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Christopher Street Day Bremen Gegen die Barriere in den Köpfen

Niklas Ulrich ist mit 18 Jahren das jüngste Mitglied im ehrenamtlichen Organisationsteam für den Christopher Street Day. Wir haben ihn vorab besucht.
24.08.2018, 17:33 Uhr
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Gegen die Barriere in den Köpfen
Von Patricia Brandt

Bremen-Nord. Niklas Ulrich ist mit 18 Jahren das jüngste Mitglied im ehrenamtlichen Organisationsteam für den Christopher Street Day (CSD), zu dem für diesen Sonnabend mehr als 25 Wagen, 40 Organisationen und Gruppen und mehr als 5000 Teilnehmer in der Bremer Innenstadt erwartet werden. Der Schüler der Eggestedter Straße hatte sich erst dieses Jahr geoutet. Der junge Mann wischt auf seinem Smartphone mit der Gucci-Hülle herum. Als Jüngster im Orga-Team ist er für Social Network und die Seite des CSD zuständig. „Auf Instagram läuft das super“, sagt der Nordbremer Abiturient. In wenigen Tagen ist die Zahl der Abonnenten schon auf fast 700 angewachsen.

Es ist früh am Morgen. Auf dem Frühstückstisch im Elternhaus liegen noch seine Schulsachen verstreut; eine Wasserflasche, Stifte, ein Deo. Wenn er zur Schule geht, sei er immer „fancy“, sagt Niklas Ulrich ironisch. Stylisch sind seine Klamotten und seine Designer-Handtasche. „Natürlich nehme ich die zur Schule mit, da passt doch alles rein“, sagt der 18-Jährige und zuckt die Schultern. Wie reagieren die Mitschüler? „Unterschiedlich“, sagt Niklas Ulrich. Er bekäme in der Schule oft Sprüche zu hören. „Meist von Achtklässlern, die einfach den Mund aufmachen, ohne nachzudenken.“

Niklas Ulrich ist einer, der offen auf andere zugeht. Er ist derjenige, der sich seit der fünften Klasse vor die Reihen der Mitschüler auf den Fußboden legt, wenn der Schulfotograf kommt. „Ich bin beliebt, schreibe gute Noten“, sagt er leichthin. Später wolle er mal studieren – Jura.

Doch es gibt noch eine andere Seite, eine nachdenklichere. Niklas Ulrich schreibt Poetries. Seine Gedichte sind wie seine Bilder: Düster und voll von Traurigkeit. Wer länger mit Niklas Ulrich spricht, erfährt, dass Bremen-Nord verbal ein gefährliches Pflaster für Menschen ist, die geschlechtliche Vielfalt leben wollen. Nicht nur das: Im vergangenen Dezember wurde der junge Mann mit der Clutch, eine Tasche ohne Griff, unterm Arm auf dem Nachhauseweg von einer Party in Vegesack von drei Jugendlichen verprügelt: „Ich hatte Gesichts- und Schädelprellungen und konnte meinen Hals nicht mehr bewegen.“

Vom Christopher Street Day hatte Niklas Ulrich bisher nur gelesen. Als er von der Auftaktveranstaltung zum CSD in Bremen hörte, sei er einfach hingegangen. Jetzt gehört er zu dem Kreis von Leuten, die für die Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgendern eintreten. Er moderiert unter anderem das Bühnenprogramm des CSD.

„Es ist erst der zweite CSD Bremen in Folge und trotzdem feiern wir nächstes Jahr unser 40-Jähriges“, sagt Robert Martin Dadanski, geschäftsführender Gesellschafter einer Spedition und Sprecher des CSD. Der erste CSD in Bremen fand am 30. Juni 1979 statt: „Auf den Tag genau 38 Jahre später wurde die Ehe für alle vom Bundestag verabschiedet.“ Damals hieß der Christopher Street Day an der Weser noch „Schwuler Karneval“. Was heute Berlin und Köln für die Community seien, sei in den Siebzigern wegen der zahlreichen Kneipen und der starken linken Szene die Hansestadt gewesen: „Ein schwules Mekka“.

Doch viele Jahre blieb es still um die Schwulen und Lesben in der Stadt. Mittlerweile ist die Bremer Community des Christopher Street Days wieder auf 60 Mitglieder angewachsen. Die Mitglieder treten gegen Homo-, Trans- und Interphobie in der Hansestadt ein. „Viele haben noch eine Barriere im Kopf“, meint Robert Martin Dadanski. „Ich kann nicht mit meinem Freund Hand in Hand durch die Stadt gehen, zumindest in einigen Bremer Stadtteilen wird man beschimpft oder doof angeguckt.“

So schlimm wie in Polen sei es aber nicht. Als Maja Tegeler zusammen mit Robert Martin Dadanski, der gebürtigen Vegesackerin Jade-­Friederike Bätge und Niklas Ulrich den Christopher-Street-Day in Danzig unterstützten, kam es zu einer Gegendemonstration. Mit Störungen rechnet das Organisationsteam an der Weser aber nicht. „Vielleicht kommt es bei der An- und Abreise zu Zwischenfällen“, meint Jade-Friedrike Bätge. An dem Tag spielt Werder Bremen. „Wir hoffen, dass am Stadion die Regenbogenflagge gehisst wird“, sagt Dadanski.

„Vielen fällt es heute noch schwer sich zu outen, in der Familie, am Arbeitsplatz“, weiß Kyra Behrje, Verwaltungsbeamtin und Gründungsmitglied des Katzensprungs in Bremen-Nord. Sie selbst habe Glück gehabt, weil ihre Familie offen und liberal reagiert habe, als sie 2008 in Vegesack eine gleichgeschlechtliche Ehe eingegangen sei. Die Nordbremerin, die im öffentlichen Dienst arbeitet, will am CSD teilnehmen, weil es ihrer Meinung nach auch an Unterstützung für Schwule und Lesben nördlich der Lesum mangelt.

Dass Betroffene in die Bremer Innenstadt fahren müssen, um sich beraten zu lassen, sei „an sich schon Diskriminierung“. Wer in Bremen-Nord wohnt und durch Kinder oder pflegebedürftige Eltern gebunden sei, könne es sich kaum leisten, für eine Beratung zwei Stunden Fahrt für Hin- und Rückweg in Kauf zu nehmen.

Auch beim Rat und Tat Zentrum heißt es, eine Nordbremer und eine Bremerhavener Dependance wäre wünschenswert, finanziell aber nicht darstellbar. Dabei sei seit langem klar, dass es insbesondere auch an Anlaufstellen für Trans-Personen im Norden der Hansestadt fehle. Die CSD-Organisatoren weisen auf dieses Problem hin: „Wir fordern, dass es eine angemessene Beratung für geschlechtliche Vielfalt gibt“, sagt Maja Tegeler, die früher Henning Tegeler hieß, und bei der Partei der Linken auch Sprecherin für Queerpolitik ist. Niklas Ulrich sagt es so: Als Transgender sei man in Bremen-Nord verlassen.

Info

Zur Sache

Das Programm

Der CSD Bremen 2018 findet am Sonnabend, 25. August, statt. Ab 11 Uhr stellen sich die ­Wagen und Gruppen am Startplatz „Am Wall 146” auf. Um 14:30 Uhr ist Beginn der Demon­stration. Für 17 Uhr ist eine Kundgebung am Goethe­platz geplant. Die Abschlussparty im Schlachthof läuft ab 22 Uhr.

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