Aber insgesamt erleben wir seit 15, 20 Jahren eine Tendenz zu kleineren und kompakteren Grundstücken", stellt Jens Lütjen fest. Das hänge mit gesellschaftlichen Veränderungen zusammen. Berufstätige Eltern hätten häufig keine Zeit, sich um Familie plus großes Haus und einen großen Garten zu kümmern. Zudem würden "Immobilien lebensabschnittsbezogener gesehen", sagt der Betriebswirt.
Zu beobachten sei, dass auf Abrissgrundstücken Einfamilienhäuser häufig von Geschosswohnungsbau abgelöst werde. "Wir erleben eine hohe Akzeptanz von Stadthäusern mit mehreren Parteien". Bestes Beispiel sei das Mühlenviertel in Horn. "Wir hatten eine ungeheuer große Zahl vorgemerkter Kunden und lange Wartelisten." Das liege vor allem an der Infrastruktur – die Nahversorgung ist gesichert, Horner Mühle ist eine Straßenbahnhaltestelle.
Hohe Eigentumsquote
In Bremen leben mehr Menschen in den eigenen vier Wänden als anderswo, etwa 38 Prozent Immobilienbesitzerinnen und -besitzer in rund 120.000 Wohnungen, mehr als in jeder anderen Großstadt. Rechnet man die Familien hinzu, leben 45 Prozent der Bremerinnen und Bremer in Eigentum. Das liegt laut Thomas Lecke-Lopatta auch am Vorzeigemodell Bremer Haus. Ebenso erfreuten sich moderne Reihenhäuser seit Jahrzehnten großer Beliebtheit. "Ein Haus mit Garten drumherum ist ein Wunsch vieler Familien, aber die Wohnzufriedenheit in Reihenhäusern ist sehr hoch." Das liege an dem halböffentlichen Raum, den Vorgärten. "Dieser Raum spielt laut Stadtsoziologen eine enorme Rolle."
Von 1981 bis 2019 entstanden in der Stadt Bremen laut Bauressort mehr als 105.000 Wohnungen, 29 Prozent in Einfamilienhäusern. Der Anteil an Gebäuden mit einer Wohnung lag in Bremen mit 67,4 Prozent über dem im vergleichbar großen Nürnberg (58 Prozent) und Hannover (gut 51 Prozent). Ein- und Zweifamilienhäuser sind laut dem Monitoring Wohnen und Bauen überwiegend in Stadtrandlagen entstanden, beispielsweise in Arsten (84 Prozent der Neubauten), in Oberneuland (57 Prozent) und Lesum (46). In der Gartenstadt Werdersee entstehen neben knapp 300 Wohnungen im Geschossbau knapp 300 Einfamilienhäuser.
Wer die Fotos kennt, die nach August 1944 vom Bremer Westen gemacht worden sind, kann ermessen, wie viele Wohngebäude in den vergangenen 77 Jahren entstanden sind. 61 Prozent der Wohnungen in Bremen waren im Zweiten Weltkrieg zerstört worden. Anfang der 1950er-Jahre entstanden die sogenannten ECA-Häuser – rund 200 Einfamilien-Reihenhäuser in 18 Blocks zwischen Steffensweg, Hansa- und Landwehrstraße in Walle. Jedes Haus verfügt über rund 60 Quadratmeter auf drei Etagen. ECA steht für Economic Cooperation Administration, den Namen einer US-Regierungsbehörde mit Sitz in Washington, die Marshallplan-Geld verwaltete.
Seither sind in Bremen Hunderte Einfamilienhäuser entstanden – freistehend und in Reihe. In seinem Aufsatz "Spuren im Stadtraum" schreibt Architekturprofessor Eberhard Syring: "In der Konsumgesellschaft dieser Wirtschaftswunderzeit war der Wohnungsbau von dem Wunsch nach immer mehr individueller Verfügungsfläche geleitet. Zwischen 1950 und 1967 wuchs die durchschnittliche Wohnungsgröße von 55 auf 82 qm an – mit steigender Tendenz. Man brauchte schließlich Platz für Kühlschränke, Waschmaschinen, Fernsehgeräte und so weiter."
Die Wohnungen wurden größer, die Fläche für neue Gebäude knapper. "Neue Stadterweiterungsgebiete mussten erschlossen werden – bei knapper werdenden Grundflächen (...) Schon deshalb ist die neue städtebauliche Leitformel ,Urbanität durch Verdichtung' nicht nur auf einer Frage des bestmöglichen Zusammenlebens gegründet, sondern auch auf dem ökonomischen Kalkül einer maximalen Bodenausnutzung", so Syring weiter.
Wachsende Stadt
Mit dem Grund und Boden weitsichtig umzugehen ist das eine, der Stadtflucht etwas entgegenzusetzen das andere. Bremen versteht sich als wachsende Stadt. Weitere Einwohner sind höchst willkommen, vor allem Fachkräfte. Doch es sind insbesondere einkommensstarke Familien, die Bremen den Rücken kehren und sich im direkten Umland ansiedeln. Wie aus einer Übersicht des Bauressorts hervorgeht, handelte es sich in den vergangenen zehn Jahren bei durchschnittlich 52 Prozent der Wegzügler um Familien.
