Herr Wefer, die Wittheit zu Bremen hat kürzlich ihr 100-jähriges Bestehen gefeiert. Wird es sie in 100 Jahren auch noch geben?
Gerold Wefer: 100 Jahre, das ist eine verdammt lange Zeit. Ich schaue eher auf die nächsten zehn oder 20 Jahre. Aber ich glaube schon, dass die Wittheit die Zeit überdauern wird, wenngleich vermutlich in anderer Form. Es wird immer wichtiger, Forschungsergebnisse für jedermann verständlich zu kommunizieren und so aufzubereiten, dass sie auch in politische Entscheidungen einbezogen werden. Die Wittheit ist eine Art Nahtstelle zwischen der Forschung und der Bevölkerung. Wissenschaft muss sich die Mühe machen, die Bürgerinnen und Bürger zu erreichen und einzubeziehen, statt im akademischen Elfenbeinturm zu sitzen. Forscherinnen und Forscher müssen das Faszinierende an ihrer Arbeit vermitteln – gerade auch an Kinder und Jugendliche, um Nachwuchs für ihre Fächer zu gewinnen.
Sie schauen auf die nächsten zehn Jahre – mit oder ohne Sie an der Spitze der wissenschaftlichen Gesellschaft?
In der nächsten Zukunft werde ich aufhören und das Amt des Präsidenten in andere Hände legen.
Wissen Sie schon, in wessen Hände?
Nein, das steht noch nicht fest.
Das Engagement der Wittheit ist vielfältig. Unter anderem werden eigene Publikationen veröffentlicht und zu einer ganzen Reihe von Vorträgen eingeladen. Ist der Kreis der Zuhörer und Leser trotz Ihrer Bemühungen nicht dennoch relativ elitär?
Wir erreichen vor allem das gebildete Bürgertum, das ist richtig. Aber wir bemühen uns auch um junge Menschen, beispielsweise durch den Heimatpreis für regionale Forschung, mit dem wir inzwischen jedes Jahr auch Arbeiten von Schülerinnen und Schüler auszeichnen. Es ist begeisternd, wie junge Leute von der Wissenschaft gepackt werden und wie viel Freizeit sie in ihre Projekte stecken. Sie gehen einer Frage auf den Grund, die bislang nicht beantwortet worden ist. Ihre Neugier und Wissbegierde wird geweckt. Sie werden von einem Thema gepackt und brennen dafür. Dabei entstehen ganz tolle Arbeiten.
Zum Beispiel?
Es gibt viele beeindruckende Beispiele, ich kann sie gar nicht alle aufzählen. Sie reichen von einer Untersuchung über die Anfänge des Nationalsozialismus im Bremer Weserstadion über eine Arbeit zur Bremer Jugendfürsorge und Heimerziehung in den 1933 bis 1945 bis zur Auswertung von Feldpostbriefen eines Bremers aus dem Ersten Weltkrieg mit der Fragestellung, ob die Briefe ein reales Bild des Kriegs zeichnen.
Um den wissenschaftlichen Nachwuchs machen Sie sich also keine Sorgen?
Nein, wenn man sieht, mit welcher Begeisterung diese Schülerinnen und Schüler ihre Forschungen vorantreiben, gibt es keinen Anlass zur Sorge.
Gibt es auch in der Wittheit genug Nachwuchs?
Ich bin da ganz optimistisch. Die Arbeit macht Mühe, aber sie macht auch großen Spaß.
Ihr Anspruch ist, dass jedermann ganz unbedarft einen Vortrag besuchen kann und es dem vortragenden Wissenschaftler gelingt, sein Wissen so zu erläutern, dass man nicht überfordert wird.
Genau das ist uns wichtig. Die Bandbreite der Themen, zu denen wir Forscherinnen und Forscher aus ganz Deutschland einladen, ist groß. Da müsste eigentlich für jeden etwas dabei sein. Ich kann nur herzlich dazu einladen, sich davon selbst ein Bild zu machen. Wir sind leicht erreichbar, im Haus der Wissenschaft, mitten in der Stadt.
Was weiß man über die Gründung der Wittheit?
Die Wittheit ist aus mehreren Vorläufern entstanden wie dem naturwissenschaftlichen und dem historischen Verein, die eigene Forschung betrieben und eigene Publikationen veröffentlicht haben. Ende 1924, nach dem Ersten Weltkrieg, sollten die Aktivitäten zusammengelegt werden. So entstand die wissenschaftliche Gesellschaft Bremen, also im Grunde die Wittheit, auch wenn sie den Namen noch nicht trug. Das geschah 1941: Die Landesregierung hat die Wittheit zu Bremen gegründet, den weisen Hohen Rat. Viel Forschung wurde wegen des Kriegs nicht betrieben, was im Nachhinein betrachtet, wohl kein Verlust ist. Es gab keine freie Forschung, man muss davon ausgehen, dass sie politisch beeinflusst und missbraucht worden wäre. In der Nachkriegszeit ist die Wittheit aufgeblüht und nach und nach zu dem geworden, was sie heute ist.
Weiß man, welches Ziel man verfolgte? Wollte man ohne Universität mit Universitätsstädten konkurrieren?
Es war sicher das Bestreben, in Bremen Forscher und nennenswerte wissenschaftliche Einrichtungen anzusiedeln – eben ohne eine Universität, was nicht ganz einfach war. Aber unter anderem in der bremischen Flugzeug- und Autoindustrie haben schon einige Forscher gearbeitet.
Noch einmal zurück zum Anfang: Sie schauen auf die nächsten zehn bis 20 Jahre, sagen Sie. Was wünschen Sie sich für diese Zeit?
Ich wünsche mir, dass wir es schaffen, noch mehr Leute zu interessieren. Ich hoffe, dass wir weiterhin ein interessantes Angebot unterbreiten können, mit Vorträgen aus ganz unterschiedlichen Fachrichtungen und spannenden Büchern. Und ich wünsche mir, dass sich an unseren Wettbewerben noch mehr Schülerinnen und Schüler beteiligen.