Sicher ist sicher, wird sich Andreas Mai gedacht haben. Es sind zwar allesamt Herren, die über Anstand, Sitte und Manieren verfügen. Doch man kann ja nie wissen, und warum auch nicht? Mai, Verwaltender Kapitän von Haus Seefahrt, gibt den sechs Kapitänsschaffern am Freitag vor Beginn der Schaffermahlzeit ein paar Tipps – zum Beispiel wie genau sie beim Aufstehen von der festlichen Tafel in der Oberen Rathaushalle ohne Kollisionsgefahr den Stuhl nach hinten rücken sollen. "Denkt dran", sagt er den Männern zuletzt, "das Ganze wird gefilmt und übertragen. Also macht ein freundliches Gesicht."
Die Vorbereitungen für die Traditionsveranstaltung, die in diesem Jahr zum 480. Mal aufgeführt wird, nehmen einfach kein Ende, vor allem beim Sicherheitscheck. Der Bundespräsident kommt, da gilt der höchste Standard. Alle Gäste, das Personal, die Journalisten werden vorher vom Bundeskriminalamt überprüft. Die Polizisten nehmen sich auch das Rathaus vor, bis hinein in den Kriechkeller, von dem viele in der Verwaltung gar nichts wussten. Für den Spürhund wird in der Vorhalle ein Spielplatz hergerichtet: lauter Fernsehkameras, Fotoapparate und Taschen, die gesammelt auf dem Boden liegen, damit der Hund sie beschnüffeln kann. Er tut es mit Aufregung und Freude.
Bovenschulte begrüßt Steinmeier
Der Bundespräsident kommt, und dann ist er tatsächlich da. Frank-Walter Steinmeier wird vor dem Rathaus von Andreas Bovenschulte begrüßt, dem Hausherrn und Bürgermeister. Höchste Zeit, denn es ist zehn nach zwei. Steinmeier war für zwei angekündigt. Weil es sich um die extrem streng durchgetaktete Schaffermahlzeit handelt, zählt jede Minute. Schnell noch um die Ecke zum Neustädter Shanty Chor, der Aufstellung genommen hat. Den Sängern ist mit gezapftem Bier die Kehle geölt worden, sie schmettern ihre Lieder, haben Spaß, die Zuhörer auch. Ahoi! Weniger fröhlich geht es dagegen bei einigen Landwirten zu, die sich auf dem Marktplatz versammelt haben, um einmal mehr für ihre Anliegen zu demonstrieren.
Frank Struckmann-Bohlen ist der Zeremonienmeister beim Mahl der Kauf- und Seeleute mit ihren Gästen. Er steht bestens gelaunt vor der Oberen Rathaushalle, von Nervosität keine Spur, und schüttelt dem Bundespräsidenten die Hand, als Steinmeier mit seinem Tross an ihm vorbeizieht. "Willkommen zurück", sagt Struckmann-Bohlen. Steinmeier bedankt sich. Er ist nicht das erste Mal bei der Schaffermahlzeit, war schon vor acht Jahren Gast, damals als Außenminister.
Dann erklingt die Fanfare, das Signal, dass es losgehen kann. Die vielen Männer und wenigen Frauen – darunter die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger, eingeladen von Bovenschulte – betreten nach und nach die Halle und verursachen eine Wärme, die den Teilnehmern im engen Frack oder Abendkleid mit der Zeit einiges abverlangt.
Fünf Stunden, fünf Gänge, zwölf Reden, ein strammes Programm. Gereicht wird eine "einfache, altbremische Mahlzeit": Hühnersuppe, Stockfisch, Braunkohl, Kalbsbraten und Rigaer Butt. Feine Weine, andere Getränke und das Seefahrtsbier, ein Malz ganz eigener Art. Auf den Tischen stehen Silberhumpen, doch will man das, gemeinsam aus einem Gefäß trinken? Früher war das ein Muss, heute darf an dem tiefdunklen Bier auch aus Sherrygläsern genippt werden.
"Damit eine Tradition überdauert, braucht es die richtige Balance zwischen Stabilität und Veränderung", sagt Heidi Armbruster-Domeyer in ihrer Rede auf Bundespräsidenten und Vaterland. Das kann man auf die Darreichungsform des Seefahrtsbiers beziehen, mehr noch aber auf Armbruster-Domeyer selbst. Sie ist die zweite Frau in der Geschichte von Haus Seefahrt, die das Schafferamt bekleidet. In ihrer Ansprache geht es um Vielfalt in der Gesellschaft, wie notwendig sie ist – aus sozialer Verantwortung und mit Blick auf die Wirtschaft: "Wir können unsere Unternehmen zumachen, wenn wir Diversität nicht als Chance sehen, die wir ergreifen müssen." Alarmierend deshalb, wenn das Gegenteil geschieht. "In den vergangenen Wochen und Monaten ist das Ideal einer offenen, freiheitlichen und vielfältigen Gesellschaft so sehr infrage gestellt worden wie vielleicht noch nie seit Gründung der Bundesrepublik", so die Schafferin.
Mit ihr im Bunde sind Philip W. Herwig und Jan-Oliver Buhlmann. Diese drei Schaffer bezahlen das Mahl. Die Spenden der Teilnehmer gehen komplett an die Stiftung Haus Seefahrt, zum Wohle der Bewohnerinnen und Bewohner auf dem Seefahrtshof in Grohn. Das sind Seeleute oder ihre Angehörigen, die nicht viel haben, außerdem ein paar Nautik-Studenten. Sie alle profitieren vom Prost bei der Schaffermahlzeit.

Matthias Clausen vom Haus Seefahrt mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.

Die drei Schaffer in diesem Jahr: Philip W. Herwig, Heidi Armbruster-Domeyer und Jan-Oliver Buhlmann (von links).

Die Servicekräfte bei der Schaffermahlzeit müssen einem minutengenauen Zeitplan folgen.

Zum Schluss der Veranstaltung kann rauchen, wer mag – den Tabak aus Tonpfeifen.

Auf den Tischen der Tafel gibt es viele schmucke Details zu entdecken.