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Pandemie-Folge Patienten vermeiden Klinikaufenthalte

Wenn die Coronazahlen steigen, werden nicht nur planbare Operationen verschoben. Auch in akuten Fällen wie etwa einem Herzinfarkt rufen weniger Patienten den Notarzt. Das gilt bislang für alle Pandemiewellen.
21.09.2022, 05:00 Uhr
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Patienten vermeiden Klinikaufenthalte
Von Timo Thalmann

Auch in der fünften Corona-Pandemiewelle von Januar bis Mai dieses Jahres wiederholte sich ein aus den vorhergehenden Wellen bekanntes Muster: Die Fallzahlen in den deutschen Krankenhäusern sind über alle Bereiche auffällig zurückgegangen. Sie lagen insgesamt 18 Prozent niedriger als im gleichen Zeitraum des Jahres 2019, dem letzten Jahr vor Corona. Das geht aus einer Auswertung von bundesweiten Fallzahlen durch das Wissenschaftliche Institut der AOK (Wido) hervor. Für Bremen zeigt die Anlayse eine ähnliche Größenordnung von 14 Prozent weniger Behandlungsfällen. Karen Matiszick, Sprecherin des Kommunalen Klinikverbundes Gesundheit Nord (Geno), bestätigt einen Fallzahlverlust von 20 Prozent im Vergleich zum Jahr 2019 an den vier Standorten der Geno.

Der Rückgang betrifft neben planbaren und aus medizinischer Sicht aufschiebbaren Behandlungen wie zum Beispiel die um rund 50 Prozent zurückgegangen Entfernung von Mandeln auch lebensbedrohliche Situationen wie Herzinfarkte und Schlaganfälle. Die Zahl der Krebsbehandlungen ist ebenfalls "alarmierend" gefallen, wie es Carola Reimann kommentiert, die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes. Bei den Darmkrebs-Operationen wurde mit minus 20 Prozent bundesweit der bislang höchste Rückgang aller bisherigen Pandemiewellen verzeichnet. Für Bremen wird dieser Rückgang mit minus 15 Prozent angegeben.

Darmkrebs wird häufig zu spät erkannt

Susanne Hepe, Leiterin der Beratungsstelle der Bremer Krebsgesellschaft vermutet, dass dies eine Folge unterlassener und aufgeschobener Vorsorgeuntersuchungen während der Corona-Wellen ist. Geno-Sprecherin Matiszick bestätigt die Beobachtung, dass Patienten mit Krebserkrankungen jetzt oft sehr viel später als vor der Pandemie überhaupt den Arzt aufsuchen und dementsprechend später ins Krankenhaus kommen. Hepe findet den Rückgang von bundesweit 20 Prozent "ziemlich erschreckend." Gerade Darmkrebs verursache kaum Beschwerden und werde ohne regelmäßige Vorsorge häufig zu spät entdeckt. "Das bedeutet eine deutlich schwierigere Behandlung."

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Weil nicht anzunehmen sei, dass die Zahl der Krebsfälle tatsächlich so stark zurückgegangen ist wie die Zahl der -behandlungen, erwartet sie in der nahen Zukunft überproportional mehr Diagnosen und Behandlungen. Dorothee Weihe, Sprecherin des Rotes Kreuz Krankenhauses (RKK), sieht das ähnlich und berichtet bereits von einem deutlichen Zuwachs bei der Zahl der Darmkrebsbehandlungen in ihrer Klinik seit dem Sommer.

Patienten ignorieren Symptome

Als "dramatisch" bewertet Rainer Hambrecht, Chefarzt der Kardiologie am Klinikum Links der Weser, die Entwicklung bei den Herzinfarkten. Laut AOK gab es in der Omikron-Welle im Vergleich zum Zeitraum Januar bis Mai 2019 bundesweit 14 Prozent weniger Herzinfarkt-Behandlungen und 13 Prozent weniger Schlaganfall-Behandlungen. Die Rückgänge seien bei den leichteren Infarkten und Schlaganfällen stärker ausgeprägt gewesen als bei den schweren Fällen."Wenn es nicht wirklich schlimm ist, ignorieren die Patienten offenbar mögliche Symptome", sagt Hambrecht. Dazu zählen etwa Schmerzen in der Brust mit Ausstrahlung in den Arm oder Unterkiefer sowie Atemnot. "Wenn Patienten mit milderen Symptomen keinen Notarzt rufen, kommen sie eben nicht oder nur mit Verzögerung ins Krankenhaus.“ Das aber habe Folgen.

Laut Hambrecht steigt das Risiko eines zweiten, möglicherweise schwereren Infarkts innerhalb eines Jahres nach einem ersten leichten Infarkt deutlich an, wenn akute Behandlung und Vorsorge unterblieben. Zugleich bedeutet die verzögerte Behandlung und der Umstand, dass vor allem schwere Fälle die Notfallaufnahmen erreichen, eine höhere Sterberate der Herzinfarkt-Patienten in den Kliniken.

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Hambrecht verweist auf Daten des Bremer Instituts für Herz- und Kreislaufforschung aus dem ersten Corona-Jahr 2020, die „alarmierende Veränderungen“ gezeigt haben: So seien deutlich mehr Patienten mit einem schweren Herzinfarkt im kardiogenen Schock (Pumpversagen des Herzens) in die Bremer Krankenhäuser eingeliefert worden – dieser Anteil habe sich um 54 Prozent gegenüber 2019 erhöht.

52 Prozent höhere Sterblichkeit

Auch die Rate der Herzstillstände außerhalb der Klinik habe um 29 Prozent zugenommen – mutmaßlich als Folge fehlender Behandlung. Dazu haben sehr viel mehr Patienten mit einem sogenannten subakuten Herzinfarkt das Krankenhaus erreicht, sind also erst Tage nach dem akuten Infarkt in die Klinik gekommen. Durch alles zusammen sei die Sterblichkeit im Krankenhaus im Vergleich zu den Vorjahren um 52 Prozent angestiegen.

Parallel zu diesem Anstieg als Nebeneffekt aus dem veränderten Patientenverhalten in den Pandemiewellen befürchtet Hambrecht für die Zukunft mehr Herzerkrankungen als langfristige Folge von überstandenen Coronainfektionen. "Wir wissen heute, dass das Virus auch im Herzgewebe für Mikro-Entzündungen sorgen kann, die das Infarktrisiko anheben", sagt der Kardiologe. Umso wichtiger sei daher aus seiner Sicht die umfassende Prävention durch einen gesünderen Lebensstil.

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