Gar nicht so leicht, den Zugang zur alten Galopprennbahn zu finden. Wer an der Bushaltestelle Rennplatz aussteigt und sich nicht auskennt, macht erst einmal ordentlich Meter. 100 Meter auf der Ludwig-Roselius-Allee, vorbei am Atlantic Hotel. 200 Meter, immer noch entlang des Zauns, der das ehemalige Rennbahngelände umschließt und abschirmt. 300 Meter, vorbei an einem Stahltor, das eine schwere Kette verschlossen hält. Dann erst führt linker Hand ein asphaltierter Weg auf das frühere Rennoval. Angekommen.
Das sind also die 30 grünen Hektar zwischen den Stadtteilen Vahr und Hemelingen, die Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt von den Linken vor einer Woche während einer Bürgerschaftsdebatte „untergenutzt“ genannt hat. Kniehoch wachsen Schafgarbe und Kratzdistel am Wegesrand, Beifuß und Rainfarn, ein Biotop, größer als 40 Fußballfelder zwischen hohen Häusern und breiten Straßen. Zumindest auf einem Teilabschnitt könne man hier doch Wohnungen bauen, meint die Senatorin.

Golf wird im Innern des ehemaligen Rennovals immer noch gespielt, und das, obwohl die Stadt dem früheren Betreiber fast vier Millionen Euro gezahlt hat, damit er vorzeitig geht.
Im Blick hat Vogt den Bereich im Westen des Areals, auf dem eigentlich mehrere Sportplätze und eine Multifunktionshalle entstehen sollen, wofür absehbar aber das Geld fehlt. Heute steht an dieser Stelle noch das Klubhaus der ehemaligen Golf Range. Die erste Überraschung: Hier wird immer noch Golf gespielt und das, obwohl die Stadt dem früheren Betreiber vor Jahren fast vier Millionen Euro dafür gezahlt hat, dass er vorzeitig aus dem Vertrag aussteigt, der noch bis 2034 laufen sollte.
Zwei Männer sitzen mit Blick auf den Golfkurs an einem Tisch und machen Mittagspause. Sören Kreitmeyer und Jan Griewald sind die führenden Köpfe des Bremer Radsportverbandes, der seit ein paar Jahren sein Zuhause hier hat und sich die Räumlichkeiten mit dem neuen Betreiber des Golf-Point und dem Digital Impact Lab teilt. Die Radcross-Saison geht bald wieder los, am 11. Oktober soll hier ein Bundesliga-Rennen stattfinden. Kreitmeyer und Griewald bringen den Parcours aus Brücken und Bunkern, Wellen und Steilkurven wieder auf Vordermann.

Der Sportgarten ist mit dem Galoppgarten auf dem Gelände vertreten. Hier können Kinder und Jugendliche Fußball und Handball spielen oder auf einer mobilen Bahn skaten.
Vom Vorstoß der Senatorin haben die Männer gehört. Das kann ja wohl nicht wahr sein, habe er gedacht, erzählt Griewald, zumal es vor sechs Jahren ja einen Volksentscheid gegen eine Bebauung gegeben habe. „Wir haben hier Leben reingebracht“, sagt Kreitmeyer und zählt auf, dass in den vergangenen Jahren mehrere Crossrennen stattgefunden haben, dass sie erst kürzlich den WM-Titel von Niklas Behrens, einem Bremer Radsporttalent, hier gefeiert hätten, dass perspektivisch ein Bundesstützpunkt entstehen könnte und dass die Bogenschützen nebenan und der neue Betreiber der Golfrange Sportinteressierte anziehen würden. „Die Bremer fangen gerade an, diesen Ort zu entdecken“, sagt Griewald, „eine Wohnbebauung würde hier viel zerstören.“
An diesem Tag sind Jogger und Spaziergänger unterwegs, Radfahrer queren das Gelände, es sind nicht übermäßig viele, vielleicht drei Dutzend in der nächsten Stunde. Eine junge Frau hat es sich mit ihrem Hund auf einer der Liegebänke bequem gemacht. Andere führen ihren Hund an der Leine über ausgewiesene Wege und Trampelpfade.