In den 1990er-Jahren wurde in der Stadt massiv Platz für Bauwillige gemacht – in Arsten, Borgfeld, am Weidedamm, in Horn, in Borgfeld. Die Große Koalition (1995 - 2007) sah sich besonders in der Pflicht, die Abwanderung in den sogenannten Speckgürtel aufzuhalten. Beflügelt wurde der Bauboom laut Lecke-Lopatta durch die Ost-West-Wanderung nach der Wende. "Aus einem Verhältnis von zwei Dritteln Geschosswohnungsbau zu einem Drittel Einfamilienhäuser wurden in den 90er-Jahren zwei Drittel Einfamilienhäuser zu einem Drittel Geschosswohnungsbau. Jetzt sind wir wieder bei der alten Relation."
Das Programm "Bremer bauen in Bremen" entstand - und Neubaugebiete wie Borgfeld-Ost und -West mit rund 1250 Wohneinheiten, darunter Reihenhäuser, mehrgeschossige Gebäude und freistehende Einfamilienhäuser. Der Beirat Borgfeld beschloss 2009, "dass mit der Fertigstellung der Baugebiete Borgfeld-Ost und Borgfeld-West die großflächige Bebauung beendet ist und keine weiteren Baugebiete für Neubauten ausgewiesen werden".
Es gibt andere Flächen, auf denen weitere Wohnungen entstehen könnten. Die Handelskammer mahnt seit Jahren, nicht nur die Innenverdichtung voranzutreiben, sondern an den Stadträndern neue Baugebiete zu erschließen, um den Wegzug des "sozialen Mittelbaus" aufzuhalten. Es komme Bremen teuer zu stehen, Steuerzahler ans Umland zu verlieren - Bremen entgingen Einnahmen in Höhe von rund 6000 Euro pro Einwohner. Die Kammer beklagt auch negative gesellschaftliche Folgen. Der Wegzug von Familien sei von Nachteil für die Sozialstruktur.
Neue Lebensgemeinschaften
Fraglich sei, ob das klassische Einfamilienhaus noch zeitgemäß sei, sagt Stadtplaner Lecke-Lopatta. Neben Vater-Mutter-und-zwei-Kinder-Familien bildeten sich mehr und mehr Lebensgemeinschaften, für die andere Wohnformen oder -gruppen besser passten. "Es geht nicht darum, den Traum vom Einfamilienhaus schlecht zu reden", sagt Lecke-Lopatta, "sondern ihn weiterzuentwickeln."
Das sei auch angesichts des demografischen Wandels wichtig: "Wir haben in Bremen im Moment einen riesengroßen Einfamilienhausbestand, in dem keine Familien, sondern noch eine oder zwei Personen leben." Die Frage sei, ob sich für sie passendere Wohnformen finden ließen. "Es wird eine Hauptaufgabe der Zukunft sein, hier neue, attraktive Angebote zu unterbreiten und Umzugsketten zu organisieren." Die Innenverdichtung sei nicht minder wichtig. Bremen sei weniger dicht bebaut als andere Großstädte. Das ziehe kostenintensive Infrastrukturen nach sich.
Ebenso stelle sich die Herausforderung, junge Familien mit umfangreichen Umbauprogrammen von Bund und Ländern dabei zu unterstützen, vorhandene Immobilien zu sanieren und zu nutzen. "Experten weisen seit geraumer Zeit darauf hin, dass es wichtig ist, die Einfamilienhaus-Bestände im Blick zu behalten." Der Umbau und die energetische Sanierung böten die Chance, "Einfamilienhäuser und Urbanität miteinander zu verbinden, wie es im Umland nicht möglich ist", sagt Thomas Lecke-Lopatta. "Bremen hat darin wegen des hohen Einfamilienhausbestands einen echten Standortvorteil."
In Niedersachsen gibt es ein Programm namens „Jung kauft Alt“. Es dient dazu, die Gutachterkosten zur Beurteilung bestehender Wohnhäuser zu finanzieren, "wenn junge Haushalte vor der Entscheidung stehen, auf der grünen Wiese neu zu bauen oder gebauten Bestand zeitgemäß zu erneuern und durch neue Generationen lebendig erhalten", so die Landesregierung.
Quartiersansatz von Vorteil
Auch Jens Lütjen ist sich sicher, dass Bremen seine Attraktivität als Wohnort nicht verlieren wird. Im Mühlenviertel habe sich der Quartiersansatz bewährt – dass mehr geplant wird als nur Wohnungen. Selbiges sei für die Bebauung des Hachez-Geländes, die Überseeinsel und das Hulsberg-Viertel geplant.
Nicht nur Landlust, die Pandemie und ihre Folgen für das mobile Arbeiten könnten den Städten zusetzen, sagt Stadtplaner Lecke-Lopatta. Auch der Wandel der Verkehrssysteme könnten die Stadtflucht begünstigen. "Der wesentliche Treiber wird das automatisierte Fahren sein, das zulässt, ländliche Räume durch kleine selbstfahrende Fahrzeuge anzubinden. Es wird die große Herausforderung für die Städte sein, damit umzugehen."