Das Bremer Gesundheitsressort will in diese Woche mit den Bremer Medizinlaboren eine einheitliche Linie finden, wenn es um die Suche nach der neuen Delta-Variante des Coronavirus geht. Aktuell gehen die Labore nach Auskunft von Lukas Fuhrmann, Sprecher des Gesundheitsressorts, bei diesem Thema sehr unterschiedlich vor.
Das betrifft vor allem den Umgang mit sogenannten Sondierungstestungen. Damit ist es in relativ kurzer Zeit möglich, Mutationen festzustellen, allerdings nur die, die man gezielt sucht. Bislang fahnden nicht alle Bremer Labore auf diese Weise nach der neuen Delta-Variante, die als deutlich ansteckender gilt. Die bislang festgestellten acht Fälle dieser Variante in der Stadt Bremen beruhen daher auf Vollgenomsequenzierungen von positiven Befunden. Das kann bis zu vier Wochen dauern und damit länger, als die Betroffenen unter Quarantäne stehen. Es gibt bislang aber keine Hinweise darauf, dass die Inkubationszeit der Delta-Variante länger als beim Wildtyp oder der Alpha-Variante ist, die aktuell vorherrscht. Die geltenden Quarantäne-Zeiten schätzt das Gesundheitsressort dementsprechend weiterhin als ausreichend ein.
Die Testverordnung des Bundesgesundheitsministeriums sieht vor, dass bei etwa zehn Prozent aller positiven Befunde durch vollständige Sequenzierung die jeweilige Virusvariante festgestellt wird. Unter dieser Voraussetzung hätte die Delta-Variante seit dem ersten Befund am 8. Mai rechnerisch inzwischen einen Anteil von etwa acht Prozent an den seitdem festgestellten 1023 Neuinfektionen in der Stadt Bremen. Das Robert Koch-Institut (RKI) hat den bundesweiten Anteil an den Neuinfektionen zuletzt mit 6,3 Prozent beziffert, bei stark steigender Tendenz. "Die Frage ist nicht ob, sondern wann die Delta-Variante zum dominierenden Typus wird", bewertete RKI-Chef Lothar Wieler die Entwicklung.
Tatsache ist allerdings auch, dass das Bremer Gesundheitsressort nicht sagen kann, wie viele der 1023 Befunde seit dem 8. Mai mittels gezielter Sondierungstests oder Vollgenomsequenzierungen auf die Delta-Variante untersucht wurden. Insofern ist es aktuell schwierig, die acht dokumentierten Fälle einzuordnen und daraus Aussagen über die Verbreitung in der Hansestadt abzuleiten. Dazu kommt eine sehr dynamische Entwicklung. Nach Angaben von Andreas Gerritzen, dem Geschäftsführer des Medizinisches Labors Bremen, gibt es in Bremen und seinem Umland deutlich mehr Fälle. "Wir hatten in den Sondierungen alleine aus den Proben der letzten beiden Tage zehn neue Verdachtsfälle, die nun noch in die Sequenzierung einfließen werden."
Flächendeckende Suche nach Delta-Variante
Der Verband der akkreditierten Labore in der Medizin (ALM), dessen rund 180 Mitgliedsunternehmen etwa 90 Prozent aller PCR-Tests in Deutschland durchführen, hat unterdessen angekündigt, künftig bei allen Sars CoV-2-Neuinfektionen mit Sondierungstest gezielt nach der Delta-Variante zu suchen. "Unser Ziel ist es, in den kommenden Wochen möglichst alle positiven Proben auf Mutationen zu untersuchen, die einen belastbaren Verdacht auf das Vorliegen der Delta?Variante ermöglichen", sagte der Verbandsvorsitzende Michael Müller. Nur so könne die Dynamik der Entwicklung effizient überwacht werden. Das entspreche zugleich den Vorgaben der Testverordnung des Bundes und angesichts der sinkenden Infektionsrate sei das den Laboren auch möglich. Die vorgehaltene Kapazität von knapp zwei Millionen möglichen PCR-Tests pro Woche sei zuletzt nur zu knapp einem Drittel ausgelastet worden.
