Ein Schrank voller Handys und Portemonnaies, er ist aus Metall und besonders gesichert. Die Wertsachen liegen wohl geordnet in Plastikwannen, 20 Stück und mehr für jeden der vergangenen Monate, so sind die Wannen beschriftet. Da kommt was zusammen, lauter Fundstücke, die in den Bussen und Bahnen der BSAG liegen geblieben sind. Pech, wenn die Geldbörse aus der Tasche rutscht. Schusseligkeit, wenn das Handy vergessen wird, weil es kurz auf dem Nebensitz deponiert war. Fast jeden Tag, dass so etwas passiert – und jetzt klingelt es, ein Geräusch aus dem Schrank heraus. Ist da etwa eines der Handys noch betriebsbereit, Akku nicht leer? Ja, scheint so. Und wer ist dran, wer ruft an? Könnte das helfen, den Besitzer zu identifizieren?
"Hallo?", spricht Sebastian Stemminger ins Handy. Am anderen Ende die Stimme einer Frau, sie spricht türkisch und Türkisch kann er nicht, da ist Stemminger aufgeschmissen. Doch sofort kommt ihm eine Idee. Eine der Kolleginnen im Kundenzentrum beherrscht die Sprache. Also flugs hin zu ihr, und schon ist der Fall gelöst. Die Frau in der Leitung entpuppt sich als Besitzerin des Handys. Sie ist überglücklich, dass es gefunden wurde und schickt ihren Mann, das Gerät abzuholen. Haken drunter, der Vorgang ist schneller erledigt, als ein Handy leerlaufen kann.
Stemminger, 39 Jahre alt, leitet das Kundencenter der BSAG an der Domsheide und ist auch für das Fundbüro des Verkehrsunternehmens zuständig, das dort untergebracht ist: zwei Lagerräume, die mit Regalen vollgestellt sind, in denen sich staut, was Menschen abhandenkommt. Kann sein, dass sie Tasche, Schal, Helm oder das Plüschtier schmerzlich vermissen. Dass ihnen am Tennisschläger, an der Echthaarperücke oder dem Hörgerät sehr gelegen ist. Fotostativ, Werkzeugkoffer, Rollstuhl, Boxhandschuhe, Werder-Trikot, Christbaumständer, Gebiss, Schulranzen, Röntgenbilder, Brillen, Regenschirme – alles dabei, alles gefunden. Ein Ausschnitt aus dem wirklich wahren Leben, das mit Dingen überfüllt ist.

Das gibt Tränen, wenn der Lieblingsteddy verloren gegangen ist.
Drei Wochen sind um im Januar, Stemminger zieht Bilanz: "128 Fundstücke bis jetzt, genau die Hälfte davon konnte zurückgegeben werden." Es ist weniger geworden, was bei ihm eintrudelt, obwohl die Zahl der Fahrgäste bei der BSAG steigt. Das Unternehmen hat eine Vermutung: "Vielleicht liegt es an der wirtschaftlichen Lage", sagt BSAG-Sprecher Andreas Holling, "die Leute passen besser auf ihre Sachen auf und sind stärker dahinter her, sie wiederzubekommen, sollten sie verloren gehen."
Trotzdem gibt es Fälle, Stemminger erzählt davon, in denen er Gleichgültigkeit und Desinteresse erntet: "Wir schreiben die Besitzer an, wenn zum Beispiel über ein Dokument im Rucksack oder in der Geldbörse herausgefunden werden kann, wem sie gehören." Nicht selten, dass es keine Reaktion gebe, selbst bei Wertsachen nicht. Verpeilt, vergesslich, vermögend?
Wer lässt so etwas zurück?
Bei diesem einen Stück war das anders, doch wen sollte das wundern? Gefunden wurde es in einem Bus der Linie 22, die von der Universität nach Kattenturm führt. So besonders der Gegenstand, dass er zum Fundstück des Monats gekürt wurde – ein kleiner Spaß der BSAG, wenn sie sich jedes Mal das ganz Besondere aus dem Fundus der Funde aussucht und veröffentlicht. Im vergangenen Jahr waren das zum Beispiel eine Deckenleuchte, ein Hähnchenhalter, eine Wasserpfeife oder ein WC-Sitz. Nicht schlecht, aber noch zu toppen – mit der Geige im Geigenkasten. Wer, herrje, lässt so etwas zurück?
Es war ein Mädchen, wie sich schnell herausstellte. Die Mutter kam nach wenigen Tagen, um das teure Instrument abzuholen. Sie sei sehr froh gewesen, erinnert sich das Team im Kundencenter. Das Fundstück des Monats – demnächst, wer weiß, wird es ein Gemälde sein, die Schallplatte eines Sammlers oder ein Briefkasten, auch das hat es schon gegeben.

Regenschirme sind ein Klassiker, wenn etwas vergessen wird. Gehhilfen eher die Ausnahme, sie werden ja eigentlich dringend gebraucht.
In der Masse sind es Taschen, Rucksäcke, Schulranzen und Turnbeutel, die von den Fahrern in Bus und Bahn entdeckt werden. Nach der Zwischenlagerung auf dem Betriebshof gelangen die Fundstücke zum Kundencenter an der Domsheide. Das kann durchaus ein paar Tage dauern, weshalb die BSAG ihre Kunden, die den Verlust bemerken und sofort Gewissheit haben wollen, oft um Geduld bitten muss.
"Kommen Sie morgen noch einmal wieder", wird einem jungen Mann am Tresen des Kundencenters beschieden, der glaubt, in der Straßenbahn sein Handy verloren zu haben. Erstens braucht es die zwei, drei oder vier Tage. Zweitens könnte es auch woanders passiert sein. Und drittens waren möglicherweise Taschendiebe am Werk. Dem Mann wird empfohlen, sich sicherheitshalber auch beim städtischen Fundamt in der Stresemannstraße zu erkundigen.
Erreicht irgendeine Form von Behältnis die Gestaden des BSAG-Fundbüros, wird es gefleddert, wie Stemminger sich ausdrückt. Schauen, was drin ist: Wertvolles, Verderbliches, feuchte Klamotten, die auf den Wäscheständer kommen, damit sie keinen Muff entwickeln, oder Dokumente, die Aufschluss über den Besitzer geben. Ist das erledigt, werden die Sachen inventarisiert und eingelagert. Dann haben sie ihren Platz und bleiben dort, wenn sich die Besitzer nicht melden. Irgendwann, frühestens nach einem Jahr, senkt die BSAG den Daumen und die Fundstücke müssen raus – als Spende, in die Versteigerung oder schlicht in den Müll. Das ist der Gang der Dinge, so sie nicht nur verloren, sondern auch vergessen worden sind.