Einfach mal abschalten: Auf dem Gelände gibt es einige Sitzgelegenheiten zum Verweilen.
So wie Birgit Kramer. Sie ist mit Lilly unterwegs, „vier Mal die Woche“, sagt sie, „mal so rum“, im Uhrzeigersinn, „mal so rum“, andere Richtung, „herrlich hier, oder?“ Kramer wohnt in der Wilhelm-Busch-Siedlung gleich nebenan. Sie genießt die Ruhe, „das ist hier noch ein Geheimtipp“. Ein bisschen wie der Bürgerpark, nur in kleiner. Und längst nicht so gepflegt.
Das Rennbahngelände ist bewusst als ein „Park im Werden“ angelegt. Es geht nicht nur für die Fußgänger, sondern auch für die Planer eher langsam, Schritt für Schritt, voran. Im Herbst sollen auf viereinhalb Hektar die ersten Bäume für einen Klimawald gepflanzt werden. Angedacht ist für nächstes Jahr auch die Umgestaltung des Mittelkampsfleets, eines Wasserlaufes, der komplett freigelegt wird und mehrere Hundert Meter lang ist.

Den asphaltierten Weg, der die Rennbahn einmal quer zerschneidet, nutzen Radfahrer gern als Abkürzung. Sie kommen nun schneller von Hemelingen nach Vahr und umgekehrt.
Bis dahin, so der Eindruck beim Spaziergang, überlässt man vieles sich selbst. Jemand hat eine Holzhütte demoliert und die Latten in den angrenzenden See geworfen. In der Nähe des Golfkurses liegen verstreut die Splitter einer zerstörten Werbebande. Der angemalte Bauwagen am Galoppgarten mit Fußballfeld, Handballtoren und Skaterbahn ist vernagelt, jemand hat versucht, die Tür aufzubrechen. Und obwohl überall an den Sitzbänken Mülleimer montiert sind, liegen aufgerissene Chipstüten und leere Zigarettenschachteln zwischen den Sträuchern.
Als die sogenannte Draußenschule an diesem Morgen ihren Unterricht nach den Ferien wieder aufgenommen hat, haben 60 Schüler erst einmal Müll gesammelt. Mehrere Säcke haben sie und ihre Lehrer mit Plastik und Papier gefüllt, mit Flaschen und Spraydosen. „Wir hatten hier während der Ferien wohl Gäste“, sagt Jahrgangsleiterin Stephanie Richter, „Vandalismus ist ein Problem.“ Hier, im östlichen Bereich des Rennbahnareals, ist auch schon gezündelt worden.

Im Osten des Geländes, direkt an einem See, ist die Draußenschule zu Hause. Hier erhalten mehrere Jahrgänge der Oberschule Sebaldsbrück Unterricht unter freiem Himmel.
Grundsätzlich ist die Oberschule Sebaldsbrück sehr froh, hier draußen, 500 Meter Luftlinie vom eigentlichen Standort entfernt, Erlebnispädagogik betreiben zu können. Mehrmals in der Woche findet der Unterricht für verschiedene Jahrgänge im Grünen statt. Die Schüler pflanzen und ernten, mähen Rasen und stutzen Bäume.
An diesem Tag hat die Jahrgangsstufe 7 Unterricht in der Draußenschule. Die Schüler haben Kartoffeln ausgebuddelt, Tomaten und Karotten gepflückt, Zwiebeln und Zucchini. Jetzt wollen sie einen Salat anrichten, der zum Mittagessen auf den Tisch kommen soll. „Viele Schüler“, sagt Pädagogin Richter, „würden ohne die Draußenschule gar nicht mit der Natur in Berührung kommen.“ Das Rennbahngelände nennt sie „unsere grüne Lunge“, und zu den Gedanken der Senatorin sagt sie: „Wir wären nicht besonders glücklich, wenn Wohnbebauung an uns heranrücken würde.“