Laut Müller hat die Delta-Variante in einzelnen Laboren bereits über zehn Prozent Anteil an den positiven Befunden. "Insgesamt zeigt sich eine geografisch uneinheitliche Verteilung der Ausbreitung", erklärte der Labormediziner mit Verweis auf Daten des RKI. Danach gehören unter anderem der Landkreis Osterholz sowie die Region Hannover zu den Hotspots der Delta-Variante. Weitere Schwerpunkte finden sich in Bonn, Düsseldorf sowie in Baden zwischen Karlsruhe und Heidelberg. Auch in und um Freiburg sowie in den Landkreisen nördlich um Hamburg finden sich zahlreiche Fälle.
Allerdings spielen sich diese lokalen Ausbreitungen derzeit auf niedrigem Niveau ab. Die Gesamtzahl der Fälle gibt das RKI mit Stand vom 16. Juni mit 881 für ganz Deutschland an. In Niedersachsen sind es demnach insgesamt 36 Fälle. Die höchsten absoluten Zahlen finden sich in Baden-Württemberg mit 234 Infektionen mit der Delta-Variante. Relativ zu seiner niedrigen Infektionsrate ist allerdings Schleswig-Holstein die Delta-Hochburg. Hier waren vorige Woche bereits 20 Prozent aller Infektionen durch diese Mutation verursacht. In absoluten Zahlen sind das zwölf Befunde. Die absolute Zahl an Delta-Fa?llen blieb in den vier Wochen bis Mitte Juni konstant bei etwa 220 pro Woche. Der stetig steigende Anteil ergibt sich allein aus den insgesamt sinkenden Fallzahlen in dieser Zeit. Das heißt aber auch: Gäbe es nur die Delta-Variante, wären die Inzidenzen in den vergangenen vier Wochen nicht gesunken.
Neuinfektionen treffen die Jüngeren
Über 90 Prozent der Infektionen mit der Delta-Variante betreffen zudem Menschen, die jünger als 60 Jahre sind, ein Hinweis auf die Wirksamkeit vollständiger Impfungen, die nur eine Minderheit der Jüngeren aufweisen kann. Der Vergleich der Inzidenzen in den verschiedenen Altersgruppen belegt, dass Neuinfektionen auch in Bremen inzwischen vor allem die Jungen treffen. Als für Gesamtdeutschland die Sieben-Tage-Inzidenz in der letzten Maiwoche erstmals in diesem Jahr unter die Marke von 50 sank, lag dieser Wert in der Hansestadt für die 60- bis 79-Jährigen bereits bei 12,8 und für die Generation 80plus bei elf. Dem stehen in Bremen Inzidenzen zwischen 40 und 100 in der Altersgruppe der sechs- bis 19-Jährigen von Ende Mai bis Mitte Juni gegenüber. Erst in der vorigen Woche hat sich die Ansteckungsrate bei Kindern und Jugendlichen dem allgemein niedrigen Infektionsgeschehen angeglichen. Sollte die Delta-Variante wie in Großbritannien, in Portugal im Großraum Lissabon oder auch wie in einigen spanischen Regionen in Deutschland ebenfalls für insgesamt wieder steigende Infektionszahlen sorgen, dürfte das daher vor allem Ungeimpfte treffen.
Bremens Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard (Linke) bezeichnet es daher als die wichtigste Maxime, die Impfungen schnell weiter zu führen. "Da sind wir in Bremen ja auf einem sehr guten Weg", sagte die Senatorin unter Verweis auf eine der höchste Impfquoten unter allen Bundesländern. Der Anteil mit wenigstens einer Impfung liegt in Bremen inzwischen bei 57,9 Prozent. Als vollständig geimpft gelten 31,9 Prozent.
Dennoch werde man laut Senatorin im schlimmsten Fall nicht alle Bremerinnen und Bremer schnell genug impfen können. Daher bleiben die wichtigsten Maßnahmen aktuell die Kontaktnachverfolgung und die schnelle Entdeckung der Fälle. "Bei der Nachverfolgung sind wir hervorragend aufgestellt, alle Infizierten und Kontaktpersonen werden innerhalb von 24 Stunden benachrichtigt", betonte Bernhard. Ihr sei zudem daran gelegen, dass die jüngste Ankündigung des Laborverbandes, alle positiven Befunde schnell auch auf die neue Variante zu testen, jetzt auch in Bremen zügig umgesetzt werde. Zusätzlich werde man über weitere Maßnahmen diskutieren müssen, sollte das Infektionsgeschehen wegen der Delta-Variante wieder mehr Fahrt aufnehmen.