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Private Anbieter sind gefragt Flüchtlingsunterkünfte: 100 Gebäude werden geprüft

In immer kürzeren Abständen besichtigen Kirsten Kreuzer und Michael Trense Grundstücke und Gebäude, die für Flüchtlingsunterkünfte infrage kommen. Doch bis die Gebäude bezogen werden, vergehen oft Monate.
31.01.2016, 00:00 Uhr
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Flüchtlingsunterkünfte: 100 Gebäude werden geprüft
Von Frauke Fischer

In immer kürzeren Abständen besichtigen Kirsten Kreuzer und Michael Trense Grundstücke und Gebäude, die für Flüchtlingsunterkünfte infrage kommen. Doch bis die Gebäude bezogen werden, vergehen oft Monate.

Kirsten Kreuzer und Michael Trense haben längst aufgehört, die Grundstücke und Gebäude zu zählen, die sie besichtigen. Immer mehr in immer kürzeren Abständen, unter immer größerem Druck. Die wichtigste Frage bei jedem Vorort-Termin: Können hier Flüchtlinge leben, bis sie in Wohnungen umziehen? Kirsten Kreuzer aus dem Referat 31, Zuwanderungsangelegenheiten, ist in der Sozialbehörde dafür zuständig, Adressen für Notunterkünfte und Übergangswohnheime zu suchen, zu sichten und zu prüfen. Michael Trense, Teamleiter für Mietverträge bei Immobilien Bremen, ist Sachverständiger für die Bewertung von bebauten und unbebauten Grundstücken, für Mieten und Pachten.

Oft genug sind die beiden Behördenvertreter oder ihre Teamkollegen gemeinsam gefragt. Nicht nur, wenn es um ein öffentliches Gebäude geht, das als Ort für eine Flüchtlingseinrichtung in Frage kommen, sondern auch dann, wenn Immobilien privater Anbieter geprüft werden müssen. Und angesichts der Lage sagen beide: „Wir sind immer mehr auf Private angewiesen.“ Die Liste der leer stehenden öffentlichen Gebäude sei nahezu abgearbeitet. Öffentliche Grundstücke werden daraufhin überprüft, ob sie sich als Standorte für Flüchtlingsunterkünfte eignen. Im jüngsten Fall in der Straße Am Kaffee-Quartier ging das relativ zügig. Auf dem städtischen Grundstück wurden winterfeste Zelte für 400 Menschen aufgestellt und bezogen. Weitere, so Kreuzer, seien in der Gottlieb-Daimler-Straße im Bremer Industriepark im Aufbau. Rund 100 Objekte habe man derzeit in Prüfung, Planung und Umsetzung.

Täglich kommen neue Angebote

In einem anderen Fall – es geht um ein leer stehendes Gebäude in der Gabriel-Seidl-Straße in Schwachhausen, das einer Erbengemeinschaft gehört – musste der angekündigte Einzugstermin von knapp 70 Flüchtlingen dauernd verschoben werden, weil die Sanierungs- und Brandschutzarbeiten immer noch nicht abgeschlossen sind. Fast zwei Jahre sind inzwischen ins Land gegangen. „Aber das sind glücklicherweise Einzelfälle“, sagt Kirsten Kreuzer. Auch seien die Verträge so gestaltet, dass die Behörde erst nach Bauabnahme und Übernahme zahle.

Mittlerweile plane man wegen der vielen Flüchtlinge deutlich größere Einheiten als noch 2014. Im Dezember lebten rund 4300 Menschen in Notmaßnahmen, davon 1000 in Turnhallen, 1700 in Zelten und 1600 in anderen Notunterkünften. Etwa 1500 Menschen lebten in Erstaufnahmeeinrichtungen und 2300 in Übergangswohnheimen, sagt Kreuzer. Weil Zelte und Turnhallen so schnell wie möglich frei gemacht werden sollen und dieses Jahr zudem mit über 12 000 Neuankömmlingen aus Kriegs- und Krisengebieten gerechnet werde, müsse man einzelne Unterkünfte mit mindestens 150, eher mit 250 Plätzen und mehr realisieren. Sonst erreiche man die angepeilte Platzzahl nicht.

