Zwischen den langen Zeltreihen pfeift der Wind. An den Stirnseiten ist es windstill, die Geräuschkulisse aber fast identisch – dort rauschen große Heizgebläse, die in der Flüchtlingsunterkunft an der Otto-Hahn-Allee für Wärme sorgen. Einige Männer stehen vor dem Haupteingang, rauchen und unterhalten sich. Ein kleiner Junge übt mit seinem Vater Fahrradfahren und strahlt – es klappt schon ganz gut.
Der Lärmpegel, den man bei 433 Bewohnern erwartet, wird deutlich unterschritten. „Die Stimmung ist sehr entspannt“, bestätigt ASB-Mitarbeiter Ferho Cengiz den ersten Eindruck. „Das verdanken wir insbesondere den Studenten.“ Gemeint ist die Arbeitsgemeinschaft Refugees Welcome der Bremer Universität. Sevda Atik hat sie gegründet, als die ersten unbegleiteten jugendlichen Flüchtlinge ins Zelt am Biologischen Garten eingezogen sind. Das war im Juni, da waren sie noch zu fünft, erzählt die 34-Jährige. Inzwischen besteht der harte Kern aus 30 Studenten, die von mehr als 100 Kommilitonen unterstützt werden. Den Einsatzort am Biologischen Garten gibt es nicht mehr, dafür ist die Halle an der Grazer Straße neu dazugekommen.
Das Programm der Studenten ist vielseitig: Nähkurse, Kunstprojekte, Chorproben, Theater, Computer-Kurse, Sportangebote, Kinderbetreuung und der obligatorische Deutschunterricht. Sevda Atik schaut auf die Uhr. Viel Zeit hat sie nicht mehr, gleich beginnt eine Jam-Session mit den Flüchtlingen drüben in der Uni. Das Musikangebot wird so gut angenommen, dass sie es künftig einmal wöchentlich anbieten wollen. „Musik und Sport schlagen am schnellsten Brücken, ohne dass man viele Worte braucht“, sagt sie.
Seit einem halben Jahr sind die Studenten ehrenamtlich für Flüchtlinge aktiv, die Motivation ist ungebrochen, sagt Atik. Dass das so ist, liege nicht zuletzt an der Unterstützung der Universität. Reflexionsangebote, didaktische Unterstützung und auch Supervision zählt sie auf. Der Rückhalt, die Sinnhaftigkeit ihres Engagements und die vielen positiven Rückmeldungen motivierten die Studenten, den Flüchtlingen kontinuierliche Angebote zu machen. „Sieben Tage die Woche“, betont Ferho Cengiz. Und genau das sei das Geheimnis, warum es an der Otto-Hahn-Allee so gut laufe. „Die Bewohner haben etwas zu tun und langweilen sich nicht“, sagt Cengiz.
Lediglich die Sportangebote werden sehr einseitig wahrgenommen – „Frauen trifft man dort nicht an“, erzählt Sevda Atik. Doch es gibt bereits Pläne, das zu ändern: „Wir werden hier im Zelt eine Sportgruppe nur für Frauen eröffnen“, sagt die Studentin.
Seit der Gründung der AG Refugees Welcome ist der Terminkalender der Medienwissenschaftsstudentin voll. „Angefangen haben wir in der vorlesungsfreien Zeit“, sagt sie. Jetzt aber muss sie neben der Organisation der verschiedenen Projekte wieder studieren. 20 Stunden pro Woche sind seither für die Uni reserviert, 20 für die AG. Und dann sei da auch noch ihr schulpflichtiger Sohn, erzählt die Bremerhavenerin. „Er besucht eine Ganztagsschule und manchmal passt meine Mutter auf ihn auf“, sagt sie. Sicher, ihr Kalender sei voll, „aber dank einer Supervision an der Uni habe ich gelernt, meine Woche gut zu strukturieren“.
Für Flüchtlinge in Bremen, die neben ihrer Heimat auch ihr Studium hinter sich lassen mussten, bieten die Bremer Universität und die Hochschule das Gaststudienprogramm „In Touch“ an. 100 Plätze stellt die Universität, 40 die Hochschule, erzählt Atik. „Allein aus der Otto-Hahn-Allee kommen etwa 60 Gaststudenten. Wir haben schon eine Warteliste für das Sommersemester.“ Auf der steht auch Alaa Dababs Name. Der 23-Jährige lebt seit zwei Wochen in der Zeltunterkunft. Zuhause in Syrien war er Finanzwirtschaftsstudent. Im Moment verständigt er sich noch auf Englisch, besucht aber bereits regelmäßig den Deutschunterricht.
Nicht nur die Flüchtlinge, auch die Studenten profitieren von ihrem ehrenamtlichen Einsatz, betont Atik. „Wir sammeln hier viele Erfahrungen, bekommen Einblicke in unterschiedliche Organisationen, Institutionen und Behörden“, sagt Atik. Und nicht zu vergessen: „Die Arbeit fördert interkulturelle Kompetenzen.“