Das britische Unternehmen Spirax-Sarco will den Bremer Armaturenhersteller Gestra für 186 Millionen Euro übernehmen. Das sorgt für das Gemisch aus Hoffnung und Angst am Gestra-Sitz in Findorff.
In Findorff mischt sich gerade die Angst mit der Hoffnung. Angst, den Job zu verlieren. Und die Hoffnung, dass doch nicht alles so schlimm wird. Dabei sind das einzig Gewisse momentan die Ungewissheit und ein paar wenige Fakten. Das britische Unternehmen Spirax-Sarco will den Bremer Armaturenhersteller Gestra für 186 Millionen Euro übernehmen. Aus den beiden Konkurrenten soll bis Sommer eine Firma werden. Und genau das sorgt für das Gemisch aus Hoffnung und Angst am Gestra-Sitz in Findorff.
„Wir wissen nicht, wie es weitergeht“, sagt Katja Pilz, Betriebsratschefin von Gestra. Als die Geschäftsleitung die Belegschaft am Montagmorgen über die Absicht informiert habe, habe Stille bei den Kollegen geherrscht. „Das war das Szenario, das wir uns am wenigsten vorstellen wollten.“ Denn für die Gestra-Mitarbeiter kommt der Verkauf nicht überraschend. Schon seit einigen Monaten war klar, dass sich die US-Mutter Flowserve von den Bremern trennen will. Bislang gab es aber nur eine Reihe Interessenten und seit Montag nun auch einen Käufer.
Spirax-Sarco setzt auf Wachstum
Der sitzt im britischen Cheltenham, 40 Zugminuten südlichen von Birmingham, und ist ein direkter Mitbewerber von Gestra. Beide bieten Produkte an, die überall da gebraucht werden, wo Dampf eingesetzt wird: Kondensatableiter, Rohrleitungszubehör, Druckregelung. Rund 50 Prozent der Produktpalette beider Unternehmen überschneiden sich, sagen Experten. Und das könnte zum Problem werden. „Damit stellt sich die Frage, ob Produktsegmente bei Gestra aufgegeben werden müssen“, sagt etwa der Bremer Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel. Außerdem wird darüber spekuliert, dass durch die neue Konzernstruktur Abteilungen wie der Vertrieb verkleinert oder ganz wegfallen könnten – was wiederum zu Entlassungen führen könnte. Insgesamt arbeiten rund 400 Menschen für Gestra in Bremen.
Hoffen lässt hingegen ein Blick auf die Landkarte: Bislang ist Spirax-Sarco in Deutschland nur mit einem Vertriebsbüro in Konstanz am Bodensee vertreten. Gestra würde damit der erste Produktionsstandort in der Bundesrepublik werden und könnte dadurch eine wichtige Rolle im Konzern erhalten. „Das Interesse von Spirax-Sarco an Gestra wird zweifellos durch den Brexit gestärkt“, sagt Hickel. Die Bremer würden für Produkte, die einer starken technischen Sicherheitsregulierung unterliegen, den Zugang zum EU-Binnenmarkt sichern.

Gestra-Betriebsrätin Katja Pilz
„Wie die Pläne von Spirax-Sarco aber wirklich aussehen, wissen wir nicht“, sagt Pilz. Gemeinsam mit der IG Metall fordert der Betriebsrat jetzt ein Konzept, das die weitere Zukunft des Standorts und der Mitarbeiter klären soll.
Eine erste Mitteilung von Spirax-Sarco liest sich bislang so, als würde das Unternehmen mit den Bremern planen und nicht den großen Kahlschlag machen wollen. „Wir freuen uns, Gestra, das Management und die Mitarbeiter in die Spirax-Sarco-Familie zu bringen“, sagt der Vorstandsvorsitzende von Spirax-Sarco, Nicholas Anderson. „Unsere Unternehmen ergänzen sich sehr. Gestra wird das Markt- und Produktangebot von Spirax-Sarco stärken und von unserer weltweiten Präsenz und unserer breiteren Produktpalette profitieren.“ Auch von Investitionen in Gestras Markt- und Produktentwicklung ist die Rede.
Zusätzlich dazu hat sich Anderson mit einer E-Mail persönlich an die Belegschaft in der Hansestadt gewandt. „Darin hat er betont, dass sich die Produktpaletten beider Firmen gut ergänzen“, sagt Betriebsrätin Pilz. Sie habe den Eindruck gehabt, als wollte man bei Spirax-Sarco die Gemeinsamkeiten beschwören. Verbindlich äußern wolle sich der neue Eigentümer aber erst, wenn das Geschäft komplett abgeschlossen ist. Das Bundeskartellamt muss dem Kauf noch zustimmen.
Die Aussagen von Anderson stimmen Lutz Oelsner, Vorstandsvorsitzender von Gestra und Präsident der Unternehmensverbände im Lande Bremen, zuversichtlich. „Dem neuen Eigentümer müssen wir das Geschäft nicht erklären“, sagt er. Spirax-Sarco sei immerhin ein wichtiges Unternehmen der Branche, das global agiere. Davon könne auch Gestra profitieren. 80 Prozent des Umsatzes machen die Bremer bislang in Europa. „Die Vorteile liegen auf der Hand“, sagt er. Dass manche Mitarbeiter allerdings sorgenvoll in die Zukunft blicken, kann er auch verstehen. „Befürchtungen sind ganz normal. Es gibt Ängste, aber es gibt auch Möglichkeiten.“
Auch die Bremer Politik ist bemüht, die Möglichkeiten und vor allem die guten Eigenschaften von Gestra herauszustellen. „Gestra ist ein ausgezeichnet aufgestelltes Unternehmen, dessen 400 Beschäftigten an diesem Standort für eine echte Bremer Erfolgsgeschichte gesorgt haben“, sagt der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Dieter Reinken. Man baue nun darauf, dass sich Spirax-Sarco klar zu Gestra und den Mitarbeitern bekenne. „Wir gehen auch deshalb davon aus, dass Sie (Spirax-Sarco, Anm. d. Red.) gemeinsam mit den Beschäftigten am bisherigen Standort weiterhin am Gestra-Erfolg arbeiten. In diesem Falle können wir zusichern: Uns haben Sie dabei an Ihrer Seite.“