In zweieinhalb Wochen will Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) dem Bundeskabinett den Ergänzungshaushalt vorlegen. In ihm enthalten ist in Höhe von insgesamt rund 17 Milliarden Euro auch das zweite Paket mit dem vergünstigten ÖPNV-Ticket und verschiedenen anderen Hilfen, mit denen die Bundesregierung die Menschen bei den Energiekosten entlasten will. Kern ist ein Gehaltszuschuss von 300 Euro für alle einkommenssteuerpflichtigen Erwerbstätigen. Selbstständige sollen die Pauschale als verringerte Steuervorauszahlung erhalten.
Leer ausgehen würde nach den derzeitigen Plänen dagegen neben Minijobbern auch ein Großteil der Rentnerinnen und Rentner. Verschiedene Vertreter von Bremer Senioren-Interessensgruppen fordern daher – genauso wie die Bundesorganisationen der Sozialverbände – Nachbesserungen. Dass die Bundesregierung einen Teil der Bevölkerung entlaste, ist laut Michael Breidbach, Sprecher der Bremer Seniorenvertretung, wichtig. Genauso, dass Einkommensschwächere dabei bevorzugt würden. "Mit einer Ausnahme: Für Rentnerinnen und Rentner gibt es nichts", sagt er, "auch nicht für die Ärmeren. Das ist aus Sicht der Seniorenvertretung völlig inakzeptabel."
Warum in Bremen besonders viele Rentner leer ausgehen würden
Rund zwei Drittel der bundesweit etwa 21 Millionen Rentner müssen keine Einkommenssteuer zahlen, weil sie unter der Freibetragsgrenze von knapp 1000 Euro im Monat liegen. Sie bekämen die Einmalzahlung also nicht. Anders Empfänger von Sozialhilfe im Alter: Sie sollen steuerfrei einmalig 100 Euro erhalten.
In Bremen ist die Gruppe von Ruheständlern, die am Existenzminimum lebt, im bundesweiten Vergleich besonders groß. Laut Mikrozensus lag die Armutsgefährdungsquote bei Männern ab 65 Jahren im Jahr 2019 bei durchschnittlich 13,7 Prozent (Frauen ab 65 Jahre: 16,2 Prozent). Von den Bremer Rentnern und Pensionären hatten im Jahr 2020 nach Angaben der Arbeitnehmerkammer 23 Prozent monatlich weniger als 1124 Euro netto zur Verfügung, die Schwelle, mit der bundesweit Armutsgefahr definiert wird.
Rund sieben Prozent der Über-65-Jährigen hatten noch weniger Einkommen zur Verfügung und bekamen deshalb Grundsicherung – wobei die Dunkelziffer der Armen, vor allem sind es Frauen, laut Referent Magnus Brosig und auch der Seniorenvertretung weitaus höher liegen dürfte: Aus verschiedenen Gründen, darunter auch Scham, beantrage ein Teil der eigentlich Berechtigten keine Sozialhilfe.
Was Interessenvertreter fordern
Laut der Seniorenvertretung sollte die Ampel-Koalition in die 300-Euro-Pauschale auch die Menschen aufnehmen, die nur kleine Renten beziehen. Aus Sicht der Senioren-Union der Bremer CDU ist dabei zusätzlich wichtig, dass die Zahlung steuerfrei bleibt. "Ansonsten würden viele mit Renten von bis zu 1000 Euro über die Freigrenze rutschen, was dann ein Nachteil wäre", sagt CDU-Landesgeschäftsführer Tobias Hentze. Insgesamt ist laut ihm auch fraglich, ob eine einmalige Pauschale ausreicht. "Ein Großteil der Menschen wird die Energie-Preissteigerungen erst Ende des Jahres mit den Abrechnungen zu spüren bekommen. Das kann ein echtes Armutsrisiko werden."
Die Sozialverbände auf Landesebene schließen sich der Kritik ihrer Bundesorganisationen an. Grundsätzlich sei das Entlastungspaket ein positives Zeichen, teilt Joachim Wittrien mit, SoVD-Landesvorsitzender für Bremen. Der SoVD schlussfolgere aber, "dass die Regierung nicht nur die Rentner und Rentnerinnen, sondern auch – mal wieder – die Frauen vergessen hat. Denn der Großteil der Minijobber sind Frauen." Sinnvoll sei es, die Regelsätze in der Grundsicherung kurzfristig mindestens um 100 Euro pro Monat anzuheben. Der VdK fordert einen Rentenaufschlag und hat sich außerdem dafür ausgesprochen, die Mehrwertsteuer auf Medikamente zu senken statt auf Sprit.
Auch Arno Gottschalk, Bürgerschaftsabgeordneter der SPD und Sprecher der sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft "60 Plus", berichtet von "Verärgerung" in der AG und parteiinternen Diskussionen über den Rentner-Aspekt. "Ich weiß nicht, ob das alles schon der letzte Stand ist", sagt er. "Wir haben schon viele Gesetzespakete gesehen, die vor der Verabschiedung noch geändert wurden."
Warum die Rentner bei der Pauschale nicht berücksichtigt wurden
Ganz klar sind die Gründe nicht, warum die Rentner bei der Pauschale nicht berücksichtigt wurden. Laut dem Bundesarbeitsministerium müssen Details der Beschlüsse erst noch geklärt werden, wie unter anderem die "Waz" berichtet. Von anderen Maßnahmen wie dem verbilligten ÖPNV-Ticket und den geplanten Steuersenkungen bei Benzin und Diesel würden zudem auch Rentnerinnen und Rentner profitieren.
Ein möglicher Hintergrund ist laut Magnus Brosig von der Arbeitnehmerkammer die Rentenerhöhung ab Juli – im Westen gibt es dann 5,35 Prozent mehr (Osten: 6,12 Prozent). Das sieht auch Seniorenvertretungssprecher Michael Breidbach so. "Fünf Prozent mehr Rente bedeuten für viele Menschen aber letztlich 50 Euro mehr", sagt er. "Das hilft den Rentnerinnen und Rentnern angesichts der Kostensteigerungen in vielen Lebensbereichen nicht sehr viel weiter." Zumal, so Brosig, gerade sie sich überproportional lange in ihren Wohnungen oder Häusern aufhielten, also auch mehr Energie verbrauchen und sie "tendenziell auch in älteren, weniger energiesparenden Immobilien leben dürften".