Täglich gehen neue Angebote über Telefon und per E-Mail bei den Behörden ein. Vom ersten Kontakt bis zum Einzug der Menschen, für die der Senat ein Dach über dem Kopf finden muss, vergehen oft viele Monate. Es kann eine Brache sein, auf die Container gestellt werden könnten, oder ein leer stehendes Bürohaus. Manchmal zerschlagen sich die Pläne schnell. Wenn der Anbieter hört, welche Um- und Einbauten nötig sind, welche Auflagen gelten. Sind sich die Parteien einig, die Kosten überschlagen, Gutachten zur Bausubstanz erstellt worden, werden die Projekte den Beiräten vorgestellt. Oftmals schließen sich Bürgerversammlungen an, in einzelnen Fällen sogar mehrere, bis Bedenken von Anwohnern zerstreut, ein Projekt auf den Weg gebracht werden kann.

"Keine Goldgräberstimmung bei Vermietern"

Die Mietverträge müssen so gestaltet werden, dass es keine Fallstricke gibt. So könne sich die Behörde beispielsweise nicht zum Rückbau oder zur Rückgabe der Immobilie im renovierten Zustand verpflichten. Dass andererseits auch die Vermieter auf ihre Kosten kommen wollten, sei verständlich, sagen Kreuzer und Trense. „Aber wir können nicht zu jedem Preis und alles anmieten“, betont der Immobiliensachverständige. So hingen die Quadratmeterpreise unter anderem von Zustand, Lage und Laufzeiten der Verträge – drei Jahre für Notunterkünfte, zehn Jahre für Übergangswohnheime – ab. Oftmals seien Investoren überrascht, welche Maßnahmen beispielsweise durch gesetzliche Auflagen zum Brandschutz auf sie zu kämen. Gerüchten, dass manche Vermieter ein gutes Geschäft witterten und ihre Gebäude lieber für Flüchtlinge vermieteten als an andere Zielgruppen, treten die Behördenvertreter entschieden entgegen: „Eine Goldgräberstimmung können wir nicht bestätigen.“

Auch Vorwürfe, es würde unnötig bürokratisch zugehen, lassen sie nicht gelten. Sobald Standorte für Flüchtlingsunterbringung hergerichtet würden, sei das eine Nutzungsänderung und unterliege geltendem Recht. Beispielsweise zum Brandschutz. So müssten Türen bestimmten Anforderungen genügen, Kabelkanäle abgeschottet und grundsätzlich zwei Fluchtwege im Gebäude vorhanden sein. Häufig seien auch Wasserleitungen in länger leer stehenden Häusern nicht mehr in Ordnung, die Stromleitungen für die hohe zusätzliche Belastung durch Waschmaschinen und Trockner nicht ausgelegt. „Es ist eben etwas anderes, ob es sich um Büros oder Wohnraum handelt“, sagt Kreuzer.

Noch keine Beschlagnahme

Häufiger werden den Behördenfachleuten Tipps zu vermeintlich leer stehenden Gebäuden gegeben. „Es macht unglaublich viel Arbeit, sich zu rechtfertigen, warum wir etwas nicht nehmen. Aber nicht alles ist verwendbar“, sagt Kreuzer. Auch Grundstücke eigneten sich nicht immer zum Aufstellen von Zelten oder Mobilbauten. Manches Mal aber würden sie stattdessen für den Wohnungsbau ausgeschrieben. „Und solche Folgeangebote brauchen wir auch, sonst funktioniert das System nicht.“

Ein gutes Instrument ist aus Sicht der Behördenvertreter das geänderte Bremische Polizeigesetz. Danach können seit Oktober 2015 leer stehende private Immobilien ab 300 Quadratmeter Größe beschlagnahmt und für die Unterbringung von Flüchtlingen genutzt werden. Die Eigentümer erhalten eine „angemessene Entschädigung“, heißt es. Angewendet wurde das Gesetz noch nicht, doch manche Anbieter seien dadurch vielleicht gesprächsbereiter, meinen Kreuzer und Trense. „Der andere Weg ist in jedem Fall der bessere“, betont der Immobilienexperte.

Mit Blick auf die vergangenen beiden Jahre stellen beide in der Bevölkerung „eine Verschiebung der Wahrnehmung“ fest. Die meisten Bürgerinnen und Bürger in den Stadtteilen hätten sich daran gewöhnt, dass Flüchtlinge in ihre Nähe zögen. Es sei verständlich, dass Menschen Bedenken hätten, wenn der Zuzug von 300 Flüchtlingen in ihre Nachbarschaft angekündigt werde. „Aber wer dann Kontakt zu ihnen hat, verliert die Skepsis“, stellt Kirsten Kreuzer immer wieder fest. „Sobald wir eine Einrichtung eröffnet haben, verstummen die Proteste.“

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