Neustadt. Wie ein zahnloser Tiger sieht sie auf den ersten Blick aus, die Justitia-Statue in den Neustadtswallanlagen. Ohne ihr Schwert, um das Recht mit der nötigen Härte durchzusetzen, und auch ohne ihre Waage, um sorgfältig das Für und Wider abzuwägen. Auch wenn sie ihre Attribute seit vielen Jahren nicht mehr tragen muss, den Arm hat die steinerne Gerechtigkeit sich trotzdem gebrochen. Geübte Steinmetze haben ihn nun kürzlich repariert und gemeinsam mit Denkmalschützern und dem Umweltbetrieb Bremen die Statue so in Szene gesetzt, dass sie in den Neustadtswallanlagen noch deutlicher als in den vergangenen Jahren an prunkvollere Tage erinnert.
Die Herstellung der symbolträchtigen Steinfigur datieren Historiker auf das Jahr 1630. Der holländische Festungsfachmann Johann van Valckenburgh erhielt einige Jahre zuvor den Auftrag der Stadt, die bremischen Festungswerke zu erneuern und auf den damals aktuellen Stand der Kriegstechnik zu bringen. Nach vierjähriger Bauzeit war das Werk 1627 vollendet. Drei Jahre später wurde zum Abschluss der Neustadt-Festung das „Hohe Tor“ gebaut, das den Namen des heutigen Ortsteils Hohentor geprägt hat. „Es wird vermutet, dass es besonders hoch und prunkvoll ausgestattet wurde, weil es den Eingang nach Bremen von Oldenburg her bildete“, erklärt Denkmalpfleger Rolf Kirsch. Er ist gekommen, um die letzten Arbeiten an der Statue zu überwachen, die einst mit Schwert und Waage in den Händen direkt unter dem hohen Giebel des Tores den steinernen Blick unbeirrt gen Westen richtete.
Zwischen Mars und Minerva
In der Rundbogenöffnung des Tores standen auf Säulen die römischen Gottheiten Mars und Minerva. Zu deren Füßen waren die sieben Rathsherrenwappen eingefügt. In der Mitte prangte, von wehrhaften Löwen gehalten, das Bremer Schlüsselwappen.
Besondere Erwähnung fand das Tor in den Geschichtsbüchern im Rahmen der ersten Bewährungsproben für den Neustädter Befestigungswall im Kampf mit dem Grafen Anton Günther. „Drei Jahrzehnte versuchte der Oldenburger, den Bremer Widerstand gegen den Elsflether Zoll zu brechen“, ist in dem Buch „350 Jahre Neustadt - 1975“ der Freien Hansestadt Bremen nachzulesen. Seine Überfälle begannen wohl meist beim Warturm, „vor dem Hohen Tor wurde der Oldenburger jedoch immer wieder abgeblitzt“, hält die Festschrift fest.
„Als das Tor 1823 schließlich abgebrochen wurde, ging unseres Wissens nach alles bis auf die Justitia verloren“, bedauert Denkmalpfleger Kirsch mit Blick auf eine Zeichnung des wehrhaften Prachtbaus.
Die Rettung der steinernen Dame hat Bremen offenbar der Juristenfamilie Noltenius zu verdanken, die die kleine Zeitzeugin kurzerhand auf dem Brandenhof in Borgfeld zwischenlagerte.
„Anlässlich des 300-jährigen Jubiläums der Neustadt stiftete die Familie 1973 schließlich die Statue dem Neustädter Bürgerverein zur Wiederaufstellung“, weiß Kirsch. 20000 D-Mark habe das gekostet und der Betrag sei ein Achtel der Erlöse der damaligen Bürgerpark-Tombola gewesen. „Damals wurde noch mit dem Gartenbauamt diskutiert, ob man das Ganze nicht aufbarockisieren sollte mit rechtwinkliger Gartenanlage um Stele und Statue herum“, berichtet Markus Backes vom Umweltbetrieb Bremen. Er betreut die Restaurierung der Justitia und weiß: „Schließlich hat man sich dagegen entschieden.“ In Erinnerung an das restliche Tor haben die Steinmetze jedoch nun auch Sandsteinbänder an der Stele angebracht. „Das entspricht in etwa der Bauweise des Tores, so kann man die damalige Optik besser nachvollziehen“, meint Denkmalpfleger Kirsch.
Zum Streit kam es bei der Wiederaufstellung der Justitia in den 1970er Jahren schließlich wegen einer andern Sache: „Es gibt einen Schriftwechsel zwischen dem Stifter J.E. Noltenius, damaligem Syndicus der Handelskammer, und der Stadt, weil das Schwert nicht wie verlangt rekonstruiert wurde“, so Kirsch. Er vermutet, dass politische Gründe eine Rolle gespielt haben könnten. „Damit das nicht so martialisch aussieht, aber die wahren Gründe sind uns nicht bekannt“, so der Denkmalpfleger. Eine Waage hat Claus Homfeld wieder angefertigt, mit feuervergoldeten Schalen. Diese hat ihr allerdings kurze Zeit später ein Dieb entrissen. Seither steht Justitia wieder mit leeren Händen da. Nun blickt sie mit dem Rücken zum Hohentorsplatz in die Weite der Neustadtwallanlagen.