Herr Ryzhov, für manche Blumenthaler sind Sie so etwas wie ein Arzt ohne Grenzen: Sie übernehmen dort eine Praxis, wo andere Mediziner nicht hinwollen. Zu welcher Ärztekategorie zählen Sie sich selbst?
Alexander Ryzhov: Es ist schwierig, zu sagen, was einen Arzt ohne Grenzen eigentlich genau ausmacht. Wenn damit jemand gemeint ist, der helfen will, dann bin ich einer. Wenn dabei aber an jemanden gedacht wird, der ausschließlich selbstlos handelt, dann nicht.
Und was sind Sie nun für ein Arzt?
Im Grunde bin ich ein ganz normaler Arzt, der an seine Patienten denkt, aber auch an seine Familie und sich selbst.
Normal ist Ihr Werdegang aber nicht: Vom kommissarischen Chefarzt zum Hausarzt – wie kommt das?
Ganz einfach: weil ich mich so entschieden habe. Alle wollen heute Facharzt werden und sich spezialisieren, um möglichst viel Geld zu verdienen. Ich möchte jetzt eine Praxis übernehmen und für jeden da sein, auch wenn viele sagen, dass das weniger lukrativ ist.
Ist Ihnen Geld nicht so wichtig, oder warum diese Entscheidung?
Geld ist wichtig, aber noch wichtiger ist es mir, zufrieden zu sein. Als Chefarzt war ich es zum Schluss nicht mehr. Der Stress, den ein leitender Mediziner auszuhalten hat, ist unglaublich groß und wird immer größer. Schon allein deshalb bin ich kein Arzt ohne Grenzen, sondern ein Arzt, der seine persönlichen Grenzen kennengelernt hat.
Auch in Blumenthal könnte es für Sie stressig werden. Für einige Bewohner fehlen inzwischen so viele Ärzte, dass sie den Stadtteil mit einem Entwicklungsland vergleichen, das Hilfe bei der medizinischen Versorgung braucht. Was ist Blumenthal denn für Sie?
Vor allem Heimat. Dort wohne ich, dort gehen meine Kinder zur Schule, dort arbeitet meine Frau. Natürlich ist Blumenthal auch ein Stadtteil, in dem es Probleme gibt, Nachfolger für Hausärzte zu finden. Aber in anderen Quartieren und Kommunen fehlen mehr Mediziner als dort.
Das ist für Blumenthaler nur ein schwacher Trost...
...Aber bedauerlicherweise Realität.
Drei Hausärzte hören dort in diesem Jahr auf, zwei haben keinen Nachfolger gefunden. Ihre Praxen werden im Register der Kassenärztlichen Vereinigung gelöscht. Was werden Sie unternehmen, um die Lücke zu schließen?
Ich werde mich um jeden kümmern, der zu mir kommt. Außerdem plane ich, die Hausbesuche auszuweiten. Im Stadtteil wohnen immer mehr Menschen, die nicht mehr so mobil sind, wie sie früher mal waren.
Genau das führen auch Bewohner an, die Brandbriefe an die Gesundheitssenatorin und die Kassenärzte verschickt haben. Mehr Ärzte, argumentieren sie, bedeutet auch kürzere Wege für Patienten. Jetzt werden die Wege länger. Was tun?
Man kann keinen Mediziner zwingen, nach Bremen-Nord beziehungsweise nach Blumenthal zu kommen. So sind die Bestimmungen. Deshalb kann man nur versuchen, mit den Ärzten auszukommen, die da sind. So banal das auch klingt. Andere Möglichkeiten sehe ich jedenfalls momentan nicht.
Und was halten Sie von der Möglichkeit, weitere Anreize für Mediziner zu schaffen, damit sich mehr im Bremer Norden niederlassen und weniger in ihren Bewerbungen ausdrücklich schreiben, nicht dorthin zu wollen?
Das halte ich zumindest für eine Chance, die man nutzen sollte.
Macht die Kassenärztliche Vereinigung genug oder zu wenig?
Ich sage es mal so: Sie macht, was sie kann. Ich zumindest kann mich nicht beklagen. Die Unterstützung, die es in meinem Fall gab, war groß.
Wie groß?
Ich bekomme eine Zeit lang finanzielle Hilfe. Die Kassenärztliche Vereinigung springt ein, wenn ich weniger Einnahmen in einem Quartal habe, als mein Vorgänger hatte. Sie gleicht den Betrag sozusagen aus.
In anderen Bundesländern wird mehr getan. Dort gibt es einen Bonus für neue Ärzte, besonders günstige Kredite beim Hauskauf, Hilfe aus dem Rathaus bei der Suche nach einem Kita-Platz. Was halten Sie davon?
Viel, wenn es tatsächlich dazu führt, dass sich neue Ärzte niederlassen. Allerdings wird auch in Bremen einiges getan. Günstige Kredite gibt es auch dort, wenn ein Mediziner zur Bank geht und erklärt, eine Praxis eröffnen zu wollen. Ob sie genauso günstig sind wie in anderen Bundesländern, weiß ich allerdings nicht.
Die Vereinigung der Kassenärzte sagt, dass der Bremer Norden mit Praxen überversorgt ist, zugleich hat sie ihn aber zum Fördergebiet erklärt, weil sich dort weniger Ärzte niederlassen als etwa in Schwachhausen, wo es mehr Privatpatienten gibt. Wie passt das für Sie zusammen?
Mit Statistiken ist das bekanntlich so eine Sache. Deshalb gebe ich im Grunde nicht viel auf sie. Allerdings gehe ich davon aus, dass die Kassenärztliche Vereinigung mit ihren Förderprogrammen eine Vorsorge trifft, das Problem, Ärzte für den Bremer Norden zu finden, nicht größer werden zu lassen als es momentan ist.
Und? Wird dieses Vorhaben gelingen, was glauben Sie?
Ich rechne damit, dass das gelingen kann, wenn Politik und ärztliche Vereinigungen es tatsächlich schaffen, die Bedingungen für Mediziner in Deutschland so zu verbessern, dass sie gar nicht mehr auf die Idee kommen, ins Ausland zu gehen. Und die Ärzte, die schon dort sind, wieder zurück nach Deutschland wollen.
Was schlagen Sie vor?
Man sollte zum Beispiel Klinik- und Praxisärzte noch besser vernetzen und Möglichkeiten schaffen, dass sie leichter in den Bereich des anderen wechseln können, wenn sie beruflich mal etwas anderes machen wollen als bisher. Das System in Deutschland ist meiner Meinung nach zu starr.
Nicht mehr Geld?
Geld ist nicht alles.
Jetzt klingen Sie doch ein bisschen wie ein Arzt ohne Grenzen?
Ja, aber eben nur ein bisschen.
Das Gespräch führte Christian Weth.